Wie kann er nur?

Von Stefan Rommel
Mirko Slomka leitete am Montagnachmittag sein erstes Training als HSV-Trainer
© getty

Mirko Slomka übernimmt nach Bert van Marwijks Beurlaubung den Hamburger SV - und nicht wenige nennen das Engagement des 46-Jährigen noch vor der ersten Trainingseinheit ein Himmelfahrtskommando. Es gibt aber tatsächlich einige gute Gründe, gerade jetzt beim HSV einzusteigen.

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Irgendwann muss dann mal wieder Schluss sein. Das gilt auch für den Hamburger SV, obwohl der seit Wochen fast alles dafür tut, sich auf allen Ebenen der Lächerlichkeit preiszugeben. Am späten Samstagabend, nach einem fürchterlichen 2:4 im Abstiegsduell bei Eintracht Braunschweig, wurde Bert van Marwijk entlassen.

Der Niederländer hatte sich in den letzten Tagen ebenso stoisch wie freundlich geriert und manch Beobachter entwickelte eine tiefe Sympathie für den Niederländer. Für dessen Contenance und Leidensfähigkeit und Standhaftigkeit in dem totalen Chaos, das um ihn herum herrschte.

Es soll aber auch rund drei Millionen gute Gründe dafür geben, dass van Marwijk sich so verhielt, wie er sich verhielt. Der 61-Jährige löst jetzt zum Abschluss noch ein, was ihm vertraglich zugesichert wurde: Er nimmt eine großzügige Abfindung mit und beendet das Kapitel Hamburger Sport-Verein.

Der HSV ruft, Slomka kommt

Für Mirko Slomka, 15 Jahre jünger als van Marwijk, beginnt am Montagmorgen eine neue Etappe. Er wagt sich mittenrein in das Wirrwar HSV. Er soll eine Mannschaft vor dem Abstieg retten, die weniger miteinander redet als ein verkrachtes Ehepaar vor dem Scheidungsrichter und zuletzt Fehler in Reihe begangen hat, wie sie selbst im Amateurfußball zu wüsten Schimpftiraden der Anhänger führen würden.

Man darf durchaus behaupten, dass sich Mirko Slomka ab sofort einen der gefährlichsten Jobs der Liga antun will. Das Image des HSV ist genauso am Boden wie seine Profimannschaft. Innerhalb des Vereins regiert das Durcheinander. Planlos, desorganisiert und auf Selbstzerstörungsmodus programmiert tritt der ehemals stolze Klub in diesen Tagen auf.

Warum tut sich Slomka, bei seinen Stationen auf Schalke und zu Hause in Hannover durchaus erfolgreich, also so etwas überhaupt an? "Wenn ein Klub wie der HSV ruft, dann will man sofort wieder einsteigen", sagte Mirko Slomka am Montag auf seiner ersten Pressekonferenz. Die restlichen Antworten dürften vielschichtig sein wie die Probleme des HSV.

Erfahrung mit heiklen Missionen

Mirko Slomka kennt sich aus mit heiklen Missionen. Beim FC Schalke folgte er quasi aus dem Nichts auf den entlassenen Ralf Rangnick und verblüffte damit selbst den Mann, der ihn damals mit eingestellt hatte. Rudi Assauer wäre gemäß eigener Auskunft niemals auf die Idee gekommen, einen wie den damaligen Co-Trainer Slomka zum Cheftrainer der Profimannschaft zu befördern.

In Hannover war die Lage ganz anders und doch auch delikat. 96 hing damals tief im Abstiegsstrudel, der Klub kämpfte mit den Nachwehen von Robert Enkes Selbstmord und war wie gelähmt. Slomka verlor die ersten sechs Spiele und war fast schon wieder weg, noch ehe er richtig begonnen hatte.

Das Verhältnis zu Klub-Boss Martin Kind und Sportdirektor Jörg Schmadtke war allenfalls von professioneller Natur und geprägt von jeder Menge Reibereien. Aber Slomka schaffte den Klassenerhalt und später sogar noch viel mehr.

Gute Entscheidung für beide Seiten

Eine Entwicklung, die man sich selbstverständlich auch in Hamburg erwartet. Klassenerhalt, besserer Fußball, irgendwann dann wieder nach Europa. Dass sich der HSV schnell an Slomka klammerte, liegt auf der Hand. Momentan gibt es keinen anderen Trainer, der sofort verfügbar gewesen wäre und die Liga so gut kennt wie Slomka. Thomas Schaaf vielleicht noch, der sich nach 14 Jahren in Bremen die Kirmes beim HSV wohl nicht angetan hätte.

Und Slomka? Der kann es sich - bei allen Meriten der Vergangenheit - kaum erlauben, ein Angebot wie das der Hamburger so einfach auszuschlagen. Es soll in den letzten Jahren einige Klubs gegeben haben, die ihn gerne aus Hannover weggelockt hätten. Selbst die Bayern sollen schon mal über Slomka nachgedacht haben.

Ganz sicher ist der ein guter Bundesligatrainer, der sich einen neuen Arbeitgeber auf mittelfristige Sicht hätte frei auswählen können. Aber die Bundesliga wartet nicht gerne. Und zuletzt überraschte sie zunehmend mit den "smarten" Lösungen, auch mal unbekannten oder ehemaligen Jugendtrainer eine Chance zu geben. Wieso also nicht gleich wieder aufspringen auf das Karussell?

