"Ich hing der Zeit hinterher"

Christoph Metzelder absolvierte in seiner Karriere 178 Bundesliga- und 47 Länderspiele
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SPOX: Wie sind Sie mit diesem Thema für sich umgegangen?

Metzelder: Ich habe mich frühzeitig und aus freien Stücken entschieden, meine Karriere zu beenden. Dennoch ist es ein durchaus schmerzhafter Prozess, sich von dem, was einen seit seiner Kindheit begleitet und antreibt, zu lösen.

SPOX: Weil einem der Fußball-Kosmos, in dem man jahrelang eingeschlossen war, den Blick verstellt?

Metzelder: Es ist eine in sich geschlossene Welt, die mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat. Die Ablösesummen und Gehälter steigen weiter an, es scheint für den Fußball keine Konjunktur zu geben. Es handelt sich um ein total überhitztes Geschäft, in dem keiner bereit ist, sich zu beschränken. Das ist Angebot und Nachfrage in absoluter Extremform. Wenn wir zum Beispiel die Personalkosten des FC Bayern nehmen und davon ausgehen, dass sie durch Neuverpflichtungen oder Vertragsverlängerungen zukünftig tendenziell höher werden, dann stellt sich schon die Frage, wie das dauerhaft weitergehen soll.

SPOX: Wie wirkt dieses Gebilde auf den Einzelnen? Hat man in jungen Jahren überhaupt eine Chance, sich dieser Maschinerie zu entziehen?

Metzelder: Schwierig. Man gerät dort früh hinein und wächst damit auf. Es ist für einen 20-Jährigen unglaublich schwer damit umzugehen, plötzlich Einkommensmillionär und von heute auf morgen prominent zu sein. Vor allem dann, wenn es das klassische Regulativ, zum Beispiel Familie und Freunde, nicht mehr gibt. Was soll ein Vater seinem Sohn sagen, der plötzlich das Hundertfache verdient und von 60.000 Zuschauern im Stadion bejubelt wird?

SPOX: Hängt das auch damit zusammen, dass man als Mensch in der Öffentlichkeit seine Freiheit abgibt und - sofern man sie wiedererlangt - Probleme kriegt, mit dem veränderten Blickwinkel klar zu kommen?

Metzelder: Das ist der entscheidende Punkt. Wenn man die Fußball-Generationen der letzten 30, 40 Jahre anschaut und sich fragt, wer seine Fußballzeit überdauert und eine gewisse Relevanz erreicht hat, sind das gefühlt zwei Leute pro Generation. Und was ist dann mit dem Rest, was macht der? Es kann sehr frustrierend sein, mit Anfang 30 zu erkennen, dass man die beste und erfolgreichste Zeit seines Lebens eigentlich hinter sich hat. Das gibt es in einer "normalen" Berufskarriere nicht, die läuft normalerweise langsamer, aber dafür linear.

SPOX: Ist die Fremdbestimmtheit mancher Spieler, die eine Armada an persönlichen Beratern um sich scharen, eine Gefahr?

Metzelder: Die Fremdbestimmtheit fängt bereits mit dem Verein an. Wann Training und sonstige Termine stattfinden, wird ja vom Klub vorgegeben. Dazu kommt der persönliche Beraterstab. Es wird von allen Seiten alles dafür getan, dass man sich auf seinen Beruf konzentrieren kann. Die Vereine wollen am Ende auch keine Persönlichkeiten ausbilden, die man mit Anfang 30 ins Berufsleben entlässt. Sie wollen in dem Zeitraum, in dem ein Spieler unter Vertrag steht, die bestmögliche Leistung für den Verein bekommen - und das ist auch vollkommen legitim. Eine ganzheitliche Berufsausbildung liegt nicht im primären Interesse eines Klubs.

SPOX: Heutzutage werden Spieler einerseits zu Marken stilisiert, andere werden dagegen von Ihren Vereinen regelrecht abgeschoben. Der Spieler verkommt zur Ware. Halten Sie das für bedenklich?

