"Der Fußball ist ehrlicher geworden"

Unter Cheftrainer Ralf Rangnick stieg RB Leipzig erstmals in die Bundesliga auf
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SPOX: Wenn eine Partie demnach nur fünf, sechs Highlight-Szenen für die Zusammenfassung bietet, deutet das für Sie auf ein langweiliges Spiel?

Rangnick: Für mich sollte ein Spiel während der gesamten 90 Minuten immer so ablaufen, dass Highlights jederzeit passieren können. Dies ist eher der Fall, wenn man so spielt wie wir. Langweilig sind unsere Spiele in aller Regel nämlich nicht. Natürlich sollte das Ergebnis am Ende stimmen, aber Fußball muss meiner Auffassung nach auch immer ein Erlebnis sein und einen hohen Unterhaltungswert haben.

SPOX: Man hat bei der EM in Frankreich sowie wenig später bei der U19-EM am Beispiel des Finalisten Italien gesehen, dass auch relativ destruktiver Fußball erfolgreich sein kann. Wie beurteilen Sie dies?

Rangnick: Ich hätte mir in Frankreich gewünscht, dass die eine oder andere dieser kleinen Nationen ihr Spiel sozusagen als Zugabe noch mit mehr Prinzipien gewürzt hätte, wie sie auch für uns wichtig sind. Dann hätten sie in meinen Augen noch mehr erreichen können. Teamspirit, eine Idee bei Standardsituationen und die Bereitschaft aller Spieler, bei gegnerischem Ballbesitz mitzumachen, haben gerade für Wales und Island ausgereicht, um ein Spiel zumindest offen zu gestalten. Daraufhin wurden die meist favorisierten Gegner unzufrieden, haben mehr riskiert und plötzlich ging eben eine Lücke auf. Ich hätte mir da im Spiel gegen den Ball noch mehr Mut und Zutrauen gewünscht - dann hätten sie ihre Gegner noch viel mehr beeindrucken können.

SPOX: Welche war in Ihren Augen die taktische reifste Mannschaft?

Rangnick: Bei Italien konnte man die Handschrift des Trainers am meisten erkennen. Das lag natürlich auch daran, wie Antonio Conte gecoacht hat und aufgetreten ist. Italien hatte die meisten modernen taktischen Elemente in seinem Spiel, obwohl sie die älteste Mannschaft waren.

SPOX: Welche Elemente meinen Sie?

Rangnick: Wann immer es möglich war, haben sie Gegenpressing gespielt oder auch tief in der gegnerischen Hälfte hoch attackiert. Trotzdem doppelten sie mit ballorientierten Elementen auch am eigenen Strafraum. Es war extrem schwer, gegen sie zu Torchancen zu kommen und dennoch waren sie in der Umschaltbewegung immer gefährlich im Spiel nach vorne. Conte hat weniger auf Individualisten gesetzt, sondern offensichtlich genau die Spieler ausgewählt, die als Team seine Idee am besten umsetzen konnten. Genau das macht für mich gute Trainerarbeit aus.

SPOX: Wohin glauben Sie entwickelt sich der europäische Fußball in den kommenden Jahren, wird der Sport immer perfekter?

Rangnick: Das gilt doch aber für viele Sportarten. In der Leichtathletik hat sich der 100-Meter-Weltrekord vor 30 Jahren noch um Zehntelsekunden fast jährlich verbessert, jetzt reden wir von Hundertstelsekunden. Auch der Fußball ist in den letzten zehn Jahren eine andere Sportart geworden.

SPOX: Liegt das nur an der Häufigkeit und Intensität von Sprints und schnellen Läufen?

Rangnick: Eindeutig. Wenn wir uns heute einen Spieler anschauen, dann messen wir gar nicht mehr so sehr die Zeit, die er lateral für die ersten 10, 20 oder 30 Meter braucht. Uns interessieren vor allem die Beschleunigungswerte, beispielsweise auch nach einer Abstoppbewegung zurück in die andere Richtung. Deshalb braucht es heute ganz andere körperliche Voraussetzungen, so dass es eben nicht mehr egal ist, wie sich die Spieler ernähren oder wie sie schlafen. Ich finde, der Fußball ist dadurch ehrlicher geworden. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Hochleistungssport.

SPOX: Welche Rolle werden dabei die Trainer spielen?

Rangnick: In den nächsten Jahren wird es für sie darauf ankommen, auf neue Entwicklungen immer wieder die passenden Antworten zu finden. Das wird immer mehr mit kognitivem und neuronalem Training zu tun haben, die kognitive Wahrnehmung auf dem Feld wird dabei immer wichtiger. Man muss lernen, unter räumlichen Begrenztheiten in extrem kurzen Zeitfenstern die Übersicht zu behalten und die richtigen Lösungen zu finden, um durchzukommen. Der Teufel wird immer mehr im allerkleinsten Detail stecken.

SPOX: Die Anforderungsprofile an die Trainerstäbe werden also immer komplexer?

Rangnick: Die Zeiten von "geht's raus und spielt's Fußball" sind lange vorbei. Es ist daher auch übrigens Quatsch zu sagen, mit dem Kader der Bayern sei es keine Kunst, drei Mal in vier Jahren das Double zu gewinnen. Dazu war Borussia Dortmund zum Beispiel im Vorjahr viel zu gut - und dennoch hatten die Bayern am Ende zehn Punkte Vorsprung. Das zeigt ihre und Peps überragende Qualität und Leistung.

Hier geht's zum ersten Teil des Interviews mit Ralf Rangnick!

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