"Scouting heißt auch Selbstkritik"

Jörg Jakobs (r.) im Gespräch mit Kölns Cheftrainer Peter Stöger
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Jörg Jakobs arbeitet schon lange Zeit mit Jörg Schmadtke zusammen. Mittlerweile ist Jakobs Sportdirektor beim 1. FC Köln - und seit jeher ein Experte auf dem Gebiet des Scouting. Im Interview spricht Jakobs über seine eigenen Anfänge als Spielerbeobachter, den Sinn und Zweck des Scoutings und er kritisiert die ehemalige Kölner Scouting-Institution "Sportslab".

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SPOX: Herr Jakobs, Sie haben nun einen Vertrag bis zum 30. Juni 2018 und heißen offiziell Sportdirektor statt wie zuvor Kaderplaner. Wie groß ist der Mehraufwand tatsächlich?

Jörg Jakobs: Es sind natürlich Themen hinzugekommen. Insbesondere der Nachwuchs und die zweite Mannschaft, diese Bereiche verantworte ich nun mit. Das sind Gebiete, mit denen man sehr viel Zeit aufbringen muss. Ich bin zudem jetzt auch intern Anlaufstelle für mehrere Dinge als zuvor. Es ist also schon mehr geworden, Stress würde ich es aber nicht nennen wollen - dazu macht es zu viel Spaß.

SPOX: Sie haben sich im Fußball bislang unter anderem als Scout, Co-Trainer und Fitnesscoach verdingt. Wieso sind Sie nicht eines davon geblieben?

Jakobs: Ich bin so etwas wie ein klassischer Quereinsteiger. Ich war ganz normaler Amateurkicker und habe an der Sporthochschule Köln zum Thema "Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung im Fußball" promoviert. Das war der theoretische Hintergrund. Das praktische Fundament kam 2002 hinzu, als ich bei Alemannia Aachen unter Jörg Schmadtke anfing. Der Verein war nur rudimentär entwickelt und hatte kaum finanzielle Mittel, sehr wenige Personen haben sehr viel geleistet. Als wir damit begannen, professionelle Strukturen zu etablieren, beschäftigte ich mich mit dem Bereich Scouting und habe auch auf dem Trainingsplatz gearbeitet. Das hat mir in der Folge vieles erleichtert, da ich zahlreiche Facetten aus unterschiedlichen Perspektiven kennen gelernt habe. Und so bin ich letztlich in dieses Business hineingerutscht.

SPOX: Sie haben an der Seite von Trainern wie Dieter Hecking, Jörg Berger oder Michael Frontzeck gearbeitet. Selbst Chefcoach zu werden war nie eine Option?

Jakobs: Das war zumindest keine Sache, auf die ich hingearbeitet habe, auch wenn ich nach der Zeit in Aachen 2009 den Fußballlehrer gemacht habe. Der Job des Cheftrainers ist schon sehr spezifisch und natürlich stark darauf ausgelegt, eine Mannschaft über Trainingsarbeit zu entwickeln. Mir gefallen das große Ganze und die Arbeit im Hintergrund besser.

SPOX: Was hätten Sie zu Ihren Anfängen jemandem gesagt, der Ihnen prognostiziert hätte, dass Sie mal als Sportdirektor eines traditionsreichen Bundesligaklubs arbeiten werden?

Jakobs: Wie schon gesagt, ich bin in vielerlei Hinsicht ein Quereinsteiger. Daher hatte ich bei meiner Karriereplanung nie einen bestimmten Posten im Sinn. Es haben sich viele Dinge einfach mit der Zeit ergeben, das kommt in unserem Geschäft schon mal vor.

SPOX: Können Sie sich noch an Ihre ersten Schritte erinnern, die Sie im Scoutingbereich getätigt haben?

Jakobs: Sehr gut sogar. Ich hatte Jörg Schmadtke kennengelernt, kurz bevor er in Aachen anfing. Wir haben dann zusammengesessen und er hat mich gefragt, ob ich ihm helfen könne. Ich saß damals noch an meiner fast fertigen Promotion. Für mich war das aber natürlich extrem interessant, um nach der theorielastigen Sporthochschule, für die ich auch als Lehrkraft gearbeitet habe, in die Praxis hinein schnuppern zu können. Ich habe dann angefangen, Jörg beim Scouting zu unterstützen. Wir haben uns damals sehr viel 3. Liga angeschaut, beispielsweise Hoffenheim unter Hansi Flick. Mit der Zeit kamen ausländische Märkte wie Skandinavien hinzu, in denen wir die ersten Kontakte aufgebaut haben.

SPOX: Wie aber konnte Schmadtke denn sicher sein, dass Sie ein guter Scout sind?

Jakobs: Wir haben uns ja im Fußballumfeld kennengelernt und uns mehrfach ausgetauscht. Da merkt man schnell, ob man auf einer Wellenlinie liegt. Wir sind zusammen zu Spielen gefahren und haben relativ zügig gewisse Rituale in der Analyse entwickelt, die zusammengepasst haben.

SPOX: Rituale?

Jakobs: Wir konnten beispielsweise 90 Minuten schweigend auf der Tribüne sitzen und erst auf der Rückfahrt im Auto dann ausgiebig analysieren. Da haben wir gemerkt, dass uns oft dieselben Dinge - auch kleinste Details wie die Wirkungsweise des Verhaltens von Spieler X auf seine Mannschaft oder den Trainer - aufgefallen sind. Solche Sachen eben. Diese gemeinsam in der Praxis erarbeitete Linie geben wir nun an unsere Scouts und Mitarbeiter weiter.

