"Nagelsmann ist der Beste von allen"

Seit Saisonbeginn ein Gespann: Co-Trainer Alfred Schreuder (l.) und Chefcoach Julian Nagelsmann
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SPOX: Davon ist Nagelsmann in Hoffenheim noch entfernt, dennoch ist um ihn ein immer größerer Hype entstanden. Sein junges Alter und der sportliche Erfolg haben viel Aufmerksamkeit erzeugt. Wie haben Sie ihn anfangs kennengelernt?

Schreuder: Ich verstehe bestimmt viel von Fußball, arbeite aber mit einem Trainer zusammen, der extrem viel davon versteht. Ihn in diesem Alter zu erleben war überraschend und ist wirklich sehr interessant. Natürlich ist er der jüngste Trainer, den ich je erlebt habe - aber er ist auch der Beste von allen, denen ich bislang über den Weg gelaufen bin.

SPOX: Was macht ihn sozusagen handwerklich so besonders?

Schreuder: Das fängt schon mit der Art und Weise seiner Trainingseinheiten und wie er sich mit dem Spiel beschäftigt an. Seine Ideen sind immer sehr erhellend. Dazu kann er unfassbar gut zwischen Lockerheit und Ernsthaftigkeit wechseln. Das betrifft auch unser Zusammenspiel im Trainerteam. Durch seine Art der Menschenführung glauben die Spieler an ihn - und dadurch auch viel leichter an seine taktischen Inhalte. Wie er in Theorie und Praxis auf unterschiedliche Spielsituationen vorbereitet ist und dann während der Spiele eingreift, ist eine echte Gabe. Das ist beeindruckend.

SPOX: Sie haben im Juni Ihren Vertrag bis ins Jahr 2019 verlängert. Wie kam es dazu, dass Sie trotz der Entlassung von Stevens noch immer in Hoffenheim arbeiten?

Schreuder: Julian hat mich bereits im Dezember 2015 gefragt, ob ich bleiben möchte. Huub war zu diesem Zeitpunkt noch da, aber es war klar, dass Julian danach übernehmen würde. Wir hatten ein gutes Gespräch und haben vereinbart, dass wir uns die Zusammenarbeit bis zum Sommer einmal anschauen werden. Mir persönlich war schon eine Woche später klar, dass das ein super Trainer ist und ich gerne mit ihm zusammenarbeiten würde.

SPOX: Wie sehen Ihre Kernbereiche im Trainerteam genau aus: Welche Aufgaben übernehmen Sie, welche der zweite Co-Trainer Matthias Kaltenbach?

Schreuder: Die einzelnen Detailarbeiten sind unter uns vergeben. Ich gehe zum Beispiel mit den Spielern die defensiven Standards durch, Matthias die offensiven. Hinzu kommen Einzelgespräche mit Videosequenzen, die meist nach den von Julian geleiteten Teamsitzungen stattfinden. Wichtig für einen Co-Trainer ist auch der permanente Austausch mit den Spielern. Ganz egal, ob es da um berufliche oder private Dinge geht. Man braucht einen kurzen Draht zu ihnen.

SPOX: Sie loben Nagelsmann besonders für sein taktisches Feintuning. Als er die TSG übernahm, ließ er teilweise ein 4-3-3 spielen. Allerdings nicht wie aus Holland bekannt mit klassischen Flügelstürmern, sondern mit echten Mittelstürmern und einem hohen Fokus auf Angriffe durch das Zentrum. Wie haben Sie als Niederländer darauf reagiert?

Schreuder: Zum damaligen Zeitpunkt war das 4-3-3 oder auch das 3-4-3 ein System, das für uns gegen viele Gegner wirksam war. Wir haben bewusst nur wenige Flügelspieler im Kader. Ich habe den Vergleich und würde sagen, dass die deutsche Interpretation des 4-3-3, so wie wir es auch hier umgesetzt haben, sinnvoller ist. Die Holländer können von den Deutschen lernen, da sie systematisch viel flexibler sind.

SPOX: Heißt?