Metzelder: Es ist eine Gefahr, wobei sich das Mitleid auch in Grenzen hält. Ich habe das lange genug selber gemacht, ich war Teil des Business. Das Schmerzensgeld, das man dafür bekommt, ist enorm. So nüchtern muss man das letztlich betrachten.

SPOX: Wie beobachten Sie die Entwicklung, wie sich Spieler in der Öffentlichkeit äußern? Es wird ja häufig nur sehr pauschal geantwortet.

Metzelder: Die Medienbranche hat in den letzten fünf Jahren unter anderem durch die sozialen Netzwerke eine dramatische Wendung genommen. Das berührt natürlich auch die Protagonisten. Es ist nicht mehr wie früher, dass nur Sportjournalisten die öffentliche Meinung prägen. Mittlerweile kann quasi jeder frei äußern, was er will. Das ist gerade für einen jungen Menschen problematisch. Die Spieler wissen, wie das Geschäft funktioniert und verhalten sich sehr vorsichtig - so kann dann kaum eine gehaltvolle Aussage herumkommen.

SPOX: Wann mussten Sie ganz besonders darauf achten, was Sie sagen?

Metzelder: Das Lustige ist, mir fällt durch meine Arbeit bei "Sky" in den Antworten der Spieler auf: Ich habe in meinen 13 Jahren als Profi selbst viel weichgespültes Zeug erzählt (lacht). Man hinterfragt und limitiert sich als Spieler letztlich selbst in dem, wie man sich zu bestimmten Themen äußert. Das Wohl des Vereins stand immer über der eigenen Meinung.

SPOX: Ist es in der heutigen Zeit wie manchmal behauptet wird möglich, alles auszublenden, was über einen geschrieben wird?

Metzelder: Nein, das ist reine Utopie. Wenn ich zu meiner Anfangszeit die Tageszeitungen nicht gelesen habe, konnte ich mich vielleicht von Meinungen und Kritik frei machen. In einer Zeit, in der sich Spieler auch als digitale Marken präsentieren, ist dem ungefilterten Feedback nicht mehr zu entkommen. Es ist eine fatale Vorstellung zu denken, man könne in den sozialen Netzwerken Themen vorgeben oder nutzen, die negativen Aspekte aber nicht mitbekommen. Je mehr ich preisgebe, desto heftiger wird die Kritik, wenn es nicht so läuft.

SPOX: Was Ihrer Zeit jedoch gleich war wie heute, ist der Druck, der auf einem Leistungssportler lastet. Sie sagten, dass Versagensängste Ihre gesamte Laufbahn begleitet hätten. Wie fühlt sich Druck an?

Metzelder: Es ist dieselbe Anspannung und Nervosität, die man zum Beispiel vor einer wichtigen Prüfung hat. Das steigert sich beim Fußballprofi sukzessive zum Spiel hin. Und das ist auch notwendig, um die bestmögliche Leistung zu bringen. Ich amüsiere mich häufig - weil ich das auch selbst so geäußert habe -, wenn es in Interviews vor einem Spiel gegen einen hochkarätigen Gegner heißt: 'Wir können es genießen und haben nichts zu verlieren'.

SPOX: Inwiefern?

Metzelder: Es geht im Sport um Sieg und Niederlage. Entweder gewinnen wir - oder die! Entweder gewinne ich den Zweikampf oder mein Gegenspieler. Wenn man wie jetzt die Schalker gegen Real Madrid spielt und im Gang neben dir stehen Cristiano Ronaldo und Gareth Bale, dann hat das nichts mehr mit Genießen zu tun. Dann weißt du, dass du eine Topleistung bringen musst, um diese Spieler stoppen zu können.

Seite 1: Metze über Amateurfußball-Romantik und das Thema "Karriere danach"

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Seite 3: Metze über die Brisanz des Schalke-Wechsels und eine dankbare Verletzung

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