Spieltag 140

Von Stefan Rommel
Der Gang zu den Fans ist derzeit kein leichter beim VfB Stuttgart
© getty

Vier Spiele, ein Punkt, Tabellenplatz 18: Der VfB Stuttgart steckt schon früh in der Saison wieder im alten Trott. Sportvorstand Fredi Bobic wird hart attackiert, die Fans verlieren nach Jahren des Misserfolgs so langsam die Geduld. Der VfB hat auf die angekündigten Aufräumarbeiten keine Taten folgen lassen. Der Klub hat sein großes grundsätzliches Problem immer noch nicht gelöst. Die Zukunft sieht deshalb nicht besonders rosig aus. Dabei ist auch nicht alles schlecht beim VfB.

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Was ist das größte Problem?

Die Liste der Verfehlungen ist lang. Und auch in den letzten Monaten konnte offenbar wenig daran geändert werden. Die eine große Aufgabe der Sommerpause war eine schonungslose und differenzierte Aufarbeitung der abgelaufenen Saison, die nach zwei Trainerentlassungen beinahe im Exitus geendet wäre. Alle Verantwortlichen betonten dies immer wieder.

Es wurden Änderungen auf allen Ebenen vorgenommen - die zentrale Frage, die sich dem Klub nun seit Jahren schon stellt, aber nicht ausreichend beantwortet. Es geht dabei um die notwendige Leistungskultur innerhalb des Vereins.

Die Mannschaft benötige in dieser abermals prekären Lage ein Erfolgserlebnis, um "den Bock umzustoßen". Das hat Fredi Bobic gesagt. Das mag auf der einen Seite stimmen, ein Sieg nach fünf Pflichtspielen ohne Erfolgserlebnis kann kaum schaden. Auf der anderen Seite sind Sätze wie diese auch schon zu oft erzählt, als dass sie noch relevanten Wahrheitsgehalt hätten.

Und überdies: Wie oft hat die Mannschaft bereits bewiesen, dass sie zwar partiell den einen oder anderen Erfolg erzielen kann - nur um sich danach wieder zurückzuziehen ins warme Nest der Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit, die dann wiederum später umschlägt in eine gewisse Wehleidigkeit?

Die handelnden Personen sind beim VfB zu schnell mit zu wenig zufrieden. Der unbedingte Antrieb, immer besser werden zu wollen, sich noch mehr zu steigern: Er fehlt. Und das seit Jahren. Die schwäbische Hochleistungskultur macht einen großen Bogen um den VfB. Das ist die Kernthese aller Kritik. Die Spieler werden vom Klub immer noch hofiert, im Ligavergleich muss sich der Etat für den Kader nicht verstecken.

Das neue Motto "Furchtlos und treu" soll die Leitmotive Heimat, Emotionalität, Leidenschaft und Tradition vereinen und zu einem geschlossenen Bild miteinander verknüpfen. Die Art und Weise, wie die Mannschaft auftritt, soll diese Kernpunkte unterstreichen. Viel ist davon bisher nicht zu sehen. Zu hundertprozentiger Leistungsfähigkeit gehört auch, sich hundertprozentig mit dem Produkt zu identifizieren.

Offenbar ist das nicht jedem bewusst. Selbst das schönste Motto ist dann nutzlos. Noch versucht der Klub, seiner Kundschaft etwas Unfertiges als Hochglanzprodukt unterzujubeln. Vielleicht wäre etwas mehr Vorleistung nötig gewesen, um eine Marke so aggressiv zu platzieren.

Was sind die sportlichen Fehler?

Trainer Armin Veh wirkte bereits nach dem blamablen Auftritt gegen Köln zu Hause ratlos. Das war am 2. Spieltag. Jetzt hat der Rückkehrer auch freimütig zugegeben, dass er sich die Aufgabe leichter vorgestellt hätte.

Auch der vierte Trainer innerhalb der letzten zwölf Monate konnte bisher an den entscheidenden Punkten keine Besserung herbeiführen. Der Mannschaft fehlt es insbesondere bei Heimspielen - von den letzten 36 wurde die Hälfte verloren - an Kreativität, Spielwitz, Spielintelligenz und Wucht.

