Vabanquespiel mit den "Barbaren"

Von Daniel Reimann
"Partner von der Wall Street, Pakt mit dem Teufel?" - Manche Hertha-Fans sind skeptisch
© imago

Hertha BSC ist schuldenfrei und feiert den Einstieg des berüchtigten Investors KKR als historische Wendung der Vereinsgeschichte. Die Kooperation verleiht Berlin in der Tat viel Potenzial und neue Chancen - doch auch die Risiken sind offensichtlich.

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In Berlin firmiert so mancher Running Gag zur Hertha. Zwei von ihnen sind dabei besonders verbreitet. Zum Beispiel, dass es die Hertha nie schaffen werde, im heimischen Olympiastadion das DFB-Pokalfinale zu bestreiten. Seit gut 25 Jahren warten die Berliner Anhänger schon auf diesen Moment. Und auch in den nächsten Jahren wird dieser Running Gag wohl noch Verwendung finden.

Der andere fällt regelmäßig auf der alljährlichen Mitgliederversammlung des Vereins. Es ist die Frage nach einem Investor. Einer, der bereit ist, substanziell in den Verein zu investieren. Seit über zehn Jahren ist der Verein auf der Suche. Seit über zehn Jahren werden die Fans schon vertröstet.

Seit 2011 arbeitet der Verein sogar mit der Schweizer Investmentfirma IM 1872 zusammen, um einen passenden Geldgeber zu finden. Nach langer Zeit des Wartens hat sich nun endlich einer gefunden: Der US-amerikanische Finanzinvestor KKR steigt in ganz großem Stil beim Hauptstadtklub ein.

Plötzlich hat die Hertha neues Geld und neue Perspektiven - und auch der Running Gag zur Investorenfrage hat endlich ein Ende.

Schuldenfrei auf einen Schlag

Kein Wunder also, dass die Hertha-Verantwortlichen den Tag, an dem die Zusammenarbeit verkündet wurde, als fundamentale Zäsur in der Vereinsgeschichte glorifizierten: "Das ist der schönste Tag, seit ich bei Hertha bin", jubilierte Berlins Geschäftsführer Ingo Schiller. Präsident Werner Gegenbauer sprach von einer "bahnbrechenden Vereinbarung."

Auf den ersten Blick wirkt das Investment tatsächlich wie der perfekte Deal für die Hertha. KKR stellt umgehend 61,2 Millionen Euro zur Verfügung, das Geld ist laut Schiller "bereits vollständig eingegangen". 18 Millionen davon bezahlt der Investor für 9,7 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA, deren Wert auf 220 Millionen Euro taxiert wurde. Dafür erhält KKR einen Sitz im Aufsichtsrat, vertreten durch Johannes Huth.

Darüber hinaus kassiert die Hertha für den reinen Vertragsabschluss bereits satte acht Millionen. Die übrigen rund 35 Millionen sind als "Vorauszahlung auf zukünftige Einnahmen" zu verstehen, sagte Schiller der "SZ". Das Geld muss nach der Partnerschaft verzinst zurückgezahlt werden, wenngleich die "Höhe der Rückzahlung nicht feststeht, sondern von bestimmten wirtschaftlichen Kriterien abhängt."

Mehr Potenzial, größere Schlagkraft

Berlin bieten sich durch den plötzlichen Geldsegen gewaltige Möglichkeiten. Die bisherigen Schulden in Höhe von 36,8 Millionen Euro können umgehend beglichen werden. Hertha BSC ist vom einen auf den anderen Tag schuldenfrei.

Gleichzeitig kann der Verein nun Rechte zurückkaufen, die er vor Jahren aus Geldnot verpfändet hatte. Catering-, TV- und Markenrechte stehen dabei an oberster Stelle. "Wir sparen so ganz erhebliche Kosten und verbessern noch dazu unsere Ertragssituation", erklärte Schiller die Strategie.

Insgesamt sollen der Hertha rund sieben bis acht Millionen Euro zusätzlich pro Jahr zur Verfügung stehen. Ein Traum für Manager Michael Preetz, der sich nun über "mehr Spielräume" freuen darf. Gleichzeitig stellte er jedoch klar, im Sommer "keine astronomischen Transfers" tätigen zu wollen.

Im Großen und Ganzen erscheint der Deal wie ein fundamentaler Triumph für die Hertha. Er verleiht der Hertha deutlich mehr Potenzial und eine ungeahnte Schlagkraft. Allerdings birgt die Zusammenarbeit mit KKR auch einige Risiken.

Risiken und Veto-Recht

Angefangen bei der Schuldenfreiheit. Diese ist zwar nun auf dem Papier und in der Jahresbilanz gegeben, doch faktisch hat Berlin nur Eigentum (Anteile) gegen Kapital getauscht. Es ist zwar im Fußball ein gängiges Modell, doch ob die Abhängigkeit eines Vereins von Dritten nun finanzieller Natur ist oder in der Abtretung eigener Anteile besteht, ändert nichts an der Abhängigkeit selbst.