Schreuder: Wir starteten zuletzt häufig in einem 3-5-2, aber würde man nach 20 Minuten das Spiel anhalten und genau hinschauen, wird man auch ein 3-4-3 oder ein 3-1-5-1 erkennen können. In meiner Heimat wird diese Grundordnung dagegen sehr starr interpretiert. Jeder Spieler hat eine feste, vorgegebene Rolle und darüber hinaus kaum Freiheiten. Immerhin hat bereits ein erstes Umdenken begonnen. Manche Teams gehen mittlerweile weg von diesem klassischen 4-3-3. Mich rufen auch viele niederländische Trainer an, um bei uns zu hospitieren.

SPOX: In der Bundesliga ist beinahe ein Trend zum Aufbauspiel mit drei Spielern entstanden, Hoffenheim macht dies meist mit drei klassischen Innenverteidigern.

Schreuder: Julian wollte die Taktik im Sommer etwas modifizieren und dem Kader anpassen. Kevin Vogt kam beispielsweise als Sechser zu uns und spielt nun den zentralen Innenverteidiger. So entwickelt sich die Mannschaft und so sind wir dann auch für die Gegner schwerer ausrechenbar. Man ist als Trainer nie fertig, man macht sich ständig Gedanken über das Spiel und tauscht sich aus. Nichts anderes machen wir hier den lieben langen Tag. (lacht)

SPOX: Ihre aktive Fußballerkarriere wurde im März 2006 durch den frühen Tod Ihrer sechsjährigen Tochter Anouk überschattet, die an den Folgen eines Gehirntumors starb. Zu dieser Zeit spielten Sie bei Feyenoord, kämpften aber mit einer verletzten Achillessehne und kehrten erst nach drei Operationen und fast zweijähriger Pause wieder auf den Rasen zurück. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Schreuder: Ich bin davon überzeugt, dass zwischen diesen beiden Dingen ein Zusammenhang besteht und es kein Zufall war. Ich war bis zum Alter von 33 Jahren eigentlich immer fit. Zu diesem Zeitpunkt ist die unheilbare Krankheit meiner Tochter entdeckt worden. Ich habe dann auf Anhieb versucht, am Wochenende zu spielen, aber unter der Woche nicht zu trainieren, um bei ihr sein zu können. Das habe ich rund drei Wochen durchgehalten, bin allerdings fast zwangsläufig in eine Verletzung hinein gelaufen.

SPOX: Waren Sie damals froh, nicht spielen zu können, um häufiger bei Ihrer Tochter zu sein?

Schreuder: Feyenoord hatte mich zwischenzeitlich ohnehin nach Hause geschickt. Als es ihr wieder etwas besser ging, habe ich das Training wieder aufgenommen - aber keine gesundheitlichen Fortschritte gemacht. Daher auch die vielen Operationen. Ich war allerdings auch deutlich weniger ehrgeizig als zuvor. Erst nach Anouks Tod ging es für mich als Fußballer wieder bergauf.

SPOX: Das ist nachvollziehbar, klingt jedoch auch paradox.

Schreuder: Ich weiß. Wir hatten immer die Hoffnung, dass ausgerechnet sie diejenige ist, die es schaffen wird. Es war ein Auf und Ab über eineinhalb Jahre. Als sie dann starb, wurde ich von all dem täglichen psychischen Stress erlöst - und ich bin letztlich wieder fit geworden, mit fast 35. Diese schmerzhafte Erfahrung hat mich vor allem als Trainer gestärkt, auch wenn ich liebend gerne auf sie verzichtet hätte. Ich war immer Realist und bin ehrlich mit den Menschen umgegangen, doch habe nun ein noch besseres Gespür für eine positive Kommunikation mit den Spielern und meinen Mitmenschen bekommen.

SPOX: Wie bestimmt dieses Schicksal noch Ihre Gegenwart?

Schreuder: Sehr und täglich, ich denke immer an sie. In den ersten zweieinhalb Jahren hatte ich eine Stiftung zugunsten kranker Kinder und habe dort Fußballdevotionalien versteigert. Damit haben wir 90.000 Euro eingenommen. Von diesem Geld haben wir unter anderem auch den Eltern der Kinder eine Wochenendreise geschenkt.

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