Es fehlt an den fußballerischen Grundelementen, mit denen ein Gegner dauerhaft bespielt und irgendwann auch auseinandergespielt werden kann; an Präzision im Passspiel, an der Laufbereitschaft im richtigen Moment. Es fehlt auch weiterhin ein klarer Plan, nach dem die Mannschaft bei Heimspielen auf die immer noch destruktivere Ausrichtung des Gegners reagiert.

Selbst der letzte Gegner Hoffenheim vergaß für 90 Minuten sein prinzipiell offensiv geprägtes Naturell und setzte auf eine verstärkte Defensive. Hoffenheim experimentierte in der Mercedes-Benz Arena und sah "einen Fortschritt in der Entwicklung der Mannschaft", wie es Trainer Markus Gisdol ausdrückte. Es ist anzunehmen, dass sich auch die Vielzahl der kommenden Gegner in Stuttgart auf eine derart verhaltene Ausrichtung einstimmt, wie es Hoffenheim und Köln getan haben. Aber wie sehen dann die Reaktionen von Armin Veh darauf aus?

Der hält bisher starr an der personellen Besetzung seiner Stammelf fest. Selbst Spieler wie Gotoku Sakai, Daniel Schwaab, Christian Gentner oder Martin Harnik spielen weiter von Beginn an. Obwohl ihre Leistungen bisher förmlich darum betteln, sie auf die Bank zu setzen. Veh verwies nach dem Hoffenheim-Spiel darauf, dass man "nicht sicherer wird, wenn man zu viel wechselt."

Das kann man generell so sehen, für seine Mannschaft dürfte diese Erkenntnis aber kaum zutreffen. Carlos Gruezo sitzt nur noch auf der Bank, der Ekuadorianer wird nach seiner überraschend starken Rückrunde kaum noch beachtet. Sein Vertreter Oriol Romeu macht seine Sache bisher ordentlich. Die Idee, beide zusammen im defensiven Mittelfeld auflaufen zu lassen, scheitert aber an Vehs prinzipieller Vorsicht vor zu vielen Experimenten.

Filip Kostic hat in seinen wenigen Kurzeinsätzen bisher immer eine Spur Wagnis und Mut einbringen können. Der Serbe kann als einziger im Kader überdurchschnittlich gut dribbeln und mit Eins-gegen-Eins-Situationen das auflösen, wozu die Mannschaft durch Pass- und Kombinationsspiel offensichtlich nicht in der Lage ist.

Auch hier will Veh nicht das System für einen einzelnen Spieler umstellen, vielmehr spielt er mit zwei Spielern auf den Halbpositionen, die defensiv stärker sind und die Raute so besser tragen sollen. Es stellt sich allerdings auch die Frage, warum ein Spieler wie Kostic für kolportierte sechs Millionen Euro verpflichtet wird, wenn im gewünschten System nur in besonderen Spielsituationen für ihn Platz ist.

Natürlich kommt auch eine Spur Pech dazu, wenn etwa gegen Köln oder jetzt Hoffenheim gleich der erste eigene Fehler bestraft wird und der erste Schuss des Gegners sitzt. Dann zeigt sich aber auch, dass die Mannschaft mit einem derartigen Negativerlebnis nicht umgehen kann. Die Körpersprache ist verheerend, die Resignation und Mutlosigkeit zum Greifen nah.

Andere Mannschaften wie Werder Bremen (oder Augsburg, Paderborn, Freiburg) verfügen gewiss nicht über eine höhere individuelle Klasse - aber sie sind zum Kämpfen bereit. Den Trainern dort ist es aber gelungen, aus dem Ganzen mehr als nur die Summe der Einzelteile zu machen. In Stuttgart ist es bisher noch genau umgekehrt.

Das Startprogramm war schwer. Aber es war nicht unmöglich, mehrfach zu punkten. Selbst in München war es in den letzten Jahren kaum einfacher, etwas Zählbares mitzunehmen. Der VfB rennt einmal mehr zum Start der Musik hinterher. Und es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, diesen Rückstand wieder aufzuholen.

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