Augsburger Frühling

Von Stefan Rommel
Markus Weinzierl (2.v.r) ist mit seinen Augsburgern auf Kurs Europa
© getty

Der Klassenerhalt ist geschafft, jetzt nimmt der FCA ein neues Ziel ins Visier: Mit einer Mischung aus neuen und alten Stilmitteln soll es nach Europa gehen. Dafür müssen nun aber auch große Teams geschlagen werden.

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Neulich stand ein Wohnwagen vor der Geschäftsstelle des FC Augsburg an der Donauwörtherstraße und sein Halter wollte unbedingt der Erste sein. Es gab ein paar Tickets für ein Fußballspiel zu erwerben, zufällig handelte es sich um die Partie des FC Augsburg gegen Bayern München. Und ein schlauer Fan ist, wer sich erst gar nicht in die Schlange stellt.

Es verspricht ein Spiel von großem Unterhaltungswert zu werden für die Zuschauer. Das war es schon immer, wenn der große FC Bayern mal im Hinterland vorbeigeschaut hat. Fast alle im Stadion wollten dann die Bayern sehen, die zu erwartende Niederlage bereits einkalkuliert.

Mit den Bayern schauen Anfang April die Herrscher der Bundesliga vorbei. Die Mannschaft, die in der Rückrunde 21 Punkte aus sieben Spielen geholt hat, bei einem Torverhältnis von 28:2 und deren letzte Ergebnisse in der Liga ein 4:0, 4:0, 5:1 und 6:1 waren.

Bereit für Europa?

Deutlich größere Klubs sind in den letzten Wochen vor den Bayern eingeknickt, einige schenkten ihre Partie sogar bewusst im Vorfeld schon ab. Der FC Augsburg dürfte sich mit einem 90-minütigen Schaulaufen aber nicht (mehr) begnügen. Im Frühjahr 2014 gibt es nur zwei Mannschaften, die einen besseren Lauf haben als der FCA: Die Bayern und der FC Schalke 04.

Nach dem 2:1 bei Borussia Mönchengladbach steht die Mannschaft von Markus Weinzierl auf Platz sechs. Der erklärte Ziel Klassenerhalt ist bereits zehn Spieltage vor Ende der Saison praktisch erreicht - eine regelrechte Unverfrorenheit gegenüber jedem Experten, der den FCA im dritten Jahr seiner Ligazugehörigkeit zum dritten Mal als sicheren Absteiger ausgerufen hat.

Die Partie gegen Schalke am Freitag wird der Auftakt in eine neue Episode. Abstiegskampf war gestern, gegen die entsprechenden Gegner hat sich der FCA fast ausnahmslos durchgesetzt. Ab sofort stehen die Partien an, die den Klub auf seine Tauglichkeit für den europäischen Wettbewerb prüfen werden.

Schalke (H), Wolfsburg (A), Leverkusen (H), Mainz (A) und dann eben die Bayern (H) sind die nächsten Aufgaben. Vier von fünf Mannschaften, die in der Tabelle noch vor den Fuggerstädtern liegen und der FSV Mainz, der nur auf Grund des schlechteren Torverhältnisses noch knapp hinter Augsburg in Lauerstellung liegt.

Noch kein Sieg gegen die Big Four

Seit dem Aufstieg vor fast drei Jahren hat Augsburg noch kein einziges Spiel gegen einen der großen Vier Bayern, Dortmund, Leverkusen und Schalke gewinnen können. Andre Hahn kann man diese Statistik kaum ankreiden, der Shooting Star kam erst vor etwas mehr als einem Jahr nach Augsburg. Er steht stellvertretend für den Augsburger Frühling, weil er noch unbekannter daherkommt und ziemlich sicher noch mehr unterschätzt wurde, als der Rest der Mannschaft.

Der FC Augsburg besteht zum großen Teil aus ehemaligen Zweitligakickern und solchen, die bei ihren vorherigen Stationen in der Bundesliga durchgefallen waren. Aufgefüllt wird der Kader durch ein paar Eigengewächse und Paradiesvögel. Der Kader ist in seiner individuellen Klasse eher dem unteren Tabellendrittel zuzuordnen. Aber als Gesamtkomposition vermeintlich besser besetzten Teams wie Stuttgart, Hamburg, Bremen, Frankfurt oder Hannover teilweise deutlich voraus.

Bisher stießen die gruppen- und mannschaftstaktischen Fertigkeiten gegen individuell hochklassig besetzte Mannschaften immer an ihre Grenzen. Gegen Mittelklasse-Mannschaften spielt Augsburg auf Augenhöhe und derzeit hat die Mannschaft neben ihrer Klasse auch den Willen, die engen Spiele für sich zu entscheiden.

