Zurück auf Null

Marc-Andre ter Stegen wird seinen Vertrag bei Borussia Mönchengladbach nicht verlängern
© getty

Marc-Andre ter Stegen wird seinen Vertrag bei Borussia Mönchengladbach nicht verlängern und wechselt wohl zum FC Barcelona. Ein großer und gewagter Schritt des 21-Jährigen. Deutsche Torhüter haben im Ausland gemischte Erfahrungen gemacht. So früh wie ter Stegen wagte sich kaum einer zu einem internationalen Top-Klub.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die endgültige Bestätigung steht noch aus, aber es scheint unausweichlich, dass Marc-Andre ter Stegen in der kommenden Saison beim FC Barcelona spielen wird. Klar ist, dass ter Stegen seinen im Sommer 2015 auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird. Und wenn auch Gladbachs Sportdirektor Max Eberl davon ausgeht, "dass er zu dem Klub wechseln wird, der in den Medien kursiert", dann bleiben nur noch die Katalanen als mögliches Ziel.

Eine "harte Entscheidung" sei es gewesen, sagte ter Stegen in seinem Statement beim Trainingsauftakt am Montag. Es war anfangs ein erstaunlich abgeklärter Auftritt des erst 21-Jährigen, dessen Stimme später doch brüchig wurde und in dessen Augen Tränen zu erkennen waren.

Tränen wie bei Neuer

Er sei schließlich "durch und durch Borusse" und hoffe deshalb auf das Verständnis der Fans. Die Situation erinnerte stark an die Pressekonferenz vor knapp drei Jahren, als Manuel Neuer seinen Abschied von Schalke 04 verkündete. Auch er konnte seine Emotionen nicht mehr im Zaum halten, als es um die Befindlichkeiten der Anhänger ging.

Neuer wechselte ein Jahr vor Vertragsende zum FC Bayern, ter Stegen wohl zum FC Barcelona. Die Situation der beiden ist durchaus vergleichbar.

Beide waren das Gesicht ihres Vereins, auch wenn Neuer noch tiefer in der Schalker Fanszene verwurzelt war als es ter Stegen in Gladbach ist. Beide sollten als Eckpfeiler beim Aufbau einer zukunftsfähigen Mannschaft dienen. Beide entschieden sich nach zähem Ringen mit sich selbst für den Weg zu einem Klub in der höheren Kategorie.

Ter Stegen muss funktionieren

Der größte und auch offensichtliche Unterschied: Neuer wechselte nur ins innerdeutsche Ausland nach Bayern, während ter Stegen ins europäische Ausland nach Spanien geht und sich dort einem der größten Klubs der Welt anschließt.

Neues Umfeld, neue Sprache, neue Kultur - auch sportlich: sicher kein einfacher Schritt, den ter Stegen vor sich hat mit dann gerade einmal 22 Jahren. Der routinierte Jörg Butt hat während seines missglückten, einjährigen Aufenthalts bei Benfica (2007/2008) gemerkt, dass man im Ausland wieder "bei Null anfängt".

Zumal sich ter Stegen wie Butt als Torwart in einer exponierten Position befindet und es nur wenig Spielraum in der Eingewöhnungszeit gibt. Fehler werden von der sehr kritischen spanischen Presse nicht lange akzeptiert werden, Rotation findet zwischen den Pfosten nur in den seltensten Fällen statt. Ter Stegen muss sofort funktionieren.

Einmalige Chance

Allerdings sucht der FC Barcelona auch nicht jede Saison einen Nachfolger für den scheidenden Victor Valdes. "Das Fußballgeschäft ist heute so schnelllebig. So eine Chance kommt nicht häufig", sagte Bodo Illgner, der 1996 als 29-Jähriger vom 1. FC Köln zu Real Madrid wechselte, Ende 2013 dem "Express".

Illgner hält Barcelona für "kein unmachbares Umfeld", obgleich dieser Wechsel nicht ohne Risiko ist. "Wenn man bei einem so großen Klub auf dem falschen Fuß erwischt wird und der Start misslingt, würde eine Karriere deutlich markiert werden", sagte er im SPOX-Interview im April 2013.

Lehmann und Hildebrand gescheitert

Jens Lehmann erging es beispielsweise so, als er als 28-Jähriger 1999 beim AC Milan nach wenigen, fehlerbehafteten Einsätzen seinen Platz im Tor gleich wieder verlor und nach einem halben Jahr zurück nach Deutschland flüchtete. Erst der zweite Anlauf im Ausland beim FC Arsenal klappte.

Timo Hildebrand musste während seiner Zeit in Valencia erfahren, wie sich Trainerwechsel negativ auf eine Karriere auswirken können. Vier Trainer verschliss Valencia in etwas mehr als einem Jahr, am Ende fand sich Hildebrand auf der Tribüne wieder. Seinen Platz in der Nationalmannschaft schnappten sich in dieser Phase andere.

