Eine Frage von Raum und Zeit

Marcel Schmelzer 2010 in seinem ehemaligen Zimmer im BVB-Jugendhaus an der Kreuzstraße
© imago

Seit 1996 betreut die Familie Kleinsteiber talentierte Jugendspieler von Borussia Dortmund in einer Stadtvilla im Kreuzviertel. In Bälde steht der Umzug in das neue Jugendhaus auf dem Vereinsgelände in Brackel an. Ein überfälliger Schritt, mit dem der BVB auf die Faktoren Raum und Zeit reagiert.

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Matthias Kleinsteiber kann sich noch an eine Episode mit Marcel Schmelzer erinnern. Die spielte sich zu einer Zeit ab, als der Dortmunder Linksverteidiger an der Schwelle zum Profibereich stand, aber nicht klar war, wie schnell er den finalen Übergang bewältigen würde. "Er war eine kurze Zeit lang etwas frustriert und fragte sich, ob sich der ganze Aufwand letztlich überhaupt lohnen würde", erzählt Kleinsteiber im Gespräch mit SPOX.

Für Kleinsteiber gehören solche Gespräche seit 2006 zum Alltag. Der ehemalige BVB-Torhüter ist seitdem zusammen mit seiner Frau Cornelia für das Jugendhaus der Borussia im angesagten Dortmunder Kreuzviertel zuständig. Unter anderem Florian Kringe, Nuri Sahin, Koray Günter und Schmelzer verbrachten ihre schwarzgelbe Jugendzeit dort. Der Spieler Kleinsteiber, der im Winter-Trainingslager der Borussia den verletzten Teddy de Beer vertrat und die Profi-Keeper trainierte, war nach der Gründung 1996 einer der ersten Bewohner.

Neues BVB-Jugendhaus ein überfälliger Schritt

"Der Verein kam nach meinem Karriereende auf mich zu und fragte, ob ich mir vorstellen könne, das Jugendhaus zu leiten", sagt der 36-Jährige. Nachdem er den Daumen hob, zog er zusammen mit seiner Frau, einer ausgebildeten Pädagogin, in eine separate Einliegerwohnung innerhalb des Jugendhauses. Dort betreut das Paar zehn Jugendliche, die zum Großteil in der Dortmunder U 19 und U 17 spielen.

Rechtzeitiges Wecken, Vorbereiten des Frühstücks, Hausaufgaben-Kontrolle, Austausch mit Eltern und Schulen, regelmäßige Koch-Abende, aber auch Gespräche wie damals mit Schmelzer gehören zu ihren Aufgaben. "Es geht auch darum, ein großes Vertrauensverhältnis zu den Jungs aufzubauen", so Kleinsteiber. Im Falle Schmelzer funktionierte das bestens, Kleinsteiber war im vergangenen Mai Trauzeuge bei dessen Hochzeit.

Doch die Stadtvilla in der Kreuzstraße ist längst in die Jahre gekommen, das Instandhalten des Hauses kostete den Verein viel Geld. Dieses investierte der BVB nun lieber in einen Neubau am Trainingsgelände im Stadtteil Brackel, der am 20. September Richtfest feierte. Ein überfälliger Schritt, nicht nur aufgrund des Zustandes des alten Hauses.

Ricken: "Der Zeitplan wird extrem entzerrt"

Der Verein reagiert damit unter dem Strich auf die Faktoren Raum und Zeit. Das Gebäude wird 22 Spieler beherbergen können, dank des neuen Standortes fallen die Anfahrtswege zudem deutlich kürzer aus. Solche Begebenheiten sind in der Bundesliga nichts Ungewöhnliches, die Borussia wies in diesem Bereich allerdings Nachholbedarf gegenüber der Konkurrenz auf.

"In der individuellen Ausbildung der Spieler hatten wir oftmals ein Zeitproblem. Die Jungs brauchen jetzt zehn Sekunden, um entweder auf dem Fußballplatz, im Kraftraum oder im Footbonauten zu sein. Damit wird der Zeitplan extrem entzerrt und es bleibt mehr Zeit zum Lernen und Trainieren", erklärt Nachwuchskoordinator Lars Ricken gegenüber SPOX.

Das mit dem BVB kooperierende Goethe-Gymnasium im Stadtteil Hörde ist dank eingerichtetem Fahrdienst rund eine Viertelstunde entfernt. Dazu versucht der Verein, die Zusammenarbeit mit der Gesamtschule in Brackel, die künftig in fünf Minuten mit dem Fahrrad zu erreichen sein wird, weiter auszudehnen. Dies garantiert den Spielern eine höhere zeitliche Flexibilität: Neben möglichen Trainingseinheiten während schulischer Freistunden besteht nun auch die Chance auf ausreichende Regeneration zwischen zwei Terminen.