Gibt es momentan eine größere Herausforderung?

Auf Slomka wartet gewiss eine gewaltige Aufgabe. Er wird hier anders als in Gelsenkirchen als Co-Trainer nicht langsam in seine Rolle reinwachsen können. Und er wird auch nicht seine Liebe im vertrauten Umfeld endlich trainieren dürfen wie in Hannover.

Es erwartet ihn eine offenkundig leblose Mannschaft. Ein Umfeld, das zwischen Angst, Wut und Resignation oszilliert. Ein Arbeitsumfeld, das mit "ungeordnet" noch nett umschrieben sein dürfte. Zuletzt hat der Klub in zehn Jahren 13 Trainer verschlissen. Aber es ist der Hamburger SV.

"Wir sind uns alle einig, dass der HSV eigentlich in Deutschland unter die Top 5 gehören sollte", formulierte Slomka am Montag einen Satz, der schwer an den seines Vorgängers bei dessen Amtseinführung erinnerte.

Kann es derzeit eine größere Herausforderung geben, nicht nur aus sportlicher Sicht? Die kurzfristigen Perspektiven sind düster. Der HSV ist so stark vom Abstieg gefährdet wie noch nie in mehr als 50 Jahren Bundesliga. "Es ist klar, dass es in den nächsten Wochen und Monaten ein sehr intensiver Job wird. Aber deswegen bin ich Trainer. Und deswegen freue ich mich umso mehr."

Ein einziges Durcheinander

An eine schnelle Kehrtwende darf man angesichts der letzten Wochen nur schwer glauben. Dafür hat sich der Trend schon zu stark verfestigt, und große Teile der Konkurrenz zeigen im Gegensatz zu den Hamburgern, wie man dem Abstiegskampf entschlossen und furchtlos begegnet. Es sind nur noch 13 Spiele zu absolvieren. Die Zeit rinnt dem HSV nur so durch die Finger.

Kaum besser als die sportliche Lage ist es derzeit das Drumherum bestellt. Die Farce um ein mögliches Engagement von Felix Magath als eine Art Alleinherrscher ist noch keine Woche alt. Der Aufsichtsrat hat sich komplett selbst aufgerieben und droht zu zerbröseln. Am Montag waren von elf Mitgliedern nur noch sechs im Amt, die restlichen fünf hatten das Handtuch geworfen. Und trotzdem wirbelte Klub-Boss Carl-Edgar Jarchow zuletzt wie ein Spielball des Aufsichtsrats hin und her.

Es gibt keinen konkreten Ansatzpunkt, der auf eine schnelle Verbesserung der Lage hindeuten würde. Dafür ist das Durcheinander zu groß.

Slomka bieten sich zwei große Chancen

Aber vielleicht liegt genau darin Slomkas Chance. Im Mai soll auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung die Initiative "HSVPLUS" verabschiedet werden, die die Lizenzspielerabteilung aus dem Hauptverein ausgliedern und als Aktiengesellschaft lukrativ für mögliche Investoren machen soll. Damit könnten sich - zumindest finanziell - neue Dimensionen eröffnen.

Der Aufsichtsrat wird neu aufgestellt und ausgerichtet werden. Wenn nicht jetzt klare Einschnitte vorgenommen und alte Seilschaften entfernt werden, wann dann? Slomka wäre an einem Neuaufbau elementar beteiligt und hätte als erster Trainer seit Jahren dafür womöglich einen großen finanziellen Handlungsspielraum.

Sportdirektor Oliver Kreuzer geht aus den letzten Wochen und Monaten schwer angeschlagen hervor. Momentan gibt es keinen starken Mann mehr im Klub. Mit einer erfolgreichen Rettungsaktion - an der selbst hartgesottene HSV-Fans mittlerweile zweifeln - könnte Slomka mangels Alternativen relativ leicht die entscheidende Person im Verein werden.

Eine, an der sich der Rest des Klubs orientieren und aufrichten kann. Thorsten Fink, Kreuzer, van Marwijk und Jarchow sind daran in dieser Saison spektakulär gescheitert. Und für Slomka wäre es eine Situation, die er weder auf Schalke, noch in Hannover vorfinden konnte.

"Abstieg nicht mein Thema"

Über allem steht der Klassenerhalt. Slomkas Vertrag beinhaltet einen entsprechenden Passus, wonach der Kontrakt auch für die zweite Liga gilt. "Ich wäre natürlich auch bereit, mit in die zweite Liga zu gehen und den HSV dann wieder zurück in die Bundesliga zu führen", sagte Slomka. "Aber das ist aktuell überhaupt nicht mein Thema. Und so soll es auch bleiben!"

Auf Sicht soll und muss es angesichts der angespannten Finanzlage wieder Europa werden. "Ich habe schon in Hannover gesagt, dass für mich das internationale Geschäft das Ziel ist", hat Slomka auch die mittelfristige Zukunft schon im Blick.

Jeder Niedergang geht auch einher mit lukrativen Chancen. Mirko Slomka tritt nun als Erster an, diese mutig zu ergreifen.

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