Endlich angekommen

Von Stefan Rommel
Der neue HSV-Cheftrainer Joe Zinnbauer (r.) hat Spaß bei seiner ersten Trainingseinheit
© getty

Mit Josef Zinnbauer hat sich der Hamburger SV für die interne und auch ein wenig überraschende Lösung entschieden. Der neue Trainer soll die leblose Mannschaft erwecken. Klub-Boss Dietmar Beiersdorfer ist für den Moment rundum zufrieden mit seiner Wahl. Und trotzdem spricht einiges dafür, dass der HSV die Augen auf dem Trainermarkt weiterhin offen hält.

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Am Dienstag wurde Jürgen Klopp befragt, ob er noch Kontakt habe zu Josef Zinnbauer. "Ich freue mich sehr für Joe Zinnbauer, dass er Trainer des HSV geworden ist", sagte Klopp erst und fragte dann in die Runde der Journalisten: "Hat jemand von Euch mal die Handy-Nummer, damit ich ihn anrufen kann, um zu gratulieren?"

Ein paar Stunden zuvor wurde Josef Zinnbauer befragt, ob er noch Kontakt zu seinem ehemaligen Mitspieler Klopp habe. Und Zinnbauer, der nicht Josef, sondern Joe genannt werden will, antwortete: "Ich habe ihm neulich noch bei Whatsapp geschrieben."

Jürgen Klopp war beim Gespräch über seinen ehemaligen Mitspieler besonders gut drauf, er hatte mit seiner Mannschaft gerade den FC Arsenal zum Auftakt der Champions League bezwungen. Es war ein Ausrufezeichen in der besten Liga der Welt. So ist der etwas launige letzte Satz dann wohl auch zu erklären.

Joe Zinnbauer hat mit seiner Mannschaft zuletzt den BV Cloppenburg bezwungen. Regionalliga Nord, die vierte Spielklasse in Deutschland. Schon in zwei Wochen sehen sich beide wieder, dann reist der HSV zum Auswärtsspiel nach Dortmund.

Seine große Chance

Dem Fachmagazin "Kicker" ist der HSV in der aktuellen Tabelle durchgerutscht, in der Donnerstagausgabe weist das Tableau nur 17 Mannschaften aus. Der Tabellenletzte fehlt. Und das ist der Hamburger SV. Das ist er nach drei Spieltagen deshalb, weil im Volkspark nach dem Beinahe-Exitus der vergangenen Saison nur wenig besser geworden ist. Also bekommt der 44-jährige Zinnbauer förmlich aus dem Nichts seine ganz große Chance.

Vor ein paar Wochen war Zinnbauer allenfalls ein paar Insidern ein Begriff. Acht teilweise furiose Siege mit der U 23 später steht er nun im Rampenlicht der Bundesliga. Eloquent und erfrischend anders hat er seinen ersten Arbeitstag bestritten.

Bereits um 7 Uhr morgens stand er vor der Arena, Zinnbauer sperrte den Laden im wörtlichen Sinn auf. Danach stand das erste Training an, vor 500 Zuschauern. So viele verlieren sich kaum mal zu den Spielen seiner Amateure. Bei der Pressekonferenz im Anschluss verzichtete er weitgehend auf die üblichen Phrasen.

Respekt, aber keine Angst

"Ich habe auf diese Chance hingearbeitet, jetzt habe ich sie bekommen - und will sie natürlich auch nutzen", sagte er, fügte aber gleich auch ehrlich an: "Vielleicht werde ich dafür bestraft..."

Er hat die Irrungen und Wirrungen der letzten Jahre natürlich im Hinterkopf und weiß, dass drei Klassen über dem, was er bisher kannte, ein rauerer Wind weht. Trotzdem verwehrt er sich gegen das Nobody-Image, das ihm jetzt schon angehaftet wird.

"Ich bin kein Neuling als Trainer. Ich bin im 26. Lebensjahr in das Geschäft eingestiegen, auch wenn es unterklassig war. Als Zweitligaspieler bei Mainz 05 habe ich auch als Profi auf dem Rasen gestanden - das ist nichts Neues für mich", sagt er im selbstbewussten Ton, ohne dabei überheblich zu wirken.

"Respekt habe ich natürlich trotzdem, das ist doch klar. Aber vor 50.000 oder 60.000 Zuschauern zu spielen, darauf freue mich, davor sollte man keine Angst haben. Das ist doch geiler, als wenn ich vor zehn Leuten stehe. Ich habe Bock auf die erste Liga!"

Es geht um die Mentalität im Klub

Es ist sicherlich noch etwas sehr früh, von einer Trendwende zu sprechen. Zinnbauer bekam von den Fans am Dienstag aufmunternden Applaus, anders als etwa die Spieler, die ein paar Minuten später auf den Trainingsplatz trotteten. Und doch liegt ein wenig Aufbruchsstimmung in der Luft. Dieses Gefühl gab es nun zwar auch schon ein paar Mal in den letzten Jahren. Nun sind die Voraussetzungen aber anders. Besser.

Der HSV hat sich neu strukturiert. Hinter den Kulissen sind alte Zöpfe abgeschnitten worden, die Gremien neu bestückt und der Klub bei Rückkehrer Dietmar Beiersdorfer in zumindest sehr emsigen, tatkräftigen Händen. Mit Bernhard Peters und bald auch Peter Knäbel bekommt der HSV endlich auf den entscheidenden Ebenen die nötige fachliche Kompetenz dazu. Der Kader ist mit viel Geld runderneuert.

Jetzt geht es um darum, die Mentalität innerhalb des Klubs und damit auch der Mannschaft zu ändern. Weg mit der vorschnellen Selbstzufriedenheit, hin zum Leistungsprinzip. Die wichtigste Person im Verein muss das vorleben. Und die ist der Trainer.

