"Guardiola ist halber Holländer"

Von Interview: Haruka Gruber
Der FC Barcelona anno 1999: Mit Michael Reiziger (u.l.) und Kapitän Pep Guardiola (o.r.)
© imago

Mit der Antritts-Pressekonferenz am Montag (10 Uhr im LIVE-TICKER) beginnt die Ära Pep Guardiola - doch wird es für die Bayern eher eine Oranje-Renaissance? Wegbegleiter Michael Reiziger über gemeinsame Fußball-Wurzeln und Louis van Gaals weitreichenden Einfluss.

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SPOX: Wenn Pep Guardiola am Montag mit der Auftakt-Pressekonferenz seine Arbeit bei den Bayern beginnt, kehrt nach München der Geist von Louis van Gaal zurück. Stimmt das?

Michael Reiziger: Pep ist das Resultat einer Sozialisation im Barcelona-Universum. Und dieses Barcelona-Universum entstand aus den Ideen der niederländischen Schule, die in den 70er Jahren führend war im Weltfußball. Es begann mit Rinus Michels und später Johan Cruyff, dann führte Louis van Gaal es Ende der 90er Jahre fort. Der dominante Barca-Fußball der Moderne kam nicht über Nacht, sondern war eine jahrelange Verschmelzung von spanischer Leichtigkeit und Spielfreude mit niederländischer Technik und Taktik. Es ist die perfekte Mischung - und Pep nahm es in sich auf, als Spieler und als Trainer. Er ist von der fußballerischen Erziehung her ein halber Holländer.

SPOX: Sie spielten mit Guardiola vier Jahre zusammen und leben seit dem Karriereende wieder in Barcelona und verfolgen den Klub intensiv. Ahnten Sie früher, welchen Weg Guardiola geht?

Reiziger: Ich besuche bis heute sehr häufig die Spiele der zweiten Mannschaft und der Jugendteams, um mir die nächste Generation von Barca anzuschauen. Als damals Pep die Zweite übernahm und er mit ihr gleich zurück in die dritte Liga aufstieg und einen wundervollen Fußball spielen ließ, wusste ich, dass ich seinen Weg weiterverfolgen muss. Aber das beschränkt sich nicht nur auf Pep. Mit Frank de Boer gibt es einen weiteren ehemaligen Mitspieler von damals, der bei Ajax Amsterdam einen ähnlich grandiosen Job leistet.

SPOX: Sie arbeiteten wie de Boer mit den namhaftesten niederländischen Trainern: Louis van Gaal, Guus Hiddink, Dick Advocaat. Wer beeindruckte Sie am meisten?

Reiziger: Bei Hiddink ist es erstaunlich, wie er es schafft, aus einer Gruppe von Individuen eine Einheit zu formen. Er hat das gewisse Etwas, so dass das Miteinander immer positiv und konstruktiv wird. Van Gaal sticht als Taktiker heraus. Auch Johan Cruyff beeinflusste mich nachhaltig. Er war zwar nie mein Trainer, allerdings spielte ich mit seinem Sohn Jordi bei Barcelona und wir kamen oft in Kontakt und philosophierten über Fußball. Seine Art, Fußball zu lesen, ist einzigartig.

SPOX: Cruyff und van Gaal prägten Barca - dennoch sind sie sich spinnefeind. Kennen Sie den Ursprung der Fehde?

Reiziger: Großartige Charaktere sind häufig schwierige Charaktere, das trifft auf beide zu. Wir in den Niederlanden akzeptieren das mittlerweile, zucken mit den Schultern und denken uns unseren Teil.

SPOX: Wie haben Sie und Guardiola den Menschen van Gaal erlebt? Stimmen die Beschreibungen in den Medien?

Reiziger: Die Dinge, die man über ihn liest, sind schon gerechtfertigt. Er ist im Umgang kein einfacher Mensch. Er ist eben so, wie er ist, und das kann ihm keiner mehr austreiben. Das ist okay, denn sein Training ist methodisch das beste auf der Welt. In der Menschenführung ist Hiddink die Koryphäe, in der Taktikschulung ist van Gaal die Koryphäe. Die Wahrheit: Ich habe es in meiner Karriere noch nie erlebt, dass ein Trainer in beiden Kernfächern herausragt. Entweder so oder so.

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SPOX: Ihre Erklärung dafür?

Reiziger: Ich habe keine Ahnung. Nehmen wir Hiddink: Er ist taktisch natürlich gut, sonst hätte er nicht bei so vielen Weltklasse-Klubs arbeiten können. Dennoch sind seine Man-Management-Skills das, was ihn besonders macht. Überall lieben ihn die Menschen.

SPOX: Könnte Guardiola derjenige sein, der in der Menschenführung und Taktikschulung höchsten Ansprüchen genügt?

Reiziger: Es könnte sein, ich traue ihm das zu. Dass sein taktisches Wissen exzellent ist, wissen wir alle. Zugleich legt er einen großen Wert auf Harmonie. In Spanien ist es beispielsweise normal, dass man selbst in der Nacht vor einem Heimspiel ins Hotel geht. Pep war eine Ausnahme und erlaubte es den Spielern, dass sie nach einem gemeinsamen Abendessen zu Hause schlafen dürfen. Es klingt wie eine Kleinigkeit, doch genau so etwas hält die Moral in einer Gruppe. Er hat Fingerspitzengefühl. Die große Frage: In Barcelona wusste er alles - wie schnell aber findet er den Zugang zu einem ihm fremden Klub wie Bayern? Und das in einer fremden Sprache?

SPOX: Zahlreiche etablierte Trainer scheiterten in München, weil Sie sich mit den Verantwortlichen überwarfen.

Reiziger: Das ist ein Risiko. Fußballerisch mache ich mir keine Gedanken, menschlich wird er sich hingegen einfinden müssen. Er kennt Barcelona in- und auswendig und spürte jede politische Strömung innerhalb einer Mannschaft oder des gesamten Klubs. Bayern ist genauso groß und komplex wie Barca - nur dass das für ihn Neuland ist. Andererseits: Wenn ich mich mit Bayern-Offiziellen unterhalte, bekomme ich immer eine Ahnung dessen, wie gut organisiert der Klub ist und wie professionell es zugeht. Entsprechend gibt es eine gewisse Berechenbarkeit. Pep wird die richtigen Töne treffen, er ist intelligent und schafft das. Er ist ohnehin kein Typ, der nur um des Konflikts willen einen Konflikt sucht.

Hier geht's weiter: "Die Dreier-Kette als neue Bayern-Waffe"

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