"Bayern nahm Verletzung als Vorwand"

Von Florian Schimak und Daniel Reimann
Oliver Neuville (r.) wäre einst beinahe zum FC Bayern gewechselt
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SPOX: Am Ende landeten Sie in Gladbach. Erinnern Sie sich noch an Ihre Vorlage für Roberto Colautti gegen Schalke in der Saison 08/09? Letztlich war es ein entscheidendes Tor auf dem Weg zum Klassenerhalt...

Neuville: Aber natürlich! Das war ein wahnsinniges Erlebnis. In Gladbach herrscht im Stadion immer eine sensationelle Stimmung, aber was nach diesem Tor passierte... Wow! Das war unbeschreiblich. So ein besonderes Spiel und dann macht Roberto in der 93. Minute das Tor. Das war Gänsehaut pur.

SPOX: Was lief in jener Saison bei der Borussia falsch? An sich war der Kader doch ordentlich besetzt.

Neuville: Zwei Saisons davor stiegen wir mit Gladbach ab. Wir waren keine Mannschaft, sondern zu viele Einzelspieler. Der Teamspirit fehlte in der Saison. Wir stiegen jedoch postwendend wieder auf, allerdings machte man dann einige Fehler...

SPOX: Inwiefern?

Neuville: Nehmen Sie das aktuelle Beispiel Paderborn. Dort ist die Truppe nach dem Aufstieg zusammen geblieben und wurde nur minimal verstärkt. In Gladbach kamen nach dem Aufstieg aber sechs, sieben neue Spieler, die automatisch aufgestellt wurden. Vielleicht hätte man der Aufstiegsmannschaft vertrauen sollen und nur kleine Veränderungen am Kader vornehmen sollen.

SPOX: In Ihrer letzten Saison hat Gladbach zu Hause gegen Leverkusen gespielt. Sie wurden 30 Minuten vor Schluss eingewechselt und von 54.000 Fans gefeiert. Wie haben Sie den Moment wahrgenommen?

Neuville: Das war natürlich der perfekte Abschied. Ich hatte sechs Jahre für Gladbach und zuvor fünf für Leverkusen gespielt - und dann trafen die beiden Teams in meinem letzten Spiel aufeinander. Besser hätte es kein Drehbuchautor verfassen können. 54.000 Zuschauer, beide Seiten jubelten mir zu. Überwältigend. Daher brauchte ich auch kein offizielles Abschiedsspiel mehr.

SPOX: War das der vielleicht emotionalste Moment Ihrer Karriere?

Neuville: Ja, vielleicht. Das kann man schon so sagen. Wobei auch das Tor gegen Polen in Dortmund bei der WM 2006 unfassbar emotional war. Das war in jedem Fall etwas, was man nie wieder vergessen wird.

SPOX: War es auch das wichtigste Tor in Ihrer Karriere?

Neuville: Das würde ich nicht sagen, aber es war das emotionalste. Es gilt als der Startschuss des Sommermärchens 2006. Aber die wichtigsten Treffer erzielte ich im Champions-League-Halbfinale 2002 gegen Manchester United. Auch das 1:0 gegen Paraguay bei der WM 2002 im Achtelfinale war enorm wichtig, weil uns damals niemand zugetraut hätte, dass wir die Vorrunde in Japan und Südkorea überstehen. Im Achtelfinale war es ein sehr enges Spiel, zwei Minuten vor Schluss machte ich nach Vorlage von Bernd Schneider das Tor - und wir kamen am Ende bis ins Finale.

SPOX: Letztlich lief Ihre Karriere sehr erfolgreich. Gibt es dennoch etwas, was Sie womöglich im Nachhinein anders gemacht hätten? Etwas, wovon Sie glauben, Sie hätten es verpasst?

Neuville: Nein, ich bin sehr zufrieden, wie meine Karriere verlief. Natürlich denkt man ab und an mal nach, wie es verlaufen wäre, wenn das mit den Bayern geklappt hätte. Aber wer weiß, vielleicht hätte ich dort keine Minuten bekommen und meine Karriere hätte einen negativen Verlauf genommen. So habe ich in der Schweiz, in Spanien und in Deutschland gespielt und habe dabei neue Kulturen kennengelernt. Das passt alles schon so.

SPOX: 2009 wollten Sie zurück zu Hansa Rostock in die 2. Liga. Gladbach ließ Sie nicht ziehen. Waren Sie anschließend sauer?

