Yunus Malli gehört mit 23 Jahren schon zu den dienstältesten Spielern beim 1. FSV Mainz 05 und ist absoluter Leistungsträger. Im Interview spricht er über seine Entwicklung, die sich an Zahlen ablesen lässt, die Entscheidung für die Türkei, Hansi Flicks Anruf und den gescheiterten Wechsel nach Dortmund. Außerdem lernte er Martin Schmidt in der Winterpause besser kennen.
SPOX: Herr Malli, Sie müssten nach den letzten Tagen einen "Helau"-Tinnitus haben, oder?
YunusMalli: Ehrlicherweise habe ich mit Karneval beziehungsweise der Mainzer Fastnacht gar nicht so viel am Hut. Generell bin ich niemand, der viel feiert oder sich verkleidet. Von daher bin ich die Tage auch eher ruhig angegangen.
SPOX: Merken Sie vor allem in dieser Zeit, dass Sie eigentlich doch kein Rheinhesse sind?
Malli: Ich fühle mich durchaus als Mainzer, immerhin wohne ich jetzt schon seit viereinhalb Jahren hier. Außerdem fühle ich mich in der Stadt und im Verein auch echt wohl. Es liegt aber einfach nicht in meiner Art, laut und überdreht zu sein. Ich habe lieber meine Ruhe.
SPOX: Im letzten Winter traten Sie auch eine Pilgerreise nach Mekka an.
Malli: Das war eine gute Gelegenheit, mal abzuschalten. Zudem gilt der Besuch der heiligen Stätten in Medina und Mekka im Islam als gute Tat. Das hat mir persönlich viel gegeben. Ich konnte die weltlichen Dinge aus dem Kopf verdrängen und mich auf die Religion und mich selbst konzentrieren. Die ganze Aura dieses Ortes war beeindruckend.
SPOX: Im August 2008 gaben Sie die türkische Staatsbürgerschaft auf, um die deutsche anzunehmen. Hätten Sie sich damals erträumt, dass Sie sie 2015 wieder zurückerlangen würden, um in der türkischen Nationalelf zu spielen?
Malli: Zu dem Zeitpunkt habe ich daran noch gar nicht gedacht. Damals wurde ich gerade in die deutsche U17-Nationalmannschaft berufen, sodass ich einen deutschen Pass benötigte. Anschließend hatte ich schöne und erfolgreiche Jahre im Nachwuchs des DFB. Ich habe mich dort immer wohlgefühlt. Die Zeit möchte ich auch nicht missen, sie hat mich auf jeden Fall weitergebracht.
SPOX: Vor fast fünf Jahren sagten Sie im SPOX-Interview, dass Sie sich voll mit dem DFB identifizierten und sich die Frage Deutschland oder Türkei für Sie nicht stelle. Das bekräftigten Sie auch im vergangenen Sommer noch einmal. Im November feierten Sie Ihre Nationalmannschafts-Premiere - für die Türkei. Warum doch?
Malli: Es war eine Entscheidung des Herzens. Ich wollte unbedingt erleben, wie es sich anfühlt, für die Türkei, das Land meiner Familie, zu spielen. Vor allem, als ich spürte, wie groß das Interesse seitens des Verbands war. Vorher habe ich bei jedem Länderspiel vor dem Fernseher mitgefiebert, plötzlich konnte ich selbst Teil davon sein. Nachdem ich nun meine ersten beiden Spiele bestritten habe, kann ich nur bestätigen, dass das Tragen des türkischen Trikots noch einmal mit einer ganz anderen Emotion verbunden ist. Deshalb bereue ich die Entscheidung auch nicht.
SPOX: Haben Ihnen die anderen Bundesliga-Spieler bei der Integration besonders geholfen?
Malli: Auf jeden Fall, vor allem Hakan Calhanoglu war sehr wichtig für mich. Aber auch andere Spieler mit deutschem Hintergrund, wie zum Beispiel Olcay Sahan, Cenk Tosun oder Yasin Öztekin, waren eine große Hilfe. Vorher hatte ich noch nie ein Profispiel auf türkischem Boden absolviert. Ich wurde aber von allen gut aufgenommen, sodass es mir großen Spaß gemacht hat, Teil des Kaders zu sein.
SPOX: Der türkische Verband hat sogar ein eigenes Trainingszentrum nur für die Nationalmannschaft - die reinste Wohlfühloase?
Malli: Das kann man wohl so sagen. (lacht) Das Zentrum ist ein Riesenkomplex in Istanbul, wo uns alles zur Verfügung steht. An Professionalität ist das vermutlich nicht zu übertreffen. Es wird darauf geachtet, dass sich alle wohlfühlen. Hakan und ich haben auch schon die eine oder andere Partie an der Playstation ausgespielt.
SPOX: Fatih Terim besuchte Sie vor Ihrer Entscheidung damals sogar persönlich in Deutschland.
Malli: Das machte mich wahnsinnig stolz. Vor allem seine Worte, dass er es begrüßen würde, mich in der Nationalmannschaft dabei zu haben und ich jederzeit willkommen sei, waren mir sehr wichtig.
