"Wie kann er nur zu Paris wechseln?"

Benjamin Stambouli spielt seit dem Sommer 2016 für den FC Schalke 04
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Benjamin Stambouli wurde 2012 sensationell mit HSC Montpellier Meister in der französischen Ligue 1. Anschließend wechselte er zu Tottenham Hotspur nach England, verließ die Spurs aber genauso schnell wie später Paris Saint-Germain. Im Interview vor dem Bundesligaspiel bei Bayer Leverkusen (20.30 Uhr im LIVETICKER) spricht der Neuzugang des FC Schalke 04 über seine turbulente Jugend, die Paris-Marseille-Kontroverse, deutsche Eigenheiten und seinen schwierigen Start bei S04.

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SPOX: Herr Stambouli, Sie entstammen einer in Fußball-Frankreich sehr bekannten Familie: Ihr Vater Henri war Profi und unter anderem Trainer von Olympique Marseille, Ihr Großvater Gerard Banide ebenfalls und Ihr Onkel trainierte einmal den AS Monaco. Dass Sie Fußballprofi wurden, sollte also niemanden verwundern?

Benjamin Stambouli: Nein. (lacht) Ich war schon als kleiner Junge zusammen mit meinem Bruder häufig auf dem Vereinsgelände, während mein Vater seiner Arbeit als Trainer nachging. Wir hatten immer einen Ball dabei und haben nebenbei gekickt. Wenn wir mit der Familie beim Essen zusammensaßen, haben die drei nur über Fußball geredet. Da wurde auch schon mal der Salzstreuer entwendet, um damit taktische Formationen zu verdeutlichen.

SPOX: Allerdings ist Ihr älterer Bruder nicht Profi geworden. Wieso hat er einen anderen Weg eingeschlagen?

Stambouli: Er hat früher auch gekickt, aber zwischen 13 und 15 den Sprung in ein Nachwuchsleistungszentrum nicht geschafft. Er hat das Abitur gemacht und arbeitet nun im Sport-Marketing. Er liebt den Fußball und ist leidenschaftlich dabei, aber bei mir war das wohl noch einen Tick ausgeprägter. Ich kann mich als Kind an kaum einen Tag erinnern, an dem ich nicht mit dem Ball gespielt hätte. Ich wollte auch unbedingt Torhüter werden - wie mein Papa. Er meinte dazu nur: Fußball ja, Torwart nein. Er war nämlich in Monaco und Marseille nur Ersatzmann und wollte, dass ich theoretisch auf mehreren Positionen einsetzbar bin.

SPOX: Ihr Vater hat als Coach zu dieser Zeit nicht nur in Frankreich gearbeitet, sondern auch in der Schweiz oder war Nationaltrainer von Guinea. Wie sind Sie in diesem jungen Alter mit den permanenten Umzügen umgegangen?

Stambouli: Je älter ich wurde, desto lehrreicher fand ich diese Erfahrung. Ich habe viele unterschiedliche Menschen, Kulturen und Lebensweisen kennengelernt. Dadurch wurde mir ein anderer Blick auf das Leben oder auf Freundschaften eingeimpft. Ich war als Achtjähriger auf einmal drei Monate lang in Guinea. Das war außergewöhnlich, eine andere Welt. Natürlich gab es auch viele traurige Momente, da ich ständig meine Freunde zurücklassen musste. Das war nicht leicht, ich habe damals als Kind oft geweint.

SPOX: Sie haben einmal erzählt, als Jugendlicher in einer schwierigen Phase gesteckt zu haben: Die Leute hätten getuschelt, Sie würden nur aufgrund des Einflusses Ihrer Familie auf dem Feld stehen. Wie war das für Sie?

Stambouli: Das war die Phase zwischen 13 und 16. Ich habe mir damals sehr viel Druck gemacht und dachte, ich müsse beim Fußball unbedingt erfolgreich sein. Wenn meine Mutter zugeschaut hat, ging es einigermaßen. Sobald aber mein Vater am Seitenrand stand, tat ich mich unheimlich schwer. Es gab ja aber eigentlich gar keinen Grund dafür.

SPOX: Stimmt. Wann haben Sie das für sich selbst eingesehen?

