Carsten Cramer: Der wertvolle Nebensitzer

Von Jochen Tittmar
Carsten Cramer in seinem Büro. Von dort kann er den Blick auf den Signal Iduna Park genießen
© Imago

Im Jahr 2012 setzte Borussia Dortmund erstmals in seiner Vereinsgeschichte über 200 Millionen Euro um. Mehr als die Hälfte davon erlöste der BVB in den Geschäftssegmenten, die Vertriebs- und Marketingdirektor Carsten Cramer leitet. Hinter der Führungstroika um Hans-Joachim Watzke, Michael Zorc und Jürgen Klopp ist der 44-Jährige längst zu einem der wichtigsten Männer bei der Borussia aufgestiegen.

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Es gibt diese Episode, die sich im November 2010 in Paris zutrug. Unweit des Dortmunder Mannschaftshotels im 8. Arrondissement verfolgten ein paar wenige Journalisten den kurzen Dialog zwischen einem Fan und dem kahlköpfigen Mann im offiziellen BVB-Trainingsanzug.

Der Anhänger harrte offensichtlich schon etwas länger auf der Straße aus und wartete darauf, die Borussen-Stars auf dem Weg zum Abschlusstraining vor dem Europa-League-Duell mit Paris St.-Germain abfangen zu können. Auf die Frage, ob er denn sagen könne, wann die Kicker aufbrechen würden, entgegnete ihm Carsten Cramer: "Das weiß ich leider nicht. Ich bin hier nur eine ganz unwichtige Person."

Entscheidung pro Cramer nicht überraschend

Mit viel Wohlwollen steckte zu diesem Zeitpunkt womöglich auch ein Stückchen Wahrheit in der Aussage. Immerhin war Cramer offiziell erst seit gut vier Wochen Dortmunds neuer Direktor für den Bereich Vertrieb, Marketing und Business Development.

Rund zwei Jahre zuvor, als dem BVB die Fast-Insolvenz und eine schauderhafte Saison noch in den Kleidern steckten, legten die sportlich Verantwortlichen mit einem radikalen Paradigmenwechsel auch den Grundstein für jenes Arbeitsfeld, das Cramer seitdem beackert. Damals war der gebürtige Münsteraner noch bei Sportrechtevermarkter "Sportfive" angestellt und leitete dort das deutschlandweite Vertriebs- und Marketinggeschäft.

Dass sich der Verein im Herbst 2010 für Cramer entschied, um den Marketing- und Vertriebsbereich noch weiter zu professionalisieren, kam nicht überraschend. Cramer war in Dortmund kein Unbekannter. Er saß bereits von 2002 bis 2007 in der Geschäftsstelle des BVB und arbeitete als "Sportfive"-Teamleiter für den Klub.

Cramer treibt Markenbildung voran

Während Jürgen Klopp bei seinem Amtsantritt 2008 "Vollgasfußball" versprach und dazu junge, Identifikation stiftende Fußballer um sich zu scharen begann, versuchte man auf anderer Ebene, der neuen Philosophie ein Gesicht zu geben. Einheitliche Markenbildung nennt man das auf Cramers Gebiet. Das Ziel: Sich als Klub wirtschaftlich weniger vom sportlichen Erfolg abhängig zu machen.

Knapp zwei Jahre nach Cramers Inthronisierung lässt sich jedoch gar nicht wirklich bemessen, inwiefern diese Aufgabe gelöst wurde - schlichtweg weil der BVB seitdem sportlich wie wirtschaftlich durch die Decke schoss und damit einen landesweiten Imagegewinn verzeichnete.

Begleitet wird der Aufschwung vom Claim "Echte Liebe", den Cramers Jungs zusammen mit der Düsseldorfer Agentur "XEO" ins Leben riefen. Er soll ein authentisches Markengefühl vermitteln, das auf dem Kern Intensität fußt und als dessen Charaktermerkmale Echtheit, Ambition und Heimatbindung gelten.

Enge Beziehung zu Geschäftsführer Watzke

Wie groß Cramers Rückendeckung durch Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke ist, zeigt sich nicht nur daran, dass beide bei Heimspielen im Signal Iduna Park nebeneinander sitzen oder sich sein Büro am Rheinlanddamm auf derselben Ebene wie jenes von Präsident Reinhard Rauball und das von Watzke befindet.

Cramer ist für das gesamte Privat- und Firmenkundengeschäft verantwortlich und unterschriftsberechtigt, sollte Watzke einmal nicht selbst zum Stift greifen können. Ende 2011 wies man ihm zudem den Geschäftsführerposten der BVB-Merchandising GmbH sowie der Internet-Tochter "Sports & Bytes" zu, um die Vernetzung und Anbindung der Tochtergesellschaften zu optimieren.