SPOX: Wie wird man denn eigentlich Scout, eine wirkliche Qualifikation geschweige denn Ausbildung gibt es ja nicht?

Jakobs: Genau, es kommt niemand mit besonders guten Noten im Fach Scouting an (lacht). Viele rutschen da hinein, weil sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Ich kenne mittlerweile viele solcher Geschichten von Leuten, die nun im Profibereich arbeiten. Ein gutes Beispiel wäre Samir Arabi, der sportlicher Leiter bei Arminia Bielefeld wurde. Ihn haben wir in Aachen dazu genommen, obwohl er gar keine Fußballnähe hatte. Er war weder Profi, noch hatte er einen sportwissenschaftlichen Hintergrund. Doch seine Herangehensweise an die Sache war einfach gut.

SPOX: Würden Sie es begrüßen, wenn es wie bei den Trainern auch für Scouts eine Lizenz geben würde?

Jakobs: Wer soll die Scouts ausbilden? Das kann nur jemand sein, der jahrelang erfolgreich in der Praxis gearbeitet hat. Der Theorie-Praxis-Konflikt muss aufgelöst werden. Ich glaube, dass eine Scout-Ausbildung durchaus ein Weg sein kann. In England gibt es ja beispielsweise das Hochschulfach "Spielanalyse".

SPOX: Es heißt, ein guter Scout sei man dann, wenn man nicht nur gute, sondern auch nicht die falschen Spieler zu seinem Klub holt. Griffe ins Klo müssten doch aber gerade am Anfang einer jeden Scout-Karriere unumgänglich sein. Kann man dieses Paket also nur bieten, wenn man schon ausreichend Erfahrung gesammelt hat?

Jakobs: In erster Linie ist ein Scout dazu da, der sportlichen Leitung verlässlich und schnell Informationen zu liefern - also eine Marktübersicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwo ein Juwel entdeckt, wird immer geringer, da es immer mehr Scouts gibt und die Vereine auch immer besser arbeiten. Daher müssen, wenn man zum schnellen Handeln gezwungen ist oder man Spieler angeboten bekommt, die Informationen wasserdicht sein. Da geht es dann nicht nur um Empfehlungen, sondern auch darum, Spieler abzulehnen. Die "Falschmeldungen" müssen aussortiert werden. Allerdings ist vor Fehlern niemand gefeit, Erfahrung hin oder her.

SPOX: Muss sich ein Scout also immer wieder neu erfinden?

Jakobs: Das nicht unbedingt, aber es ist jedenfalls sehr wichtig, die eigenen Einschätzungen permanent zu hinterfragen. Das geht auch relativ leicht, denn selbst wenn meine Meinung über einen Spieler nicht dazu geführt hat, dass er auch bei meinem Verein untergekommen ist, kann ich ja trotzdem schauen, wie sich der Spieler entwickelt - und ob ich richtig oder falsch gelegen bin. Scouting heißt auch Selbstkritik.

SPOX: Jörg Schmadtke hat im SPOX-Interview gesagt, dass ein Scout die Fähigkeiten eines ausländischen Spielers auf das Niveau der eigenen Liga transportieren können muss. Wie eignet man sich das an?

Jakobs: Eine Hilfe sind Leute vor Ort, die einerseits den jeweiligen Markt gut einschätzen können, aber auch die Anforderungen der deutschen Bundesliga kennen. Diese Leute muss man suchen. Wenn man sie aber einmal gefunden hat, sind sie eine sehr große Hilfe. Die Märkte sind kulturell, ökonomisch oder sportlich so vielschichtig, das kann man nicht alles selbst wissen. Dazu ist der Weltmarkt Fußball zu groß. Man braucht also ortskundige Informanten, die einem Informationen und Interpretationen liefern.

SPOX: Und wo findet man diese ortskundigen Informanten?

Jakobs: Das lässt sich nicht pauschal sagen, auch da spielen wieder Zufälle und Kontakte mit hinein. Ein Beispiel wäre ein ausländischer Absolvent der Sporthochschule, der als Jugendtrainer bei einem Profiverein mitgearbeitet hat und in sein Heimatland zurückkehrt. Das könnte eine ideale Konstellation sein.

SPOX: Inwiefern scoutet man auch Scouts?

Jakobs: Gewissermaßen tun wir das. Wir können uns durch unsere Nähe zur Sporthochschule fußballverrückte Sportstudenten genau anschauen. Das ist dann aber ein Prozess, an dessen Anfang verschiede Fragen stehen: Wie sehen sie Fußball, welche Arbeitseinstellung legen sie an den Tag, wie verhalten sie sich abseits vom Bildschirm im Live-Scouting, wie gehen sie generell mit diesem exponierten Job um? Wir werben keine Scouts innerhalb der Branche ab, sondern wollen selbst ausbilden.

Seite 1: Jakobs über seine neue Rolle, das Verhltnis zu Schmadtke und die Fähigkeiten von Scouts

Seite 2: Jakobs über tote Märkte, die Fehler des "Sportslab" und ungewöhnliche Scouting-Erlebnisse