Einzugstermin steht in Bälde an

Auch für die Kleinsteibers wird wieder Platz im 1977 Quadratmeter fassenden Jugendhaus sein, das Ehepaar behält seine Rolle bei. Ein wenig Wehmut, die alte Unterkunft nach fast acht Jahren zu verlassen, sei allerdings dabei.

Lange wird es mit dem Einzug nicht mehr dauern. "Die Bauarbeiten sind soweit abgeschlossen. Derzeit arbeiten wir an der Fertigstellung der Inneneinrichtung, als Letztes kommt dann noch die Endreinigung. Stand heute wird der Einzugstermin Mitte, Ende Februar sein", sagt Ricken.

Zu Beginn wird an der Adi-Preißler-Allee die zehnköpfige Belegschaft der Kreuzstraße unterkommen. Diese wird von ein, zwei Spielern wie beispielsweise dem Japaner Mitsuru Maruoka, der kurz vor Weihnachten zu den Westfalen stieß und seitdem in einem Hotel wohnte, komplettiert.

Neuer Koch, neuer Sozialpädagoge, neue Spieler

Die Jungs erwarten dann auf den ersten zwei Stöcken modern eingerichtete Zimmer mit WC und Dusche sowie Gemeinschaftsbereiche für Essen, Hausaufgaben und Freizeitbeschäftigungen. Im Erdgeschoss sind Foyer, Technikräume, Fahrradstellplätze und die Sozialräume der Greenkeeper untergebracht.

Der BVB wird dazu einen eigenen Koch und einen weiteren Sozialpädagogen einstellen, um den durch die höheren Kapazitäten entstehenden Bedürfnissen entgegen zu treten. Den Spielern wird künftig also etwas mehr Arbeit abgenommen, der klassische Küchen- und Waschdienst wird aber von organisatorischen Abläufen wie der Müllentsorgung oder dem Ordnen der Getränkekisten ersetzt, wie Kleinsteiber wissen lässt.

Erst zur nächsten Saison wird es im neuen Komplex enger zugehen. Dies kündigte Ricken bereits vor einem Jahr im SPOX-Interview an und bestätigt nun diese Absichten: "Wir werden zur nächsten Saison neue Spieler verpflichten. Nun haben wir mehr Platz, können mehr Spieler aufnehmen und erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit der Durchlässigkeit in die Profiabteilung."

U 19 und U 17 zuletzt dürftig

Der BVB wird mit dem neuen Wohnheim im Rücken künftig auch auf dem Transfermarkt in der Lage sein, eine größere Anzahl an Talenten anzulocken, deren Heimat weiter entfernt liegt. "Damit können wir deutsche und ausländische Nationalspieler verpflichten, an die wir zuvor gar nicht denken durften", so Ricken.

Das mittelfristige Ziel dieser angekündigten Zunahme an individueller Qualität innerhalb der Jugendteams sei zudem auch wieder das Erringen mannschaftlicher Erfolge im U-Bereich.

Was die nackten Ergebnisse angeht, ließ Dortmunds Jugendabteilung nämlich zuletzt zu wünschen übrig. Die U 19, die nach Siegen über Neapel und Marseille nur knapp in der UEFA Youth League scheiterte, landete in der letzten Bundesliga-West-Saison nur auf Rang neun von 14 Teams und hatte 35 Zähler weniger auf dem Konto als Meister Schalke 04. Bei der fünftplatzierten U 17 betrug der Abstand - wieder auf Meister S04 - 25 Punkte.

A-Junioren: Die aktuelle Tabelle der Bundesliga West

"Im Moment gibt es wenig, was bei uns für großartige Jugendarbeit spricht. Das ist nicht unser Anspruch", kritisierte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke vor knapp über einem Jahr und ließ personelle Konsequenzen folgen.

Boekamp unterstützt Ricken

U-19-Trainer Sascha Eickel wurde durch Marc-Patrick Meister ersetzt, dazu bekam Ricken in Edwin Boekamp einen zweiten Nachwuchskoordinator an die Seite gestellt. Der 55-jährige Boekamp hatte diese Funktion bereits lange Jahre bis zu seinem Abschied 2008 inne und feierte mit den Dortmunder Jugendteams insbesondere in den 1990er Jahren einen Erfolg nach dem anderen.

Eine "unglaubliche Aufbruchsstimmung" im Dortmunder Jugendbereich will Ricken rund um die Entstehung des neuen Jugendhauses erkannt haben. Ein erster Zwischenerfolg kann bereits verbucht werden: Die A-Junioren haben als Tabellenvierter nur noch einen Zähler Rückstand auf den Erzrivalen, die B-Jugendlichen führen aktuell die Bundesliga West an.

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