SPOX: Er hat ein sehr ausdrucksstarkes und kompromissloses Auftreten. Hatten Sie nach dem Treffen überhaupt noch eine Wahl?
Malli: Er wollte mir nichts vorschreiben, es war mehr ein Kennenlernen. Fatih Terim brauchte mir gar nicht noch einmal explizit sagen, mit welcher Ehre es verbunden ist, in der Nationalmannschaft zu spielen. Schon jedes türkische Kind will seinem Land weiterhelfen und alles dafür geben. Das ist bei mir genauso, ich möchte die Türkei bestmöglich repräsentieren. Daher hoffe ich, dass ich noch das eine oder andere Mal dabei bin.
SPOX: Nach dem Treffen mit Terim hat sich auch der DFB bei Ihnen gemeldet. War die Entscheidung da schon gefallen?
Malli: Nachdem es öffentliche Berichte gab, wonach die Türkei ihr Interesse an mir bekundet habe, hat mich auch Hansi Flick angerufen. Er hat noch einmal zum Ausdruck gebracht, dass ich auf einem guten Weg sei und sie mich beobachteten. Er stellte mir eine Chance im DFB-Team in Aussicht, was natürlich auch eine schöne Anerkennung war, und ich glaube nicht, dass seine Worte nur so dahingesagt waren. Als ich mich trotzdem für die Türkei entschieden habe, respektierte das der DFB und wünschte mir auf dem Weg alles Gute. Es hat mir also niemand übelgenommen.
SPOX: Nicht so wie im Fall Mesut Özil. Der hat seit seiner Entscheidung pro DFB, vor allem aufgrund des langen Hin und Hers, einen schweren Stand in der Türkei. Wollten Sie genau so etwas verhindern?
Malli: Jeder muss sich für das Land entscheiden dürfen, in dem er sich am wohlsten fühlt. Deshalb sollte man auch in der Türkei respektieren, wenn sich ein Spieler mit türkischen Wurzeln für den DFB entscheidet. Meine Entscheidung fiel relativ schnell, jedoch haben wir uns mit der Veröffentlichung auch Zeit gelassen, da abschließend noch einige Dinge zu klären waren. Somit wurde auch um mich viel spekuliert. Zur Hängepartie wurde das Thema aber nur in den Medien und bei den Fans. Viele fragten immer wieder, warum ich noch zögere oder warum ich noch so lange nachdenke. Da stand mein Entschluss schon längst fest. Den kannte zunächst aber nur meine Familie.
SPOX: Die spielt bei Ihnen ohnehin eine große Rolle.
Malli: Mir war es bei allem Erfolg im Fußball immer wichtig, die enge Bindung zu meiner Familie beizubehalten. Die Unterstützung, die ich dort erfahre, ist riesig. Das möchte ich zurückgeben. Genauso wichtig sind mir auch meine Freunde. Ich versuche, ein- bis zweimal im Monat meine Kasseler Jungs zu treffen. Die waren auch immer Teil meiner Entwicklung.
SPOX: Diese Entwicklung lässt sich auch an Zahlen ablesen: In Ihrer ersten Profi-Saison 2011/12 gelang Ihnen eine Torvorlage, im Jahr drauf ein Tor. 2013/14 waren es schon fünf Treffer, in der vergangenen Saison sechs. In der aktuellen Spielzeit waren Sie schon achtmal erfolgreich. Worüber unterhalten wir uns denn in fünf Jahren?
Malli: Da sind es vielleicht schon 30 Tore. (lacht) Es stimmt schon, dass ich von Jahr zu Jahr immer einen Schritt gemacht habe. Das waren aber kleine Schritte, denn ich habe anfangs eine Zeit lang gebraucht, mich an alles zu gewöhnen. Ganz wichtig ist Geduld - was gar nicht immer so einfach ist. Es gab auch Zeiten, in denen ich an mir gezweifelt habe.
SPOX: Welche Art von Zweifel waren das?
Malli: Zu Beginn meiner Profi-Zeit, wenn ich nicht regelmäßig gespielt habe oder sogar auf der Tribüne saß, habe ich mich gefragt, was ich falsch mache. Das hat man dann auch an meinen Leistungen gesehen. Je länger man dabei ist, merkt man aber, dass es nichts bringt, zu verkrampfen. Mit einer gewissen Lockerheit läuft vieles besser.
SPOX: Sie sind 23 und mit etwa viereinhalb Jahren Vereinszugehörigkeit schon einer der dienstältesten Spieler beim FSV. Übernehmen Sie entsprechend auch Verantwortung im Team?
Malli: Ich habe mir vorgenommen, auch in der Hinsicht den nächsten Schritt zu machen. Ich möchte eine Führungsrolle übernehmen, auch wenn ich vielleicht nicht die größte Ausstrahlung habe oder der Lauteste bin. Man kann aber auch anderweitig helfen, gerade den Jüngeren. Für die ist es wichtig, Tipps zu bekommen, an denen sie sich orientieren können.
SPOX: Welche Rolle spielt in diesem Entwicklungsprozess der gesamte Verein Mainz 05?
