Nicht gerade der typische Fußballer

Yann Sommer wechselte im Sommer 2014 zu Borussia Möchengladbach
© getty

Borussia Mönchengladbach ging mit der Verpflichtung Yann Sommers ein großes Risiko ein, nur Manuel Neuer, auf den Sommer am Samstag trifft (ab 15.30 Uhr im LIVETICKER), kostete einem Bundesligisten eine höhere Ablöse. Inzwischen gehört der junge Schweizer zu den besten Keepern der Liga, überrascht mit seinen Fertigkeiten abseits des Platzes und entscheidet sogar das Duell mit seinem prominenten Vorgänger Marc-Andre ter Stegen für sich.

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Am 29. Spieltag der Saison 2010/2011 entschied sich Lucien Favre, damals Trainer des Tabellenletzten Borussia Mönchengladbach, einen Wechsel auf der Torwartposition vorzunehmen. Für den formschwachen Logan Bailly stand im Heimspiel gegen 1. FC Köln aber nicht etwa die etatmäßige Nummer 2 Christopher Heimeroth zwischen den Pfosten, sondern der 18-Jährige Marc-Andre ter Stegen.

"Wir standen damals mit dem Rücken an der Wand und galten als fast abgestiegen. Wir waren uns sicher, dass er in dem für Gladbach immer besonderen Spiel gegen Köln einen besonderen Impuls für die Mannschaft und die Fans geben würde", erinnerte sich Torwarttrainer und ter-Stegen-Mentor Uwe Kamps im Interview mit SPOX.

Die Fohlen feierten einen berauschenden 5:1-Derbysieg und erkämpften in den folgenden Monaten über die Relegation den nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt.

Gladbach-Fans blicken voller Wehmut auf diese Zeit zurück, stellt sie doch die Geburtsstunde einer neuen Ära da, in der der Mythos Fohlenelf wieder Einzug hielt.

Ter Stegen startet durch

Gleichzeitig war es auch der Beginn des steilen Aufstiegs ter Stegens, der im Sommer 2014 bei einem der weltbesten Vereine, dem FC Barcelona, gipfelte. Für die treuen Anhänger der Borussia brach eine Welt zusammen. Das Gesicht des Aufschwungs, der Gladbacher Junge, der sein Leben lang nur für die Fohlen gespielt hatte und zum Nationaltorwart reifte - weg.

Fast auf den Tag genau 17 Monate später ist ter Stegen nur noch sehr selten ein Thema rund um den Borussia-Park. Und wenn, geht es eher um positive Erinnerungen an das Eigengewächs, seine Nicht-Nominierung für die DFB-Elf oder seine Leistungen bei den Katalanen. Nicht aber um das Loch, das er im Tor Gladbachs hinterlassen hat.

Dort steht seit ter Stegens Abgang Yann Sommer. Ein junger Schweizer, der schon in seinem ersten Jahr bewiesen hat, dass man ihn zu den besten Keepern der Bundesliga zählen kann. Dabei hat der 26-Jährige so viel mehr zu bieten als schnelle Hände und gute Technik. Genauer gesagt ist Sommer so weit entfernt vom Klischee eines typischen Fußballers, wie Lothar Matthäus vom Cheftrainer-Posten beim FC Bayern München.

Sommer kein Schnellschuss

Sportdirektor Max Eberl bewies nicht zuletzt bei den Transfers von Max Kruse, Andre Hahn und Lars Stindl, wie langfristig und weitsichtig in Gladbach geplant wird. "Wir hatten eine Liste mit Keepern, die interessant sind, falls Marc-Andre uns verlässt. Yann stand dort schon sehr lange drauf und wir waren froh, ihn dann auch verpflichten zu können", schilderte Kamps den Prozess.

Was aufgrund der zwölf Millionen Euro Ablöse, die Barcelona für ter Stegen überwies, etwas unterging, war das Risiko, das Gladbach mit der Verpflichtung Sommers einging. Der nur 1,83m-große Keeper hatte bisher nur in der Schweizer Liga und in einigen Europapokal-Auftritten überzeugt. Trotzdem musste Gladbach tief in die Tasche greifen und acht Millionen Euro für Sommer bezahlen - nur die Bayern leisteten sich in der Bundesliga-Geschichte mit Manuel Neuer einen teureren Torwart.

Tatsächlich haben Sommer und Neuer einiges gemein. Beide verkörpern den modernen, mitspielenden Torwart, der nicht mehr im Sechzehner verharrt, sondern als elfter Feldspieler aktiv am Spielgeschehen teilnimmt.

"Es macht Spaß, Manuel zuzuschauen", lobt Sommer seinen Kollegen. Wie sein Pendant beim FC Bayern ist Sommer im Aufbauspiel Gladbachs fest integriert, ist stetige Anspielstation und schlägt nur im äußersten Notfall langes Holz. Dabei kommt ihm zu Gute, dass er als dritter Torwart beim FC Basel auf dem Feld mittrainierte und auch mit dem schwächeren linken Fuß präzise seine Mitspieler findet. 73,3 Prozent seiner Zuspiele landen beim vorgesehen Ziel.