Pressen, umschalten, flanken

Eine entscheidende Frage wird für den Rest der Saison jetzt sein, wie weit Weinzierls System die Mannschaft auch gegen die Top-Klubs tragen kann. Nur darin besteht die reelle Chance, endlich auch mal gegen einen der Großen zu gewinnen. Der FC Augsburg ist eine bestens geölte Maschine, die kaum Verletzungssorgen zu beklagen hatte und nunmehr seit mehr als einem Jahr die Ideen ihres Trainers verinnerlicht hat und mittlerweile nahezu perfekt umsetzt.

Das Augsburger Pressing ist eines der besten der gesamten Liga. Beim Rückrundenauftakt in Dortmund gab es eine zweistellige Anzahl an Spielszenen, in denen der FCA seinen Gegner mit dessen eigenen Waffen schlug. Dortmunder Angriffe wurden bereits im Aufbau über die Innenverteidiger so geschickt gelenkt, dass dem Spitzenteam der Borussia nur Sekunden später ein neutraler Ball aus der Umklammerung helfen konnte.

Im Umschalten von Defensive auf Angriff verbesserte sich die Mannschaft in den letzten Monaten rasant. Der Siegtreffer in Gladbach steht exemplarisch: Vom defensiven Mittelfeld aus hieß die Reihe Moravek-Altintop-Hahn-Werner. In sieben Sekunden spielte sich Augsburg bis zum Torabschluss, ohne dass ein Gladbacher Spieler die Chance auf einen Ballgewinn oder ein taktisches Foul gehabt hätte.

Hahn ist der Zielspieler für Diagonalbälle oder hohe Zuspiele hinter die gegnerische Abwehrlinie, auf der linken Seite hat Tobias Werner nicht die hohe Endgeschwindigkeit, aber ein gutes Gespür für den Raum und einen sehr ordentlichen Torabschluss. Im Zentrum ist Halil Altintop das Scharnier, frei beweglich und in der Mitte - und noch wie bei etlichen Klubs davor auf den Flügeln - vor dem Tor und aus der zweiten Reihe sehr gefährlich.

Augsburg zeigt viel von dem, was der moderne Fußball einfordert. Und trotzdem hat sich die Mannschaft auch herkömmliche Stilmittel bewahrt. Alle Angreifer im Kader sind körperlich robuste Spieler, bis auf Raul Bobadilla auch groß gewachsen.

Augsburg vertraut mit seinen energisch nachschiebenden Außenverteidigern auf das klassische Mittel der Flanke. Oft ist es gar nicht gewünscht, dass ein Angriff bis zur gegnerischen Grundlinie durchbricht. Im letzten Heimspiel gegen Hannover segelten etwa 27 Flanken in den Strafraum der Gäste. 25 davon in der zweiten Halbzeit - eine Reaktion des Trainers auf das Hannoveraner Bollwerk im Zentrum in Tornähe.

Das eigentliche Ziel bleibt bescheiden

In den letzten zwei Jahren schaffte es jeweils mindestens ein Klub überraschend in die Europa League. Erst Borussia Mönchengladbach, letzte Saison der SC Freiburg und Eintracht Frankfurt. Davor waren es mit Hannover 96 und dem FSV Mainz 05 auch zwei Teams. Mit jedem weiteren Sieg wachsen in Augsburg das Selbstvertrauen und der Glaube an die große Überraschung.

"Wir bekommen jetzt ein paar Knaller vor die Nase gesetzt. Wir wollten nicht absteigen, das ist uns gelungen. Jetzt haben wir nichts mehr zu befürchten und können ganz frei aufspielen. Und dann schauen wir mal, wo das endet", sagt Hahn. Sein Trainer Markus Weinzierl will sich nicht mehr dagegen wehren, als neues Saisonziel den Einzug in einen europäischen Wettbewerb auszurufen.

Er und Manager Stefan Reuter sind zwei "Glücksgriffe", wie Geschäftsführer Peter Bircks es ausdrückt. Ein Glück, dass Reuter schon vor Augsburgs Serie einige Verträge mit wichtigen Spielern verlängert hat.

"Einen Ausverkauf wie etwa beim SC Freiburg am Ende der vergangenen Saison wird es bei uns wohl nicht geben. Da haben wir schon vorgesorgt", sagt Bircks. "Eckpfeiler wie Paul Verhaegh, Jan-Ingwer Callsen-Bracker, Daniel Baier oder Tobias Werner haben wir längerfristig an uns gebunden."

Und natürlich den Trainer selbst. Markus Weinzierl bleibt noch bis 2017. Das Augsburger Ziel bleibt bei aller Euphorie derzeit ein nüchternes: Der FCA soll ein stabiler Erstligist werden.

Das ist der FC Augsburg