Malli: Jeder bekommt hier die Zeit, sich zu beweisen. Trainer und Verantwortliche sind in Mainz sehr geduldig, man schenkt jedem Spieler viel Vertrauen. Natürlich ist aber auch der Charakter des Einzelnen wichtig. Jeder muss realistisch bleiben. Man darf nicht überheblich werden oder sich zu etwas Besserem berufen fühlen. Das bringt weder das Team, noch einen selbst weiter.
SPOX: Mainz 05 hat immer ein guter Zusammenhalt in der Mannschaft ausgezeichnet. Dazu brauchte es aber eigentlich nie spezielle Teambuilding-Trips. Was dachten Sie, als Martin Schmidt im Winter mit Ihnen in die Berge gefahren ist?
Malli: Das war für uns komplett neu und natürlich haben wir uns zu Beginn auch mal fragend angeschaut. (lacht) Die Bedingungen mitten in den Bergen waren bei der Eiseskälte schon heftig, ganz anders, als wir sie sonst gewohnt sind. Das Team ist dadurch aber sogar noch enger zusammengerückt.
SPOX: Sie mussten sogar im Schnee zelten.
Malli: Schon der Aufstieg war anstrengend, wir waren nur zu Fuß unterwegs. Sobald man nachts im Schlafsack lag, war es recht gemütlich. Dass man sich zum Pinkeln aber wieder komplett anziehen musste, war doch eher gewöhnungsbedürftig. Der Trainer hat sich dort aber pudelwohl gefühlt, das hat man auf jeden Fall gemerkt. Er ist ja ein Bergmensch. (lacht)
SPOX: Zum Rückrundenauftakt gab es trotzdem eine Niederlage in Ingolstadt. Warum fehlt dem Team über längere Zeiträume immer wieder die Konstanz?
Malli: Das ist ganz einfach: Wir sind keine Top-Mannschaft. Unser Ziel ist es, uns im Mittelfeld der Tabelle zu etablieren. Dass wir auch mal Spiele verlieren, ist für uns kein Beinbruch. Wichtig ist nur, dass wir uns nicht aus der Ruhe bringen lassen.
SPOX: Es folgten Siege gegen Gladbach und in Hannover. Der Rückstand auf Schalke beträgt nur noch drei Punkte. Gegen die geht es am Freitag (20.30 Uhr im LIVETICKER).
Malli: Das spielt überhaupt keine Rolle. Wir denken erst einmal an die 40 Punkte. Die sind unser nächstes Ziel. Dazu müssen wir weiterhin mehr tun als unsere Gegner und uns nicht von irgendwelchen Tabellenständen ablenken lassen. Wir schauen nicht nach oben.
SPOX: Bei Ihrer Vertragsverlängerung sagten Sie, die Entwicklung in Mainz ginge weg vom "Ausbilden und Weiterverkaufen", man könne Spielern eine langfristige Perspektive bieten. Haben Sie persönlich andernorts womöglich sogar eine noch bessere?
Malli: Das wird man sehen. Ich habe immer betont, dass ich mich hier wohlfühle und meine Entwicklung noch nicht am Ende ist. Natürlich möchte ich den nächsten Schritt in meiner Karriere machen. Ob es deshalb im Sommer zu einem Wechsel kommt, muss man abwarten. Bis dahin will ich meine Leistungen aus der Vorrunde bestätigen und dem Team so gut es geht weiterhelfen. Ich bin hochmotiviert.
SPOX: Sie sprachen zuletzt von mehreren Interessenten. Vor allem der BVB verhandelte im Winter bereits mit Christian Heidel. Hatten Sie das Gefühl, schon auf gepackten Koffern zu sitzen?
Malli: Nein, das nicht. Die Gespräche mit Christian Heidel waren von Anfang an sehr offen und ehrlich - von beiden Seiten. Es war immer klar, dass ein Wechsel nach Dortmund nur zustande kommen würde, wenn für alle Parteien wirklich alles passt. Wirtschaftlich war man sich bereits einig, sportlich konnte der Verein einem Transfer aber nicht zustimmen. Hätten wir eine Lösung gefunden, mit der alle zufrieden gewesen wären, wäre ich zum BVB gewechselt. Darüber hätte ich mich natürlich auch gefreut. Ich akzeptiere aber, dass das im Winter nicht möglich war, schließlich ist es mir auch wichtig, bei Mainz 05 keine Lücke zu hinterlassen.
SPOX: Spielte auch Thomas Tuchel eine wesentliche Rolle in Ihren Überlegungen?
Malli: Dass ich mich nach meinem Wechsel nach Mainz so gut entwickelt und mich später auch durchgesetzt habe, habe ich vor allem auch Thomas Tuchel zu verdanken. Unter ihm habe ich viel gelernt, vor allem, mehr aus mir herauszukommen. Er ist ein super Trainer, was man auch an seiner Arbeit in Dortmund sieht. Ich würde aber niemals nur wegen eines Trainers den Verein wechseln. Dafür ist Mainz auf diesem Posten aktuell auch viel zu gut aufgestellt.
Yunus Malli im Steckbrief