Diese könnte noch erheblich schwerwiegender werden, wenn KKR von seiner Option auf Ausweitung seiner Anteile an der Fußball-GmbH Gebrauch macht. Ein Gesamtanteil von bis zu 33,3 Prozent wäre möglich. Dadurch würde Berlin den Amerikanern sogar ein Veto-Recht ermöglichen, das einem Anteilseigner ab 25 Prozent zusteht.

Zwar gibt es ein wörtliches Zugeständnis seitens KKR, dieses Veto-Recht nicht nutzen zu wollen. Doch ob das reine Wort im Zweifelsfall noch zählt, ist fraglich. Gerade in der knallhart, bisweilen sogar rücksichtslos kalkulierenden Investorenbranche darf dies bezweifelt werden. Und dieser ist KKR definitiv zuzuordnen.

KKR - die "Mutter aller Heuschrecken"

Schon allein aufgrund seiner Vorgeschichte wird die KKR häufig kritisch beäugt. Ex-Vizekanzler Franz Müntefering geißelte solche Finanzinvestoren einst als "Heuschrecken", die KKR sogar als "Mutter aller Heuschrecken". Von Kritikern wird sie oft als Konsortium moralloser Finanzhaie charakterisiert.

Hierzulande sind sie beispielsweise für den Einstieg bei "ATU" bekannt. Der Autoteilehändler leidet bis heute schwer darunter, dass mit dem Investment von KKR dem Unternehmen selbst ein Großteil des Kaufpreises aufgehalst wurde. Der immer größer werdende Schuldenberg trieb ATU schließlich in die Krise, bis sich selbst KKR zum Rückzug gezwungen sah.

Wirklich bekannt wurde KKR jedoch schon Ende der 80er, als der US-amerikanische Lebensmittel- und Tabakkonzern RJR Nabisco nach einer denkwürdigen Bieterschlacht in einem 31 Milliarden US-Dollar schweren Deal geschluckt wurde. Allerdings waren "nur" 1,3 Milliarden davon Eigenkapital des Investors. RJR Nabisco ging in Folge der dramatischen Schuldenlast beinahe zugrunde.

Zwei Journalisten des "Wall Street Journal" hielten die spektakuläre Übernahme durch die KKR seiner Zeit in einem Buch fest. Der wenig schmeichelhafte Titel: "Barbaren vor den Toren: Der Niedergang von RJR Nabisco". Spätestens seit diesem Geschäft eilt der KKR ein zweifelhafter Ruf voraus. Der eines Investors, der aggressiv Akquise betreibt, rücksichtslos auf Rendite achtet und im Ernstfall die Unternehmen mit ihren Schulden wieder allein lässt.

"Jeder Idiot kann ein Unternehmen kaufen"

Berlins Geschäftsführer Schiller will davon jedoch nichts wissen. Laut ihm gibt es zwischen den üblichen Investments von KKR und dem Einstieg bei der Hertha "fundamentale Unterschiede, die allen die Angst vor KKR nehmen müssten". "Es ist keine Übernahme, sondern eine Partnerschaft. Und sie findet in einem besonderen Umfeld statt, wo die Kontrolle schon wegen der Statuten der DFL beim Verein verbleiben muss", stellt Schiller klar.

Auch um die Unabhängigkeit des Vereins müsse man sich keine Sorgen machen. Die Geschäftsführung bleibe "völlig frei in wirtschaftlichen und sportlichen Entscheidungen", zudem werden laut Schiller "Einkäufe oder Verkäufe, Verpflichtungen oder Entlassungen im Präsidium beschlossen".

Dennoch bleibt das Geschäft mit KKR ein Vabanquespiel, das mit diversen Risiken verbunden ist. Derartige Sorgen sind dieser Tage jedoch ein Fremdwort bei den Hertha-Verantwortlichen, stattdessen übt man sich in wechselseitiger Gratulation. KKR hingegen äußerte sich nur knapp zu seinem neuesten Deal. "Wir sehen deutliches Potenzial darin, den Verein national und international stärker zu etablieren", ließ Johannes Huth verlauten.

Große Jubelarien sind im Fall KKR bei der Beteiligung an einer neuen Firma ungewöhnlich - getreu dem Motto von KKR-Mitbegründer Henry Kravis: "Jeder Idiot kann viel Geld auf den Tisch legen und ein Unternehmen kaufen. Gratulieren Sie uns also nicht, wenn wir eine Firma gekauft haben. Gratulieren Sie uns, wenn wir sie verkaufen."

Hertha BSC in der Zusammenfassung