"Die Bratwurst muss es in sich haben"

Von Daniel Reimann
Jonathan Tah ist der jüngste Profi in der Geschichte des Hamburger SV
© getty

Dank seiner Kindergärtnerin wurde Jonathan Tah Profifußballer. Mit 17 Jahren überragt der Innenverteidiger beim Hamburger SV seine Teamkollegen und namhafte Kaliber wie Mats Hummels oder Dante. Auch im DFB-Dress erlebte Tah bereits Sternstunden - doch seine Zukunft ist ungewiss.

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"Damals dachte ich, die spinnt", erzählt Sebastian Harms. "Die" - damit ist seine Schwester gemeint. Christiane Harms war Betreuerin in einem Altonaer Kindergarten. Eines Tages fiel ihr ein kleiner Junge auf. Beweglich, muskulös, körperlich allen anderen seines Alters voraus. Christiane war beeindruckt. Schnell kontaktierte sie ihren Bruder Sebastian, seines Zeichens Jugendtrainer beim Hamburger SV.

"Sie sagte mir, dass sie einen Jungen habe, der mit Sicherheit irgendwann bei mir spielen würde und es vielleicht sogar zum Profi schafft", verriet sich Sebastian Harms gegenüber "Matz ab". Er selbst belächelte seine Schwester einst dafür. Doch knapp zehn Jahre später holte man ihn zum HSV.

Auch dort überragte er die Konkurrenz. "Ich war schon immer größer als die anderen. Die Eltern am Spielfeldrand haben immer gesagt, dass ich einen falschen Pass hätte. Meine Mutter ist da immer ein bisschen böse geworden", erzählt er heute.

Wenige Jahre später zeigte sich: Christiane Harms lag vollkommen richtig. Jonathan Tah wurde Profifußballer. Nicht irgendeiner. Sondern der jüngste HSV-Profi aller Zeiten. Wie schon so oft in seiner Laufbahn ist Tah bis heute seiner Zeit einige Schritte voraus.

Zweikampstärkster Hamburger

"Manchmal muss ich mich kneifen und überprüfen, ob das alles wahr ist. Ich lebe meinen Traum", verriet der 17-Jährige kürzlich. Seit der Verletzung von Dennis Diekmeier, die Heiko Westermann auf rechts kompensiert, gehört Tah zur Stamm-Innenverteidigung - und weiß zu überzeugen.

Er zeigt auf dem Platz das, was ihm sein einstiger A-Jugendcoach Otto Addo bereits attestiert hatte: "Tah hat alles, was ein Verteidiger braucht", schwärmte Addo einst. "Er verfügt über ein gutes Aufbauspiel, ein gutes Zweikampfverhalten und ein gutes Kopfballspiel." Die Zahlen unterstreichen seine Aussage in außergewöhnlicher Deutlichkeit.

Kein HSV-Spieler hat bessere Zweikampfwerte (71,4 Prozent gewonnene Duelle), selbst Weltklasse-Verteidiger wie Dante (63,9) oder Mats Hummels (67) hinken in dieser Statistik nur hinterher. Auch seine Dominanz in der Luft ist beeindruckend: Einzig Thomas Rincon gewann mehr Kopfballduelle (75 Prozent) als Tah (71,1). Und in puncto Passgenauigkeit belegt er mit 84,5 Prozent erfolgreicher Zuspiele immerhin Rang drei beim HSV.

Auf dem Rasen ist er mit seinen 17 Jahren bereits eine echte Bereicherung für den Hamburger SV.

Reife und Coolness als Erfolgsrezept

Doch auch außerhalb des Platzes legt der Youngster eine außergewöhnliche Reife an den Tag. Jugendlicher Leichtsinn oder Größenwahn sind ihm fremd. Stattdessen predigt er Bescheidenheit.

"Bislang war das für mich alles nur ein erster Schritt. Ich kann und muss noch viel verbessern. Ich will mich beim Trainer weiter anbieten, muss mich jeden Tag beweisen", weiß der 17-Jährige.

Neben seiner Bodenständigkeit ist noch ein weiterer Charakterzug besonders wertvoll. Tah agiert stets abgebrüht, wirkt souverän auf dem Platz und lässt sich nur selten aus der Ruhe bringen.: "Natürlich bin ich auch etwas nervös vor jedem Spiel", gibt er zu: "Aber hinten drin kannst du der Mannschaft eben am besten helfen, wenn du ruhig bist."

Fragezeichen hinter DFB-Zukunft

Eine Eigenschaft, die auch in den Jugendnationalmannschaften geschätzt wird. Nicht umsonst lief er für Deutschlands U 16 und U 17 schon mehrmals als Kapitän auf. So wie im Februar 2012, als Tah zum ersten Mal mit Nachdruck auf sich aufmerksam machte.

Als Spielführer verhalf er Deutschland mit einem Kopfballtor zum 2:1-Sieg gegen die Nation des Welt- und Europameisters Spanien. "Das war unbeschreiblich", schwärmte Tah hinter. "Wir haben gegen die beste Fußballnation der ganzen Welt gewonnen. Das war mein Tag heute."

Noch im selben Jahr machte Tah den nächsten Schritt, in Deutschlands U 17 war er als Stammkraft kaum wegzudenken. Doch hinter der Fortsetzung seiner Nationalmannschaftskarriere im DFB-Trikot steht noch ein großes Fragezeichen. Tah ist ivorischer Abstammung, könnte sich also auch für die Elfenbeinküste entscheiden.

Beschäftigen will er sich damit jedoch noch nicht: "Darüber kann ich mir Gedanken machen, wenn es soweit ist. Da habe ich sicherlich noch ein wenig Zeit."

Profivertrag im Frühjahr, Verlängerung im Herbst

Vielmehr liegt der Fokus auf dem Hamburger SV. Auch dort weiß man um den Wert des 17-jährigen Juwels. Sportdirektor Oliver Kreuzer bemüht sich derzeit um eine vorzeitige Verlängerung von Tahs Vertrag, den dieser erst im Frühjahr unterschrieben hatte.

Die Laufzeit soll um zwei Jahre bis 2018 verlängert werden, Kreuzer ist zuversichtlich: "Da läuft alles sehr gut. Wir sind in sehr aussichtsreichen Gesprächen", ließ er kürzlich verlauten.

Dabei ist der Youngster noch nicht einmal wirklich im Profileben angekommen. "Ich muss mich erst mal ans Profidasein gewöhnen", gab er zu. "Der größte Unterschied ist eigentlich im Kopf. Man muss schneller schalten, muss wachsamer sein. Auch körperlich ist es natürlich ein Unterschied zum Jugendfußball, bei den Profis müssen es immer 100 Prozent sein."

Doch körperlich war Tah in seiner Laufbahn eigentlich nie unterlegen. Wie unlängst auch sein Teamkollege Rafael van der Vaart bestätigte: "Selten habe ich einen Kicker in dem Alter gesehen, der so groß ist und solch eine Statur hat. Ich weiß nicht, was die Kinder in Deutschland so zu essen bekommen, aber die Bratwurst hier muss es in sich haben."

Jonathan Tah in der Zusammenfassung