Im Geiste Lucios

Von Stefan Rommel
Sokratis wechselte im Sommer für kolportierte 8,5 Millionen Euro von Werder zum BVB
© getty

Seit Wochen spielt Sokratis bei Borussia Dortmund in bestechender Form. Dabei wäre er im Sommer beinahe beim kommenden Gegner Bayer Leverkusen gelandet (Sa., 18.30 Uhr im LIVE-TICKER). Beim BVB ist der Grieche derzeit der Chef der Viererkette und bringt dabei ganz besondere Qualitäten mit ein.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Wie das genau gelaufen ist zwischen Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund und dem Spieler Sokratis Papastathopoulos - so ganz aufgeklärt wird der Sachverhalt wohl nie werden. Im letzten Sommer gab es ein ziemliches Theater um den Defensivspieler von Werder Bremen.

Versprechen seien gebrochen worden, einfach so von einem Tag auf den anderen. Per Handschlag hatte Bayer die Zusage Sokratis' fixiert, eine Einigung war erzielt. Das behauptet Bayer Leverkusen.

"Wir hatten eine mündliche Zusage. Und auch das ist eine Zusage. Der Spieler hatte sogar schon mit Sami Hyypiä über seine Rolle gesprochen. Es war in der Liga bekannt, dass wir uns einig waren. Es wird Zeit, über das Bild der Gutmenschen in Dortmund nachzudenken", zürnte Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser.

"Der Spieler hat in Leverkusen nicht zugesagt", erwiderte Hans-Joachim Watzke. Der BVB-Boss konnte die ganze Aufregung ohnehin nicht verstehen, schließlich hätten sich alle Seiten stets korrekt verhalten.

Unterschiedliche Berater am Werk?

Der fade Beigeschmack blieb dennoch, hatte sich doch der BVB wenige Wochen zuvor noch über die Art und Weise echauffiert, wie der Götze-Wechsel nach München publik wurde.

"Jeder weiß, dass sie vor einigen Wochen beleidigt waren, als Götze zu Bayern ging. Im Fall Sokratis sind sie aber selbst scheinheilig. Ich kann darüber nur schmunzeln. Aber so ist wohl der Kreislauf in diesem Geschäft", sagte Rudi Völler. "Es gab die Zusage, aber dann kamen andere Argumente hinzu."

Näher eingehen wollte Völler nicht auf seine Behauptung, stillschweigend steht aber bis heute die Anklage im Raum, der BVB habe den Griechen mit der Aussicht auf ein deutlich üppigeres Gehalt zum Meinungsumschwung bewegt. Offenbar, so ist aus Leverkusener Kreisen zu hören, trat Sokratis während der Verhandlungen plötzlich auch mit unterschiedlichen Beratern auf, die eine völlig andere Strategie verfolgten als jene, mit denen sich die Werkself im Mai bereits einig war.

BVB: Sokratis neuer Abwehrchef

Wenn sich Dortmund und Leverkusen am Samstag im Verfolgerduell der Bundesliga gegenüberstehen, wird Bayer die unschöne Episode des Sommers sicherlich noch im Kopf haben.

Immerhin hat Leverkusen einen ordentlichen Ersatz für Sokratis gefunden. Emir Spahic hat sich schnell zurechtgefunden in Bayers Defensive und macht bisher einen vernünftigen Job. Aber Spahic ist keine 25 mehr wie Sokratis, sondern bereits 33 Jahre alt. Den Spieler noch einmal Gewinn bringend zu veräußern, dürfte nahezu unmöglich werden.

Ein Blick nach Dortmund wird den Gästen zudem zeigen, dass es noch deutlich besser geht als nur ordentlich. Sokratis wächst seit dem Ausfällen von Neven Subotic und Mats Hummels beim BVB in die Rolle des Abwehrchefs und ist gerade in diesen ungemütlichen Tagen, in denen Dortmund von zahlreichen Verletzungen geschröpft wird, die dringend benötigte Konstante in der Defensive.

Rustikal-altertümliche Spielweise

Das Schöne aus Dortmunder Sicht ist ja, dass Sokratis so flexibel einsetzbar ist und so viele Facetten in ein Spiel einbringen kann, dass er selbst in seiner Funktion als Abwehrspieler ein Allrounder ist. In Italien, wo er für den AC Milan und den FC Genua gespielt hat, durfte er als rechtes Glied der gerne praktizierten Dreierketten die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Innenverteidiger und Rechtsverteidiger kennenlernen.

Er überzeugt mit einer grimmigen, aber keinesfalls unfairen Zweikampfführung, kann einen Gegner auch mal mit einem hart geführten Tackling einschüchtern. Sokratis verkörpert noch etwas, das der moderne Fußball an den Rand gedrängt hat. Seine Grätschen haben etwas Altertümliches; sie sind riskant, bedingungslos und manchmal auch gefährlich.

Die meisten Trainer sehen sie deshalb gar nicht mehr gerne, weil dadurch zu viele Standardsituationen für den Gegner zustande kommen können. Bundestrainer Joachim Löw etwa hat die feiste Grätsche aus dem Repertoire seiner Innenverteidiger nahezu gestrichen, angewendet werden darf sie nur noch bei einem dringenden Notfall.

