"Tuchel? Mich bedrückt das schon"

Christian Heidel (l.) beförderte Thomas Tuchel im August 2009 zum Cheftrainer des 1. FSV Mainz 05
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SPOX: Wie "kompliziert" ist Hjulmand?

Heidel: Er analysiert alles und sucht Lösungen und Wege. Das betrifft nicht nur seine aktuelle Mannschaft, sondern eigentlich den ganzen Klub. Das Miteinander aller ist ihm extrem wichtig. So muss ein Trainer von Mainz 05 auch sein. Er darf nicht nur schauen, ob wir am 34. Spieltag Fünfter, Neunter oder Dreizehnter geworden sind, sondern muss auch die mittel- oder langfristige Auswirkungen von Entscheidungen bedenken.

SPOX: Er darf also nicht im Kopf haben, Mainz als Sprungbrett benutzen zu wollen.

Heidel: Nein. Wenn es zeitlich geht, schaut Kasper jedes Spiel unserer U 23 oder U 19. Das gibt mir das Gefühl, dass er sich mehr als ein Jahr für uns interessiert. Die Überschrift unserer Zusammenarbeit lautet immer "Entwicklung". Als wir uns damals unterhalten haben, war das Wort "development" in jedem Satz dabei. Wir haben uns als gesamter Klub unter Klopp und Tuchel weiterentwickelt, durch Kasper kommen jetzt wieder neue Ideen hinzu. Das ist uns sehr wichtig.

SPOX: Wie sieht derzeit eigentlich Ihr Kontakt zu Tuchel aus?

Heidel: Zur Zeit sehen wir uns nicht. Es hat sich noch nicht ergeben.

SPOX: Sie beide haben sich die letzten Jahre täglich ausgetauscht. Fehlt Ihnen das nicht auch irgendwo oder lenkt das Tagesgeschäft zu sehr ab, um so etwas wirklich zu bemerken?

Heidel: Das kann man so nicht sagen. Trainerwechsel gehören dazu. Aber ich schätze Thomas als Mensch einfach sehr. Wenn man die deutsche Meisterschaft mit der A-Jugend hinzunimmt, hatten wir fünfeinhalb überragende Jahre - und dann ein halbes problematisches Jahr. Wir haben oft diskutiert, aber hatten keinerlei Dissonanzen. Er hat hier in einer Eigenverantwortung und Freiheit arbeiten und sich entwickeln können, die wohl bei keinem anderen Klub möglich ist. Davon haben Trainer und Verein sehr profitiert.

SPOX: Dennoch wollte er nicht weitermachen.

Heidel: Das war sicherlich keine alltägliche Entscheidung. Eigentlich muss ich auch sagen, dass die wirkliche Problematik erst in den letzten vier Wochen aufgekommen ist. Ich habe seinen Entschluss akzeptieren können. Die einzige Sache, bei der wir angeeckt sind, war die Art, wie seine Entscheidung an die Öffentlichkeit kam. Ich glaube, dass dies der Punkt ist, der Thomas stört.

SPOX: Tuchel hat vor dem letzten Spiel gegen den Hamburger SV ein Interview gegeben, nach dem im Prinzip jeder wusste, dass dies sein letztes Spiel als FSV-Trainer sein würde - auch wenn er es nicht ausgesprochen hat.

Heidel: Wir haben dann den HSV geschlagen und sind in die Europa-League-Qualifikation eingezogen. Es gab aber nach Spielende nur ein einziges Thema: Was passiert auf der von Thomas angekündigten Pressekonferenz am Tag darauf?

SPOX: Sie wussten von seiner Entscheidung schon lange.

Heidel: Seit der letzten Januar-Woche. Wir hatten vereinbart, dass wir das bis zum letzten Spieltag nicht nach außen geben, um in Ruhe arbeiten zu können. An diesem Tag habe ich dann aber nach Spielschluss um halb sechs entschieden, dass ich der Presse jetzt das bestätigen muss, was eh schon jeder wusste. Wir hätten als Verein sonst ein merkwürdiges Bild abgegeben.

SPOX: Das fand Tuchel wiederum nicht so toll.

Heidel: Ich glaube, ja. Das kann ich aus seiner Perspektive auch nachvollziehen. Nach Spielende haben sich die Dinge ein bisschen überschlagen und der Verein war gezwungen, sich zu erklären. Die Reaktion der Öffentlichkeit hat dies aber nicht beeinflusst, da bin ich sicher. Meine Befürchtungen hierzu hatte ich Thomas auch Wochen vorher schon gesagt.

Christian Heidel spricht im zweiten Teil des Interviews über die Investoren-Problematik und Überlebenschancen in der Bundesliga - am Freitag auf SPOX.com

SPOX: Wie sah denn die Zusammenarbeit von Januar bis Mai aus?

Heidel: Ohne jegliche Probleme. Ich glaubte und glaube ihm die Beweggründe für seinen Schritt zu einhundert Prozent. Ich habe immer gehofft, dass er seine Meinung noch ändert und die neue Saison doch noch durchzieht.

SPOX: Was oft unklar war: Hat Tuchel bei Ihnen um seine Freigabe gebeten?

Heidel: Nicht ein einziges Mal. Überall wird das aber behauptet. Er kam nie zu mir und hat gesagt, er würde jetzt gerne wechseln. Stattdessen hat er zu mir gesagt: Ich möchte aufhören, aber ich habe hier einen Vertrag und kann nur irgendwo arbeiten, wenn du ja sagst. Das rechne ich ihm sehr hoch an. Er hat auch nie gesagt, dass er dieses sogenannte Sabbatjahr für die komplette Zeit durchziehen möchte. Er hat gesagt: Momentan will ich nicht, aber wenn ich irgendwann einmal zu dir kommen sollte, musst du es entscheiden. Wir waren uns da vollkommen einig, das war korrekt und fair.

SPOX: Was passiert, wenn Tuchel morgen anruft und bei einem neuen Verein anfangen möchte?

Heidel: Dann werden wir das besprechen und entscheiden.

SPOX: Sie sagten, Sie wollen sich mit Tuchel auf jeden Fall noch einmal hinsetzen und alles bereden. Befürchten Sie, dass das weniger akut sein könnte, je mehr Zeit vergeht?

Heidel: Nein. Wenn das Emotionale mal draußen ist, wird das auch passieren, hoffe ich. Mich bedrückt das schon, daraus mache ich keinen Hehl. Aber nicht aus dem Gefühl eines schlechten Gewissens heraus. Ich habe über Thomas Tuchel noch nie ein schlechtes Wort verloren, auch nicht hinten herum. Hierfür gibt und gab es für mich auch keinen Grund. Ich schätze ihn als Trainer und als Mensch. Daran wird sich nichts ändern.

SPOX: Wäre es dann aber nicht besser, dass das Gespräch stattfindet, bevor er mit einem neuen Klub um die Ecke kommt?

Heidel: Nein. Das hat ganz sicher überhaupt nichts miteinander zu tun. Das kann ich trennen.

Seite 1: Heidel über Trainer Hjulmand und den entscheidenden Trip nach Dänemark

Seite 2: Heidel über Thomas Tuchel, dessen Rücktritt und ein klärendes Gespräch

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