Natürlich gibt es auch positive Beispiele wie Stefan Klos, der 1998 mit 27 Jahren zu den Glasgow Rangers wechselte und dort mehrere Jahre Stammtorhüter und später sogar Kapitän wurde. Andreas Köpke heuerte über Umwege 1996 als 34-Jähriger bei Olympique Marseille an und stand dort zwei Jahre zwischen den Pfosten.

Made in Germany: Kein Exportschlager

Doch es ist nicht so, dass die viel gerühmte deutsche Torhüterschule im Ausland die von ihr selbst erwartete Anerkennung findet. Es gibt zwar deutsche Torhüter, die bei ausländischen Vereinen im Kasten stehen, ein wahrer Export-Schlager sind Keeper made in Germany aber nicht.

Dazu kommt, dass die Spitzenvereine der großen europäischen Ligen meistens von einheimischen Torhütern geprägt werden. Einzig England und dort vor allem Manchester United bilden eine Ausnahme. Bei den Red Devils hat sich über Peter Schmeichel und Edwin van der Sar hin zu David de Gea eine Tradition ausländischer Torhüter entwickelt.

Nur Enke war jünger

Ter Stegen ist bei seinem Abschied aus Deutschland deutlich jünger als all seine aufgeführten Kollegen, nur Robert Enke wagte sich ähnlich früh ins Ausland. Kurz vor seinem 22. Geburtstag ging er von Gladbach nach Lissabon zu Benfica und traf dort auf Jupp Heynckes. Enke war unumstrittene Nummer eins und später Kapitän. Seine Karriere bekam erst durch seine unglücklichen Engagements beim FC Barcelona und Fenerbahce einen Knick.

Auf deutsche Unterstützung auf der Trainerbank wird ter Stegen in Barcelona aller Voraussicht nach nicht bauen können. Unter Umständen könnte Barca ter Stegen sogar noch einen erfahrenen, aber ambitionierten Ersatzmann in den Nacken setzen, falls der auslaufende Vertrag mit Jose Manuel Pinto nicht verlängert werden sollte.

Der bei Barca ausgebildete und aktuell vom FC Liverpool an den SSC Neapel ausgeliehene Pepe Reina ist immer wieder als Kandidat genannt worden. Fraglich ist allerdings, ob sich Reina schon jetzt mit einem gut bezahlten Teilzeitjob zufrieden gibt.

Angriff in der Nationalmannschaft

Für ter Stegen ist der Abschied von Borussia Mönchengladbach die nächste Stufe in seiner Entwicklung, er will den Schritt zum internationalen Top-Torhüter gehen und in der Nationalmannschaft auf lange Sicht näher an die Nummer eins Manuel Neuer heranrücken. "Nur bei einem Top-Verein in guter Form kann man Ansprüche im Nationalteam stellen", sagt Illgner.

Ter Stegens internationale Erfahrung beläuft sich bisher auf sieben Europa-League- und zwei Champions-League-Qualifikationsspiele. Seine drei Auftritte im Trikot der A-Nationalmannschaft waren sehr unglücklich, mit dem negativen Höhepunkt des Eigentores gegen die USA.

Starke Persönlichkeit gefragt

Es ist nicht ungewöhnlich, dass das Torhüterspiel eines 21-Jährigen noch Schwankungen unterworfen ist. Seine starke Persönlichkeit und sein ausgeprägtes Selbstvertrauen haben ihn aber bisher vor einer echten Krise bewahrt. Er hat kein Problem damit, Fehler zuzugeben, diese aber auch schnell wieder abzuhaken. Sein Selbstverständnis als Torhüter wird dadurch nicht berührt.

Auch in Barcelona wird ter Stegen Situationen erleben, in denen er beißen und kämpfen muss. Lehmann hat seine Flucht aus Mailand nach nur einem halben Jahr im Nachhinein als Fehler bezeichnet. Hier gilt es standhaft zu bleiben.

Abgeklärt und souverän wirkt der junge ter Stegen in Gesprächen, sicherer und selbstbewusster als Neuer zum Zeitpunkt seines Wechsels. Seine wahre Stärke zeigte Neuer aber auf dem Platz, als er die zum Teil kritischen Fans verstummen ließ, er sich auch vom eklatanten Bock im ersten Pflichtspiel nicht aus der Bahn werfen ließ und in seinen zweieinhalb Jahren in München zum Führungsspieler aufstieg.

Ter Stegen konnte damals aus überschaubarer Entfernung zuschauen, wie Neuer mit dieser ersten schwierigen Situation umging. Er stand auf der anderen Seite beim Gegner Borussia Mönchengladbach im Tor.

Marc-Andre ter Stegen im Stechbrief