"Es gibt zu viel Durchschnitt in Stuttgart"

Von Interview: David Kreisl
Thomas Berthold sieht die spanischen Vereine im Champions-League-Halbfinale als Favoriten an
© getty

Anfang Juni treffen mit dem VfB Stuttgart und Bayern München zwei ehemalige Vereine von Thomas Berthold im DFB-Pokal-Finale aufeinander. Im Gespräch mit SPOX spricht der Weltmeister von 1990 über die Fehler des VfB, das Verhalten von Bruno Labbadia und die schwierigen Champions-League-Aufgaben von Dortmund und Bayern.

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SPOX: Herr Berthold, waren Sie von der Leistung der Stuttgarter beim Pokalsieg über Freiburg nach den überschaubaren Leistungen in der Liga überrascht?

Thomas Berthold: Überhaupt nicht. Es gab ja am Wochenende schon ein positives Ergebnis. Mir war klar, dass der Fokus des VfB auf diesem Spiel liegen wird, da man durch den Finaleinzug die Chance hat, noch in das internationale Geschäft zu rutschen.

SPOX: Oftmals ist es ja so, dass während der Saison die Europa League als Ziel ausgeben wird, wenn es dann aber soweit ist, spielt die zweite Garde und es kommen nur ein paar tausend Fans.

Berthold: Wenn man die letzten Jahre zurückschaut, gibt es Vereine wie Gladbach oder Hannover, die das Thema Europa League durchaus positiv vermarktet haben und dann auch die entsprechenden Zuschauerzahlen hatten. Aber beim VfB ist der Wettbewerb bei den Fans nicht wirklich angekommen. Wenn dann von Vereinsseite immer von der zusätzlichen Belastung und vom kleinen Kader gesprochen wird und dann auch noch schlecht gespielt wird, dann kommen die Leute einfach nicht.

SPOX: Glauben Sie, dass dem VfB ein Jahr ohne internationalen Wettbewerb ganz gut getan hätte?

Berthold: Manchmal stellt sich natürlich die Frage, aufgrund der Kaderzusammenstellung, ob es besser wäre, nicht an dem Wettbewerb teilzunehmen. Weil es einfach einen Kader braucht, der von der Quantität und der Qualität her diesen Anforderungen entspricht.

SPOX: Freiburgs Trainer Christian Streich hat am Mittwoch nach dem Abpfiff gesagt, dass der Sportclub mit dem Nichtabstieg schon das Saisonziel erreicht habe und alles andere nur Zugabe sei. Glauben Sie, kleinere Klubs wie die Freiburger wollen gar nicht nach Europa?

Berthold: Das glaube ich nicht. Fußball spielt man, um zu gewinnen. Und wenn man die Möglichkeit hat, international zu spielen, dann nimmt man das wahr. Die Zielsetzung eines Sportlers sollte es sein, maximalen Erfolg haben zu wollen. Da muss man solche die Dinge auf sich zukommen lassen. Man sammelt ja auch Erfahrungen und wächst mit diesen Aufgaben. Internationale Spiele sind nochmal etwas ganz anderes als Bundesligaspiele.

SPOX: Bruno Labbadia stand in den letzten Wochen häufig in der Kritik und war nach dem Abpfiff gar nicht mehr zu halten. Nach dem Spiel übte er Kritik und sagte, seine und die Leistung der Mannschaft würden nicht ausreichend gewürdigt.

Berthold: Wenn die Mannschaft schlecht spielt und die Ergebnisse nicht stimmen, ist es doch normal, dass alle Beteiligten in der Kritik stehen. Nicht nur der Trainer, sondern auch die Spieler und die Verantwortlichen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was er damit wollte. Nach der Saison und den Leistungen in der Europa League - was erwartet er denn? Was soll die Presse denn anderes schreiben oder die Fans anderes sagen? Da fände ich ein bisschen mehr Demut und Bescheidenheit angebracht. Man muss ja auch sehen, dass der VfB Stuttgart im Pokal viel Losglück hatte und nach einem Amateurverein in der ersten Runde anschließend gegen drei Zweitligisten spielen musste - und das auch noch zuhause. Ich weiß nicht, ob er sich mit solchen Aussagen einen Gefallen tut.

SPOX: Was läuft denn falsch in dieser Spielzeit in Stuttgart?

Berthold: Mit dem VfB ist es wie mit vielen anderen Vereinen: Die größten Fehler macht man in der der größten Euphorie. Zurückblickend muss man sagen, dass die größten Fehler nach der Meisterschaft 2007 gemacht wurden. Wenn man bedenkt, was damals für Transfereinnahmen erzielt wurden mit den Verkäufen von Mario Gomez, Sami Khedira oder Alexander Hleb - da wurde richtig viel Geld eingenommen, das nicht gut investiert wurde. Dann kommt man irgendwann in eine wirtschaftliche Situation, in der die Luft immer dünner wird. Wenn ich dann kein Geld mehr auf dem Transfermarkt ausgeben kann, wird's schwer.

SPOX: Wenn man sich den aktuellen Sparkurs der Schwaben anschaut: Kann man diese Fehler dann überhaupt in absehbarer Zeit beheben und den Klub sportlich wieder stabilisieren?

Berthold: Ich glaube, auf der diesjährigen Mitgliederversammlung muss man ein Minus von zehn Millionen Euro verkünden. Es gilt einfach zu schauen, welches Budget man für nächstes Jahr aus eigener Kraft zur Verfügung stellen kann. Ein anderes Thema sind natürlich der Kader und der Transfermarkt. Da muss man jedes Jahr an jeder Schraube drehen und die Ergebnisse hinterfragen. Das betrifft alle Verantwortlichen. Wie ist gearbeitet worden, wie entwickelt sich die Mannschaft oder einzelne Spieler?

