Pirmin und die Torfabrik

Von Marco Nehmer
TSG-Trainer Gisdol (r.) im Gespräch mit den Strategen Polanski (l.) und Schwegler
© imago

Die TSG 1899 Hoffenheim steht nach einer Saison der Extreme in der kommenden Bundesliga-Spielzeit am Scheideweg. Bekommt Markus Gisdol eine defensive Stabilität in die Mannschaft, ohne den Offensivgeist zu verraten? In der Vorbereitung zeichnet sich ab: Es kann klappen. Den Sturm-Attraktionen dient ein stiller Arbeiter im Rücken.

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142. Einhundertzweiundvierzig. So viele Tore fielen in der vergangenen Bundesligasaison in Spielen mit Hoffenheimer Beteiligung. Für den neutralen Fußballfan sind die Partien der Kraichgauer ein attraktives Spektakel, den Verantwortlichen selbst treibt die ominöse Zahl 142 aber Schweißperlen und Sorgenfalten auf die Stirn.

Zunächst das Positive: Vorne knipste die TSG phasenweise wie entfesselt. 72 Tore erzielte die Hoffenheimer Offensive - nach dem Spitzenduo aus München (94) und Dortmund (80) der drittbeste Wert aller Bundesligisten. Nur fünfmal blieb die Mannschaft von Trainer Markus Gisdol ohne eigenen Treffer.

Ganz klar, die Offensive ist Erfolgsgarant und Lebensversicherung für die TSG. Die Angriffsreihe um die Topscorer Kevin Volland (elf Tore, neun Vorlagen) und Roberto Firmino (16 Tore, zwölf Vorlagen) muss auch in der kommenden Saison wieder funktionieren, wenn Hoffenheim in der oberen Tabellenhälfte mitmischen will.

Volland und Firmino halten die Treue

Die Kaderplaner bei den Kraichgauern haben ihre Arbeit getan, die Verträge mit dem torgefährlichen Duo, das nah an einer WM-Nominierung war, wurden bereits im Laufe der vergangenen Saison bis 2017 verlängert. Volland wurde lange mit dem BVB in Verbindung gebracht, für Firmino soll Inter Mailand angeklopft haben - doch beide werden auch im kommenden Jahr für 1899 auflaufen.

"Für mich war wichtig, dass Kevin bleibt", sagte der Brasilianer Firmino kürzlich gegenüber "Bild". Der 22-Jährige betonte: "Ich weiß, wie Kevin läuft, was er am Ball kann. Das ist wichtig, wenn ich einen Pass spiele. Da reicht ein kurzer Blickkontakt, und jeder von uns weiß, wie er laufen muss."

Sein kongenialer Partner Volland hob hervor, was er sich von der neuen Bundesligasaison mit der TSG verspricht. Der bei 1860 München ausgebildete Offensiv-Allrounder hofft, "dass wir uns als Mannschaft bei der TSG weiter entwickeln, noch gefestigter werden, weniger Gegentore kassieren, aber weiter attraktiv nach vorne spielen".

Szalai, Modeste - oder beide?

Damit die Angriffsmaschinerie auch weiterhin läuft, hat die TSG sechs Millionen Euro in die Hand genommen und mit Adam Szalai von Schalke 04 einen neuen Stürmer geholt. Der Ungar soll im Sturmzentrum als Alternative zu Anthony Modeste fungieren und sich mit dem Franzosen um einen Stammplatz duellieren.

"Beides sind klare Spitzen, die im Sturmzentrum spielen. Modeste kann wegen seiner hohen Geschwindigkeit eher auch mal über die Halbpositionen kommen, Szalai ist mehr der Zentrumsspieler. Er kommt mit viel Wucht und ist dann nur schwer aufzuhalten", schwärmt Manager Alexander Rosen über die neue Option im Kader.

Wer von den beiden den Vorzug erhält, ist noch unklar. Für das Hoffenheimer Pressing scheint Tuchel-Schüler Szalai prädestinierter. Für Modeste spricht die bessere Torquote im vergangenen Jahr (zwölf zu sieben).

Situativ könnte auch die Lösung mit zwei Spitzen zum Tragen kommen, wie Rosen betont: "Es ist nicht auszuschließen, dass beide auch einmal zusammen spielen."

Gisdol hat mehr Möglichkeiten

Ergänzt durch Perspektivspieler Janik Haberer, Joker Sven Schipplock sowie den Schweden Jiloan Hamad, der seine erste komplette Vorbereitung mit der TSG absolvierte, hat Gisdol vorne mehr Optionen denn je.

"In einigen Phasen der zurückliegenden Spielzeit hatten wir nicht genug Aufstellungsalternativen, weil der Kader dünn besetzt war - jetzt sind mehr Wechsel in der Anfangsformation möglich", so der 44-Jährige.

Während die Verantwortlichen angesichts der komfortablen Situation im vorderen Mannschaftsdrittel ruhig schlafen können, bleibt aber weiter die große Frage, wie die Stabilität der Mannschaftsteile gestärkt werden kann. Es ist die Kehrseite des Spektakels: 70 Mal klingelte es im Tor der TSG, einzig Fast-Absteiger HSV kassierte mehr Gegentore (75).

Schwegler - das defensive Gewissen

Vorne Champions League, hinten Schießbude - es ist die große Diskrepanz, die es künftig in den Griff zu bekommen gilt. Auf der Suche nach der Lösung könnte den Hoffenheimern mit der Verpflichtung von Pirmin Schwegler der Königstransfer gelungen sein. Der Schweizer soll künftig als defensives Gewissen der TSG fungieren.

Der 27-Jährige kommt dank einer Ausstiegsklausel für lediglich knapp zwei Millionen Euro aus Frankfurt - ein Schnäppchen, dem eine zentrale Rolle im Maschinenraum des Hoffenheimer Spiels zukommen dürfte. "Egal, ob auf der Sechs oder Acht - Pirmin ist flexibel einsetzbar, er bereichert unser Spiel eindeutig", freut sich Gisdol.

Kein Gegentor in der Vorbereitung

Schon jetzt zeichnet sich ab: Schwegler ist in der Lage, den Laden bei der TSG zusammenhalten zu können. Im Verbund mit seinen Nebenmännern Sebastian Rudy, Sejad Salihovic oder Eugen Polanski funktioniert der stille Arbeiter in der Vorbereitung bereits wie gewünscht - in sieben Testspielen gab es bisher kein einziges Gegentor.

"Es kristallisiert sich schon jetzt heraus, dass er sehr spielintelligent ist", lobt Kapitän Andreas Beck den Neuen. "Seine Ruhe und Ausstrahlung sind genau das, was wir gebraucht haben", so Beck, der trotz der Transfers von Oliver Baumann und Ermin Bicakcic den Schweizer als den defensiven X-Faktor bei 1899 ausmacht.

Schwegler hofft auf "gute Jahre"

"Wir haben viele junge Spieler, die total ehrgeizig sind. Einen Trainer, der einen klaren Weg vorgibt", weiß Schwegler selbst von den ersten Wochen in Sinsheim zu berichten. "Die Voraussetzungen sind gut. Ich hoffe, wir bleiben alle gesund und finden gut zusammen."

Dann, so Schwegler, glaube er schon, "dass gute Jahre vor dem Verein stehen". Jahre begeisternden Offensivfußballs sollen es sein und defensiver Seriosität. Gute Jahre mit ihm, dem Mann für das Unspektakuläre - eine zuletzt verkannte Tugend im Kraichgau.

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