"Wir haben schon einen sehr guten Draht zueinander, und er ist für mich nicht der Haupt-, sondern DER Ansprechpartner. Unsere Zusammenarbeit würde ich als extrem gut bezeichnen. Die Rückendeckung, die ich von ihm bekomme, führt zu einem großen Gestaltungsspielraum. Wenn man jeden Schritt abklären müsste, dann wäre es keine interessante Tätigkeit", beschreibt Cramer seine Beziehung zu Watzke.

Sponsoren bleiben im Boot

Cramers Credo lautet, dass es für jedes Problem Lösungen gibt. An zahlreichen davon war er federführend beteiligt.

So gelang es, die drei größten Sponsoren trotz der wirtschaftlich angespannten Situation in Deutschland weiterhin im schwarzgelben Boot zu belassen. Die Zusammenarbeit mit "Evonik" (Trikotsponsor), der "Signal Iduna" (Namensgeber des Stadions) und Ausrüster "Puma" bringt dem BVB einen Sockelbetrag von rund 20 Millionen Euro per annum ein - erfolgsabhängige Prämien nicht inbegriffen.

Bei diesen Deals hatte Cramer ebenso seine Finger im Spiel wie bei den Vertragsabschlüssen mit "Opel" und "Westlotto". "Das sind die Eckpfeiler, die uns zuversichtlich machen, den Klub nachhaltig weiterentwickeln zu können", lobt Watzke. Sponsoren, die auf der Suche nach Imagetransfers sind, landen aktuell fast zwangsläufig beim BVB.

2012: Rekord-Umsatz auch dank Cramer

Der täglich zwischen Büro und seiner Heimat Münster pendelnde Cramer werkelt jedoch nicht nur an den dicken Geschäften. Ticketing, Merchandising, Catering - also das Geschäft mit Fans, die weniger galant auch unter dem Begriff "Privatkunden" firmieren - gehören ebenso in sein Spektrum wie das Lizenzgeschäft, Online-Tätigkeiten oder die Akquise neuer Geschäftsfelder.

Dort zogen unter Cramer vor allem die Gebiete New Media, digitale Welten und die sozialen Netzwerke an. Borussia Dortmund nennt das Vereins-TV "BVB total!" sein Eigen, die Internetplattform "meinbvb.de" zielt auf die Interaktion zwischen den Anhängern ab. Die "Facebook"- und "Twitter"-Auftritte stehen im nationalen Vergleich weit oben.

All dies führte in Kombination mit den sportlichen Erfolgen dazu, dass die Borussia im Jahr 2012 auf einen Rekord-Umsatz von 215 Millionen Euro kam - über die Hälfte davon erlöste der Verein in Cramers Geschäftssegmenten.

Im Bereich medialer Vermarktungsrechte und gemeinschaftlicher Vermarktung etwa stiegen die Einnahmen auf über 60 Millionen Euro an (2011: rund 32 Millionen), bei der Werbung sprangen die Umsatzerlöse auf 57 Millionen Euro (2010: 38 Millionen).

"Dieser Verein reißt mich mit"

Und natürlich erzielen Fanartikel hohe Absätze. "Uns reißen die Menschen die Klamotten aus den Regalen", sagt Cramer. Am Ende der Saison sollen mehr als 300.000 Trikots über die Ladentheke gegangen sein. Der neu gestaltete Online-Shop generiert längst über ein Drittel des Gesamtumsatzes der Merchandising GmbH.

Cramer hat es geschafft, das neu geformte Markenbild des BVB zu kapitalisieren sowie Echtheit und Aufrichtigkeit zu erzeugen, was die Fans mit Vertrauen und "echter Liebe" honorieren. Die emotionale Bindung an den Verein ist für Cramer jedoch nicht nur ein Entwurf auf dem Reisbrett. Er lebt sie selbst.

"Jeder Spieltag ist ein Feiertag. Da gehst du schon mit einem Lächeln aus dem Haus. Wenn wir nicht gewinnen, kann ich abends auch einmal ziemlich schlecht drauf sein. Dieser Verein reißt mich mit. Das geht manchmal bis zur Besessenheit. Intensiver kann man Fußball nicht erleben", sagt er.

Die herausragende Arbeit, die die von Cramer geleiteten Abteilungen abliefern, hat ihn zu einem der wichtigsten Menschen gemacht, die beim BVB hinter den Kulissen arbeiten. Doch die genaue Uhrzeit, wann die Mannschaft wie damals in Paris das Hotel verlässt, die kennt er wirklich nicht.

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