SPOX: Muss nach der Saison dann ein relativ großer Umbruch her?

Berthold: Man muss sich ja nur einmal den Kader anschauen. Im Sturm gibt es personell quasi keine Alternativen, daraus resultiert auch ein unflexibles System. Im Mittelfeld gibt es zu viel Quantität statt Qualität. Auch was die Spieleröffnung und Kreativität betrifft, gibt es zu viel Durchschnitt. In dieser Saison haben Mannschaften wie Freiburg oder Mainz gezeigt, dass man ein taktisches Grundkonzept braucht. Die Spieler müssen Laufwege wissen und was sie bei Ballgewinn oder Ballverlust zu tun haben. Da war beim VfB dieses Jahr vieles Stückwerk. Obwohl man sagen muss, dass es in der Liga diese Saison generell viele Teams mit großen Leistungsschwankungen gibt. Das zeigt sich darin, dass es nach Bayern und Dortmund ein richtiges Leistungsgefälle gibt. Auch international haben sich die Europa-League-Teilnehmer nicht wirklich mit Ruhm bekleckert.

SPOX: Jetzt trifft der VfB Stuttgart im Finale auf den FC Bayern. Wird das die von vielen erwartete klare Angelegenheit?

Berthold: Es ist zwar nur ein Spiel und Pokalendspiele haben ja oft ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, aber diese Jahr sind die Bayern in so guter Verfassung, dass schon sehr, sehr viel passieren und zusammenkommen muss, damit der VfB Chancen hat, im Finale zu bestehen.

SPOX: Bevor es gegen die Schwaben geht, müssen die Bayern erst einmal am Dienstag gegen Barcelona ran. Viele Leute, auch aus dem Lager der Katalanen, haben die Bayern ja sogar zum Favoriten erklärt.

Berthold: Das Geplänkel vor so einem Spiel ist doch immer das gleiche. Der Gradmesser der letzten sechs Jahre war und ist der FC Barcelona. Sie waren sechs Mal hintereinander im Halbfinale, sind letztes Jahr gegen Chelsea und zwei Jahre davor gegen Inter Mailand mit viel Pech und zu Unrecht ausgeschieden, weil sie immer die bessere Mannschaft waren. Das macht sie auch so gefährlich: Dieses Jahr hat man oft den Eindruck, sie schwächeln. Aber gegen den AC Milan gewinnen sie dann das Rückspiel 4:0. Auch gegen PSG sah es nach der großen Überraschung aus, aber sie schaffen es, diese Spiele doch noch für sich zu gestalten. Deswegen ist der FC Barcelona der klare Favorit auf den Titel.

SPOX: Und Lionel Messi haben sie auch noch...

Berthold: Er ist der beste Spieler der Welt, der selbst wenn er angeschlagen reinkommt, mit einer Aktion eine Partie drehen kann. Das hat man gegen Paris gesehen. Messi kam auf den Platz und man hatte das Gefühl, die Spieler von Paris sind erstarrt. Bei seinen Mitspielern war es, als wenn sie eine Doping-Tablette geschluckt hätten. Wie wenn ein Dirigent die Bühne betritt und plötzlich läuft es im Orchester wieder harmonisch. Und eines ist auch klar: Man sagt zwar immer, es wäre kein Vorteil, das zweite Spiel zuhause zu haben, aber das ist es. Und die Bayern werden das erste Mal auf eine Mannschaft treffen, die mehr Ballbesitz haben wird als sie - das sind sie nicht gewohnt.

SPOX: Also nur Außenseiterchancen für den deutschen FCB?

Berthold: So würde ich es nicht bezeichnen. Sie haben auf jeden Fall erheblich größere Chancen als beim letzten Aufeinandertreffen, da musste man ja in der Halbzeit (Stand 0:4, Anm.d.Red.) schon Angst haben, dass sie richtig abgeschossen werden. Davon sind sie weit weg. Die Mannschaft ist körperlich und mental in einer guten Verfassung. Trotzdem treffen sie auf das Team, das den europäischen Fußball Jahre lang dominiert hat.

SPOX: Die Nationalmannschaft hat seit Jahren an einem Spanien-Trauma zu knabbern und jetzt kommt es auch in der Champions-League zu zwei deutsch-spanischen Duellen. Wird das Finale Barca gegen Real heißen?

Berthold: Real hat es gegen Dortmund auf jeden Fall einfacher als Barca gegen die Bayern. Die Madrilenen haben nicht nur eine körperlich sehr präsente Mannschaft, sondern können auch mit dem Druck umgehen. Man hat gegen Malaga gesehen, dass der BVB leicht ins Wackeln kommt. Von daher glaube ich, dass es für Dortmund sehr schwer werden wird. Den Vergleich mit der Nationalmannschaft würde ich aber nicht so stehenlassen, weil bei den Klubmannschaften auch einige Ausländer spielen. Man muss aber sagen: Diese Serie, die die Spanier seit 2008 hingelegt haben, sucht ihresgleichen. Und damit meine ich nicht nur die Titel, sondern auch die Tatsache, dass sie auch in Sachen Jugendarbeit die Benchmark sind. Bei Jugend-EMs und -WMs spielen sie immer eine große Rolle.

SPOX: Wird dann überhaupt in absehbarer Zeit ein Titel für Deutschland herausspringen?

Berthold: Es ist ja positiv, dass wir jetzt mit Dortmund neben den Bayern einen zweiten Verein haben, der vom Potential her jedes Jahr ins Viertel- oder Halbfinale kommen kann. Ich würde mir aber wünschen, dass auch in der Europa League mehr deutsche Vereine in die Spitzengruppe kämen.

Thomas Berthold im Steckbrief