Sogar besser als ter Stegen

Auch den Vergleich mit seinem Vorgänger muss Sommer nicht scheuen. Schon in seiner ersten Saison im Fohlendress hielt er seinen Kasten häufiger sauber (insgesamt 15 Mal) als ter Stegen in seinem letzten Jahr (9) und stellte mit 82,7 Prozent gehaltener Bälle einen Ligahöchstwert auf. Darüber hinaus kassierte Sommer nur 27 Gegentore, während ter Stegen den Ball ganze 43 Mal aus dem Netz holen musste.

Natürlich hängen diese Werte immer auch von der Hintermannschaft und Form des gesamten Teams ab, sie verdeutlichen aber, wie schnell Sommer in der Bundesliga Fuß gefasst hat. Gleichzeitig ist es Sommer in wenigen Monaten gelungen, auch in ter Stegens Fußstapfen als Identifikations-Figur und Fan-Liebling zu wachsen.

Sommer ist offen und hat fast immer ein Lächeln im Gesicht. Dass man nach fast jedem Spiel Gladbachs Aussagen des Schweizers lesen und hören kann, liegt nicht etwa an einem ausgeprägten Mitteilungsbedürfnis. Sommer ist höflich und geduldig. Egal ob in der Mixed-Zone nach einem Champions-League-Spiel, wo sich unzählige Journalisten um die besten Plätze streiten, oder am Seitenrand nach einem Test-Kicks: Sommer bleibt immer stehen. Und Sommer geht erst dann weiter, wenn auch der letzte Reporter seine Frage gestellt hat.

Der etwas andere Anti-Fußballer

Abseits des Platzes entsprechen Sommers Lebensstil und Einstellung eher denen eines Hochschuldozenten als denen eines Fußballprofis. Der 26-Jährige liest viel, besucht Kunstausstellungen und genießt es, alleine zu sein. Seine Eltern legten ihm eine besondere Leidenschaft für gutes Essen und das Kochen in die Wiege. Inzwischen betreibt der Schweizer einen eigenen Koch- und Rezept-Blog, der sich immer größer werdender Beliebtheit erfreut. "Kochen bedeutet auch Abschalten. Manche sagen: 'Du spinnst', aber ich finde es einfach toll", beschreibt er seine Passion gegenüber 11Freunde.

In der Schweizer TV-Sendung "Glanz und Gloria" sprach Sommer über seine Werbebilder für einen Kosmetikartikel-Hersteller, seine Begeisterung für die Musik und seine "passablen" Fertigkeiten an der Gitarre. Die nicht ganz unvorbereitete Moderatorin hatte auch gleich eine solche zur Hand, auf der Sommer so eindrucksvoll spielte, dass die junge Dame aus dem Staunen kaum heraus kam. Inzwischen nimmt er sogar Gesangsunterricht, um sich selber begleiten zu können.

IN Mönchengladbach hat er sein sportliches Glück gefunden, ein Wechsel nur des Geldes oder des Namens wegen kommt für den umworbenen Keeper nicht in Frage. "Ich bin nicht der Typ der einfach irgendwohin wechselt. Mir ist es wichtig ein Umfeld anzutreffen, wo ich mich wohl fühle", erklärte er seine Entscheidung pro Gladbach in der SZ.

Sommer will immer

Die Gelassenheit legt Sommer auf dem Platz nicht an den Tag. Der Schweizer ist 90 Minuten hochkonzentriert, nimmt ständig Einfluss auf seine Vorderleute und meldet lauthals mögliches Gefahrenpotential. Nach seinem Nasenbeinbruch im Champions-League-Spiel gegen Turin spielte der Keeper trotz seiner Verletzung weiter. Nur zwei Wochen später stand er mit Maske wieder auf dem Feld. "In manchen Vereinen sind die Torhüter froh, wenn sie mal eine Pause bekommen, bei Yann ist das anders. Er will immer spielen, egal ob Liga, Pokal oder beim Testspiel", beschreibt Kamps den Ehrgeiz seines Schützlings.

Der Ex-Keeper und jetzige Torwart-Trainer Gladbachs hat nach der finalen Ausbildung ter Stegens in Sommers Verpflichtung, an der er großen Anteil hatte, sein zweites Meisterstück abgeliefert. Das Anforderungsprofil an den neuen Torwart war riesig und Sommer eine riskante Wahl. 17 Monate später muss man aber festhalten, dass die Borussia es nicht besser hätte treffen können. Sommer ist nicht nur ein herausragender Keeper, der mit seinen Paraden schon etliche Punkte garantierte, sondern auch menschlich ein Unikat. Auch oder gerade weil er nicht der typische Fußballer ist.

Yann Sommer im Steckbrief