Stambouli: Eines Tages hat mein Onkel zugeschaut und ich habe wieder sehr schlecht gespielt. Nach der Partie kam er in die Kabine und sagte zu mir: Benji, egal ob du Fußballer oder Metzger wirst - wir werden dich genauso sehr lieben. Dies einfach mal zu hören hat mir enorm geholfen. Ab 16 bin ich dann deutlich erwachsener geworden und habe gemerkt, dass der Fußball mein Leben ist und es auch bleiben soll. Ich bin 2004 ins Nachwuchsleistungszentrum nach Montpellier gegangen, auch weil dort noch niemand meiner Familie gearbeitet hat und zumindest diese Vorbehalte ausgeschlossen waren.

SPOX: Dort wurden Sie zwischen 2004 und 2010 ausgebildet. Kaum hatten Sie den Sprung zu den Profis geschafft, gewannen Sie 2012 sensationell die Meisterschaft in der Ligue 1. Das müsste Ihnen wie im Traum vorgekommen sein, oder?

Stambouli: Absolut. Wir waren wie Leicester City, das ist auf jeden Fall mehr als vergleichbar. HSC Montpellier ist ein Verein, der von Müllmännern gegründet wurde und auf eine ähnliche Geschichte "unter Tage" zurückblicken kann wie Schalke. Dort tritt man sehr stark für seine Werte ein. Die Menschen sind mutig, geruhsam und nicht eingebildet. Der Klub war lange Zeit eine echte Fahrstuhlmannschaft, man pendelte zwischen erster und zweiter Liga. Mit diesem Verein auf einmal Meister zu werden, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

SPOX: Wie erklären Sie sich den Titel denn?

Stambouli: Den Verein zeichnet seit jeher eine sehr gute Nachwuchsarbeit aus. Wir hatten damals eine tolle Generation mit vielen starken Spielern. Einige davon haben es mittlerweile auf Top-Niveau geschafft. Olivier Giroud und Younes Belhanda beispielsweise kamen aus der zweiten Liga hinzu. Wir hatten eine unglaubliche Chemie zwischen jungen und älteren Spielern, die uns getragen und sich durch die vielen Erfolge verselbständigt hat. Uns konnte keiner stoppen.

SPOX: Im Sommer 2014 unterschrieben Sie für fünf Jahre bei Tottenham Hotspur. Dort lief nicht viel zusammen, eine Saison später schlossen Sie sich Paris Saint-Germain an. Wie überraschend war dieses Angebot?

Stambouli: Es kam völlig aus dem Nichts. Eines Tages rief mich der Sportdirektor von PSG an, kurz danach dann Trainer Laurent Blanc. Sie zeigten mir mögliche Perspektiven auf, die Gespräche liefen hervorragend. Das war ein Angebot, das ich einfach nicht ablehnen konnte.

SPOX: Sie sind in Marseille geboren und haben dort 1996 mit dem Fußballspielen begonnen. In Frankreich werden Sie häufig als Fan von OM bezeichnet. Nach Ihrem Wechsel zu PSG waren viele Marseiller verärgert. Wie haben Sie diese Geschichten wahrgenommen?

Stambouli: Die französischen Medien haben das oft verdreht. Man hat mich sogar mal mit einem tätowierten Marseille-Wappen auf der Brust gezeigt, was natürlich eine Fotomontage war. Es ist ganz einfach: Ich bin geboren worden, als mein Vater für OM arbeitete. Daher war ich als kleines Kind Fan von Marseille und habe mir oft die Videokassetten der Champions-League-Auftritte angeschaut. Das ist ja alles andere als unnormal. Je älter ich aber wurde, desto stolzer war ich auf die Klubs, für die ich als Heranwachsender spielte. Ich bin professionell geworden und war kein Siebenjähriger mehr. Als ich in Montpellier immer besser wurde, gab es viele Stimmen, die besagten, meine Zukunft läge in Marseille.

SPOX: Das verärgerte offensichtlich viele Pariser. Als Sie zum ersten Mal für PSG im Parc des Princes aufliefen, wurden Sie vom heimischen Publikum ausgepfiffen.