Überragende Statistikwerte

Jürgen Klopp kann mit Sokratis' Art der Zweikampfführung offenbar ausgesprochen gut leben. Dortmunds Trainer kennt die Statistiken, die seinen Sommereinkauf als besten Zweikämpfer der Liga ausweisen. Von 122 direkten Duellen gegen den Mann hat Sokratis 88 gewonnen, das entspricht einem Wert von 72 Prozent. Nur Wolfsburgs Robin Knoche kommt mit 68 Prozent gewonnener Zweikämpfe da noch einigermaßen mit.

Noch beeindruckender ist Sokratis' Wert aber bei den reinen Tacklings, also wenn der Abwehrspieler mit vollem Risiko in den Zweikampf und vor allen Dingen auf den Boden geht. 25 von 26 hat er da gewonnen. Selbst gestählte deutsche Raubeine wie Karl-Heinz Förster oder Jürgen Kohler dürften da anerkennend die Augenbrauen hochziehen. Die physische Komponente, die er ins Dortmunder Spiel einbringt, ist erstaunlich.

Ein bisschen wie Lucio

Aber Sokratis hätte nie ins Dortmunder Raster gepasst, wenn er nicht auch technisch beschlagen und damit wertvoll für die Offensivbewegung der Mannschaft wäre. Manchmal erinnert er in seiner Art an den ehemaligen Münchener und Leverkusener Lucio: Mit dem just eroberten Ball geht es dann kompromisslos in die andere Richtung. Das sieht bisweilen wild und ungestüm aus, erfüllt aber sehr wohl seinen Zweck.

Sokratis' einziges Saisontor erzielte er gegen den VfB Stuttgart per Kopf nach einer Ecke. Es war Dortmunds erstes Kopfballtor nach einem ruhenden Ball seit Felipe Santanas Treffer gegen Sokratis' Ex-Klub Werder Bremen. Dazwischen lagen mehr als neun Monate und es ist kaum ein Zufall, dass sich erst einer wie Sokratis so wagemutig in den Ball werfen musste, um auch diese Statistik etwas aufzupolieren.

Der nächste Karriereschritt

Auch im Offensivzweikampf ist Sokratis geschickt, er hat ein gutes Gespür dafür, wann er mit aufrücken darf und wann nicht. Vielleicht hat er sich das besonders in seiner Zeit in Bremen angeeignet. Werder lag ja gerne in den Schlussphasen einer Partie mal in Rückstand und dann war es Sokratis, der seine Mannschaft und die Zuschauer mit seiner Art noch einmal erweckt hat.

In Bremen war er ein Hoffnungsträger in einer düsteren Zeit, er gab in den heiklen Phasen mit seinem gebrochenen Deutsch und ein wenig Englisch die Richtung vor, stellte sich auch in den schlimmen Momenten und redete als einer der wenigen Tacheles. Für seine persönliche Entwicklung waren die Jahre bei Werder sicherlich eine gute Schule. Aber ein Spieler wie er muss in die Champions League.

Das ist dann auch die offizielle Version, wenn man ihn nach seiner Entscheidung für die Borussia und gegen Leverkusen befragt. "Ich habe mich für diese Mannschaft entschieden, weil ich glaube, dass es der richtige Schritt für meine Karriere ist. Da ich mich professionell entscheiden musste, habe ich Dortmund als bessere Lösung für meine Karriere gesehen."

Als Krönung die WM im Sommer

Momentan läuft es nahezu perfekt. Die schweren Verletzungen seiner Kollegen Subotic und Hummels haben Sokratis eine Chance ermöglicht, die der Grieche auf seine Art nutzt. In Mailand habe er einst als Teenager gelernt, "was Druck im Berufsfußball bedeutet". Dagegen ist die Situation beim BVB geradezu paradiesisch.

Läuft alles normal, wird er die komplette Saison als Innenverteidiger gesetzt sein, Neven Subotic' Rückkehr in noch in dieser Spielzeit ist so gut wie ausgeschlossen. Und danach steht die WM-Endrunde mit Griechenland an. Neben Mitch Langerak ist er der einzige Ausländer im Dortmunder Kader, der bei der WM dabei sein darf.

Das Wiedersehen mit den Leverkusener Verantwortlichen am Samstag hat für ihn keine tiefere Bedeutung. "Ich habe mich Bayer gegen­über korrekt verhalten, ich habe nichts Falsches gemacht", das war seine Meinung und dabei bleibt er. Wenigstens ist er im Gerangel der beiden Top-Klubs der Bundesliga noch erhalten geblieben.

Um seinen ehemaligen Mannschaftskollegen Kevin de Bruyne gab es zwischen Dortmund und Leverkusen ja ein vergleichbares Hauen und Stechen. Am Ende siegte ein anderer. De Bruyne spielt jetzt wieder beim FC Chelsea. Wobei: So furchtbar viel spielen darf er da gar nicht.

BVB vs. Bayer: Der direkte Vergleich

Artikel und Videos zum Thema