Neuville: Überhaupt nicht. Das war nur eine Überlegung, konkret war dabei wenig. Es wäre viel mehr eine Herzensangelegenheit gewesen. Zumal Andreas Zachhuber zu diesem Zeitpunkt dort Trainer war. Letzten Endes hat es sich nicht ergeben, aber sauer war ich nicht. Ich hatte zuvor bereits zwei tolle Jahre in Rostock.

SPOX: Sind Sie im Nachhinein froh, geblieben zu sein? Gladbach bot Ihnen später den Jugendtrainerposten an.

Neuville: Ja, natürlich. Ich war insgesamt sechs Jahre Profi bei der Borussia, anschließend habe ich ein einjähriges Praktikum gemacht und durfte dann zunächst zusammen mit Horst Steffen die U19 übernehmen. Die Arbeit mit den Jungs machte mir von Beginn ungemein viel Spaß.

SPOX: Heute bilden Sie das Trainer-Duo mit Arie van Lent. Sie waren zwei komplett unterschiedliche Stürmertypen. Ist diese Konstellation ein Vorteil, vor allem im Hinblick auf die Ausbildung der Stürmer?

Neuville: Wir ergänzen uns auf jeder Ebene, das klappt alles super. Insgesamt sind wir zu dritt, Marc Roch gehört auch noch zum Trainierteam. Wir reden viel miteinander, tauschen uns aus und sprechen alles untereinander ab.

SPOX: Wie stark wirkt es sich aus, dass Sie sich schon recht lange kennen? Immerhin waren Sie beide in der Bundesliga aktiv.

Neuville: Das spielt natürlich eine Rolle, obwohl wir auch nie zusammen in einem Verein gespielt haben. So richtig gut haben wir uns erst durch die Weisweiler-Elf, der Traditionself der Borussia, kennengelernt. Nachdem Steffen zu den Stuttgarter Kickers wechselte, übernahm Arie die U 19 und seitdem arbeiten wir wirklich fruchtbar zusammen.

SPOX: Van Lents Trainer-Karriere ist im Vergleich zu Ihrer schon fortgeschrittener, er trainierte bereits Profiteams. Was können Sie von van Lent lernen?

Neuville: In manchen Bereichen blicke ich schon zu ihm auf, aber er schaut genauso auf mich. Weil es für uns beide Neuland ist, eine Jugendmannschaft zu trainieren. Es ist ein großer Unterschied, ob man Profis oder Jugendspieler trainiert.

SPOX: Was sind die gravierendsten Unterschiede?

Neuville: Zunächst das Alter (lacht). Die Profis sind natürlich taktisch viel weiter, bei der Jugend müssen wir viel mehr ins Detail gehen, das ist klar. Aber auch in Sachen Trainingsplanung ist es etwas anderes. Im Seniorenbereich weißt du, dass du in jedem Training immer deine 20 Spieler hast. In den Jugendteams kann der ein oder andere wegen der Schule mal nicht kommen. Da muss man ab und an improvisieren.

SPOX: Van Lent und Sie haben den Verein über das letzte Jahrzehnt durchaus geprägt. Ist das von Vorteil gegenüber Jugendspielern, wenn Sie Ihnen die Klub-Philosophie einimpfen?

Neuville: Das große Plus bei der Borussia ist, dass so viele Leute mit Stallgeruch mit im Boot sitzen. Das passt einfach. Max Eberl hat lange für Gladbach gespielt, genau wie Steffen Korell. Roland Virkus ist auch seit 20, 25 Jahren bei der Borussia. Das passt alles einfach zusammen und so können wir diese Identifikation auch leben und an die Jungs weitergeben.

SPOX: Aber gerade Eberl wurde anfangs sehr kritisch beäugt...

Neuville: Alles braucht seine Zeit. Max hat schon sehr gute Arbeit als Manager der Jugendabteilung gemacht. Anschließenden hatte er das Quäntchen Glück, dass man im Leben manchmal haben muss. Inzwischen macht er einen hervorragenden Job. Mit Kontinuität hat er die Borussia fast in die Champions League geführt. An diesem Erfolg hat er einen erheblichen Anteil.

SPOX: Wie eng ist der Kontakt zu Lucien Favre?

Neuville: Dadurch, dass wir beide Schweizer sind, unterhalten wir uns schon ab und an mal (lacht). Ein bis zwei Mal im Monat trainieren die größten Talente unter Manfred Stefes (Co-Trainer von Lucien Favre, Amn. d. Red.). Da sind dann vielleicht zehn Spieler von der U 19, vier oder fünf von der U17 und der ein oder andere von der U 23 dabei. Das Trainerteam beobachtet die Einheit dann genauestens. Somit ist Favre immer bestens informiert. Einen Geheimtipp kann ich ihm so nicht geben.

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