Und ewig lockt die Raute

Von Arne Behr
Gegen Eintracht Braunschweig konnte der HSV den totalen Fehlstart noch einmal abwenden
© getty

Vier Punkte nach vier Spieltagen, Platz 12 in der Tabelle - der Hamburger SV ist vor dem Spiel gegen Borussia Dortmund (Sa., 18.30 Uhr im LIVE-TICKER) ein ganzes Stück vom erklärten Ziel Europa entfernt. Gegen Braunschweig konnte immerhin der totale Fehlstart verhindert werden. Das lag zum einen am relativ harmlosen Gegner, aber auch an der veränderten Ausrichtung der Hamburger, die immer dann am besten zu sein scheinen, wenn sie zu ihren simplen Ursprüngen zurückkehren.

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Am Mittwochabend wurde geschossen. Mann gegen Mann, Angesicht zu Angesicht. Heiko Westermann und Tolgay Arslan wollten ihre Geburtstage feiern und plötzlich fand sich beinahe das gesamte Team in der Paintball-Arena in Klein Wangersen bei Hamburg wieder. Man habe nicht schon wieder einen Abend beim Italiener gewollt, kommentierte der ehemalige Kapitän Westermann den ungewöhnlichen Ausflug danach durchaus vielsagend.

Bemerkenswert daran ist zweierlei. Zum einen gab es für diese spontane Aktion keinerlei Vorgaben oder Anregungen seitens des Vereins oder des Trainerstabs. Und dann ist da der Zeitpunkt: Vier Tage vor dem Treffen legte der HSV beim Aufsteiger Hertha BSC sportlich fast schon einen Offenbarungseid ab, die sportliche Krise war perfekt. Wegen diverser Nebenkriegsschauplätze brach damals medial ohnehin schon die wahrhaftige Hölle über den Verein herein.

Die Mannschaft lebt

Was der Besuch der Paintball-Arena zum klaren Sieg gegen den bis dato noch immer punktlosen Aufsteiger aus Braunschweig am darauffolgenden Wochenende wirklich beigetragen hat, sei mal dahingestellt. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Begleitumstände unterstreicht dieser etwas andere Mannschaftsabend aber vor allem einen intakten Teamgeist.

Für den Erfolg sei so etwas sehr förderlich, erklärte Torhüter Rene Adler unlängst in einem Interview mit dem "Hamburger Abendblatt", obwohl es echte Freundschaften im Profigeschäft nur in Ausnahmefällen gebe.

Doch ein gutes Klima, eine professionelle Einstellung, die Bereitschaft zum aufopferungsvollen Kampf, all diese zweifellos wichtigen Faktoren sind immer nur Sekundärtugenden einer Mannschaft, die mehr als alles andere eine klare Spielidee braucht.

Die Raute im Herzen

Keine Experimente - so könnte man das System und die Ausrichtung des HSV gegen Eintracht Braunschweig in zwei Worten wohl einigermaßen präzise auf den Punkt bringen. Nach einigen sehr überraschenden Systemumstellungen von Trainer Thorsten Fink zu Beginn der Saison, bei denen er zeitweise sogar ohne echten Stürmer agieren ließ, besannen sich die Hamburger über eine 4-4-2/4-2-3-1-Mischformation in Berlin gegen Braunschweig wieder auf die "klassische" Raute mit einem Sechser und zwei nominellen Stürmern. Und das mit umgehendem Erfolg.

Dabei folgt man in Hamburg erneut einem bekannten Muster, das schon mindestens seit der vergangenen Spielzeit absolut kennzeichnend für den Verein ist. Es besagt im Wesentlichen, dass der HSV mit veränderter Grundordnung fast immer unter die Räder gerät, um sich daraufhin frei nach dem Motto "Schuster, bleib bei deinen Leisten" schnell wieder auf alte Tugenden und Stärken zu besinnen.

Bei den Spielern erntete Fink dafür überschwängliches Lob: "Heute haben wir gezeigt, was wir drauf haben. Vor allem in der ersten Halbzeit haben wir eine sehr starke taktische Leistung abgerufen. Die Raute im Mittelfeld war natürlich ein sehr guter Schachzug vom Trainer, aber dafür ist er ja bekannt. Ich denke, das war der Schlüssel zum Sieg heute", frohlockte Tolgay Arslan nach dem ersten Saisonsieg.

Progression braucht Zeit

Die Raute beherrschen sie zweifelsohne. Aber Systeme mit zwei Sechsern wie das 4-2-3-1 beziehungsweise offensivere Spielarten desselben wie der 4-1-4-1-Verbund verlangen noch größere Impulse aus dem Mittelfeld, das das Spiel noch aktiver gestalten muss. Die vorhandenen Akteure scheinen diesen Anforderungen auch in dieser Spielzeit nicht in vollem Maße entsprechen zu können.

Das Scheitern allein dem Personal anzulasten, wäre indes falsch. Zwar leidet das Hamburger Spiel außerhalb der traditionellen Ordnung vor allem an mangelnder Abstimmung und Balance. Aber um die taktischen Neuerungen solide einzustudieren, auf die Fink es abgesehen hat, braucht es nicht nur ein spielerisch starkes Mittelfeld, sondern auch schlicht Zeit.

Vergangenheit und Zukunft

Für das letzte erwähnenswerte Highlight des Hamburger SV muss man weit zurückblicken in der Klub-Historie. Ein kleines gab es immerhin in der Rückrunde der letzten Saison, beim furiosen Auftritt im Dortmunder Signal-Iduna-Park. 4:1 fiedelten van der Vaart und Co. den damals amtierenden deutschen Meister ab, und das verdient.

Das Erfolgsrezept an diesem perfekten Nachmittag war denkbar einfach: Schnelle Konter über die Außen aus einer sicheren 4-4-2-Defensiv-Formation, immer wieder auch lange Bälle auf die zwei Stürmer, ein Spielmacher Van der Vaart mit allen Freiheiten und ausreichend Anspielstationen in der Offensive.

Inwieweit nun die Schwierigkeiten, die der HSV bei seinem Bemühen um spieltaktische Weiterentwicklung offenbart, an mangelnder Klasse in der Mannschaft, inwieweit an der Unruhe liegt, die immer wieder in den Verein und ins Team getragen wird, darüber kann man ab einem gewissen Punkt nur mutmaßen. Die Wahrheit wird aber wahrscheinlich, wie so oft, irgendwo in der Mitte zu finden sein.

Die Formel "Keep it simple, keep it quiet" scheint angesichts seiner momentanen Situation jedenfalls der beste Ratgeber für den Bundesliga-Dino zu sein, nicht nur für das Spiel gegen Borussia Dortmund, sondern auch darüber hinaus. Beides sind Tugenden, die man beim Hamburger SV viel zu selten an den Tag legt.

Bundesliga, 5. Spieltag