Erinnerungen an Doll

Natürlich hat er auch die handwerklichen Dinge seines Job zu erledigen. Aus einer Ansammlung talentierter Einzelspieler eine Einheit formen, ihr ein klares spieltaktisches Konzept beibringen, vielleicht auch die eine oder andere Blockade im Kopf lösen. In erster Linie - und das ist gerade für einen eher unbekannten Trainer inmitten gestandener Stars eine große Aufgabe - muss er Enthusiasmus und die pure Überzeugung vorleben.

"Joe besitzt die Grundvoraussetzungen, die Mannschaft zu begeistern und ihre eine Struktur zu geben. Und er verfügt über ein hohes Maß an Emotionalität. Wir versprechen uns, dass er die Mannschaft damit greifen kann", hofft Beiersdorfer. Der Klub-Boss hofft wohl auch ein wenig darauf, dass sich Geschichte wiederholt: Vor zehn Jahren hat Beiersdorfer in einer ähnlich verfahrenen Situation Thomas Doll vom Amateur- zum Profitrainer beim HSV gemacht.

Doll führte die Truppe damals von Platz 18 später in die Champions League. Bis heute war kein anderer Trainer mehr so lange im Amt wie Doll damals, immerhin zweieinhalb Jahre. Für Hamburger Verhältnisse eine kleine Ewigkeit.

Wie groß ist das Vertrauen?

An der Qualität der Mannschaft lägen die bisher dürftigen Leistungen nicht, findet Zinnbauer. Man müsse vielmehr "Emotionen reinbringen und am Kopf ansetzen. Das muss der eine auf den anderen übertragen. Jeder ist gefragt! Wenn nur drei von elf Spielern da nicht mitziehen, funktioniert es einfach nicht. Dann hast du in der Bundesliga keine Chance", sagt Zinnbauer.

Wie lange er seine Chance in der Bundesliga bekommt, ist auf dem Papier zwar klar geregelt. Zinnbauer hat einen Zweijahresvertrag unterschrieben. "Er ist nicht die große oder die kleine Lösung. Er ist für uns zum jetzigen Zeitpunkt die passende Lösung", sagt Beiersdorfer, der auch betont, dass "bis auf weiteres" auf Zinnbauer gesetzt werde. Das lässt ein Hintertürchen offen, Beiersdorfer sagt: "Nach hinten sehe ich keine Grenzen gesetzt. Wir sehen, wie sich das entwickelt..."

Im Sommer der nächste Umbruch

Das hört sich durchaus so an, als würden die Verantwortlichen für den Moment zwar sehr zufrieden sein mit ihrer Wahl, im Hintergrund aber dennoch weiter den Markt im Auge behalten. Im kommenden Sommer laufen elf Verträge im Kader aus, dazu noch die Leihgeschäft mit Julian Green vom FC Bayern und Lewis Holtby von den Tottenham Hotspur.

Beim Großteil handelt es sich als automatisch um jene Spieler, die die Ergebnisse der letzten Jahre zu verantworten haben. Die Chance auf einen nächsten, letzten klaren Schnitt im Kader ist da besonders groß. Was das für die Besetzung der Trainerposition bedeutet, hängt nun entscheidend davon ab, wie Zinnbauer mit der Mannschaft diese Saison meistert.

Angst vor großen Namen hat der Neue jedenfalls schon mal nicht. Sein Vorgänger Mirko Slomka hat als eine seiner letzten verzweifelten Taten auch die vermeintlichen Führungsspieler kaltgestellt und sich so von den letzten Fürsprechern im Team entfremdet. Zinnbauer kann in dieser Hinsicht ganz unbeschwert vorgehen, vielleicht finden die viele Zugänge ja unter ihm schneller Halt und mit dem ebenfalls neuen Trainer auch schneller die gemeinsame Wellenlänge.

Wiedersehen in der Bundesliga

"Wenn es oben nicht läuft", sagt also Zinnbauer und meint den Profi-Kader, "dann hole ich mir meine jungen Spieler aus der U 23 dazu. Da kenne ich kein Pardon. Ich habe ihnen gesagt, dass mein Wechsel in die erste Liga eine große Chance für mich, aber eben auch für sie ist."

Im ersten Training schickte er Valon Behrami nach dessen lustloser Vorstellung für zehn Minuten auf die Bank. Das Ende der Einheit erlebte der Königstransfer des Sommers nicht mehr auf dem Platz mit. Die Mannschaft braucht eine harte Hand - und offenbar ist Zinnbauer bereit, auch rigoros durchzugreifen.

Gleich die erste Partie am Wochenende könnte für den gebürtigen Oberpfälzer schwieriger kaum sein. Der HSV empfängt schließlich die Bayern. Zinnbauer schätzt die Ausgangslage aber als gar nicht so schlecht ein. "Wichtig ist, dass sich unser Spiel und die Leidenschaft auf dem Platz verändert. Da hat man doch gegen die Bayern nichts zu verlieren. Da gehen wir mit breiter Brust rein und dann schauen wir mal, was wir gegen die Bayern anrichten können."

Viel leichter dürfte es auch nach dem Bayern-Spiel für Zinnbauer und den HSV nicht werden. Dann stehen Borussia Mönchengladbach (A), Eintracht Frankfurt (H) und eben Kumpel Klopp und der BVB (A) auf dem Programm. Auf das Wiedersehen freut sich Zinnbauer schon jetzt.

"Damals in Mainz hat Kloppo gesagt: ‚Wir zwei Blinden können nicht Fußball spielen, aber vielleicht packen wir es ja als Trainer...'", erinnert sich der neue HSV-Coach. Jetzt ist er endlich auch in der Bundesliga angekommen.

Joe Zinnbauer im Steckbrief

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