Stambouli: Als das Angebot aus Paris publik wurde, hoffte man in Marseille, ich würde dennoch zu OM gehen, denn auch von OM lag mir eine Anfrage vor. Sie wollten, dass ein gebürtiger Marseiller für ihren Verein spielt. Ich bin dort ja aber gar nicht aufgewachsen. Man dichtete mir immer eine Verbindung zu Marseille an, die de facto nie in dieser Form bestand. Als ich dann in Paris unterschrieb, explodierten die sozialen Medien. In Marseille sagte man: Wie kann er als gebürtiger Marseiller nur zu Paris wechseln, das ist doch nicht normal? Die Pariser sind auf den Zug aufgesprungen und sagten: Er hat Marseille als Kind geliebt, warum geht er zu uns?

SPOX: Warum haben Sie dazu nie so klar Stellung bezogen wie jetzt?

Stambouli: Vielleicht hätte ich es früher tun sollen. Ich dachte irgendwie immer, wenn ich mich zu sehr dafür rechtfertige, würde das auf seine Weise auch wieder verdächtig erscheinen. Ich hoffe, ich habe das nun alles verständlich erklären können.

SPOX: In Paris waren Sie dann einer unter vielen, vor allem unter vielen großen Stars. Wie empfanden Sie das anfangs?

Stambouli: Es war irgendwie erstaunlich zu sehen, dass sie alle außergewöhnliche Spieler waren und zeitgleich völlig normale, nette Menschen. Da spricht man auch über ganz alltägliche Themen, ob man schon eine Wohnung gefunden hat oder ob man nicht irgendwie helfen könne. Es war relativ schnell viel beeindruckender, diese Jungs auf dem Platz zu erleben, als in der Kabine.

SPOX: Galt das auch für Zlatan Ibrahimovic?

Stambouli: Natürlich. Zlatan ist unglaublich intelligent. Das erkennt man ja selbst am Fernsehgerät, wenn man ihn spielen sieht. Im privaten Umfeld wird das aber noch viel deutlicher. Er hat eine sehr gute und schnelle Menschenkenntnis, ist extrem charismatisch und zugleich sehr dominant. Dennoch flachst er auch häufig genau darüber. Er lacht über seinen Ruf, andererseits ist er aber auch sehr selbstbewusst.

SPOX: Welche Anekdote erzählen Sie am liebsten über ihn?

Stambouli: Wir lagen eines Tages bei den Physiotherapeuten auf der Massagebank, der Fernseher lief nebenbei. Zlatan fiel zuvor verletzt aus, sollte aber im nächsten Spiel sein Comeback geben. Plötzlich erschien eine Schlagzeile: Zlatan, die Rückkehr des Königs. Er fragte mich, ob ich das übersetzen könne. Ich bin aber davon überzeugt, dass er wusste, was dies bedeutet. Ich übersetzte den Satz für ihn und er meinte: 'Benji, was zum Teufel soll das? Ich bin nicht der König, ich bin Gott.' Und dann haben wir beide sehr darüber gelacht. Es ist wie ein kleines Spiel, das er mit seinen Kollegen und eigentlich auch dem Rest der Welt spielt. Auch wenn man ihn näher kennengelernt hat, umgibt ihn weiterhin etwas Mysteriöses. Das macht ihn in meinen Augen so charismatisch.

SPOX: In Paris spielten Sie unter Laurent Blanc, mit dem man unter anderem drei Mal in Folge den französischen Meistertitel gewann. Wie würden Sie ihn charakterisieren?

Stambouli: Er hat ein großes Herz, einen guten Humor und lacht häufig. Vor allem aber liebt er seine Spieler. Er hat sehr gute Arbeit geleistet, gerade was die Führung der Mannschaft angeht. Er hatte es mit einer Gruppe voller starker Persönlichkeiten zu tun, in der fast jeder gerne der Anführer sein wollte. Er hat es gut verstanden, damit umzugehen. Ich stelle es mir für einen Trainer enorm schwierig vor, alle Entscheidungen so zu moderieren, dass kein hohes Frustlevel in der Gruppe entsteht. Er hat viel auf die Eigenverantwortlichkeit der Spieler gesetzt und nur wenige strikte Vorgaben gemacht. Wir hatten auf dem Platz viele Freiheiten und das haben wir ihm zurückgezahlt.

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