"Mich treibt nichts weg vom FC Bayern"

Von Interview: Fatih Demireli
Thomas Müller (r.) traf in der Bundesliga in dieser Saison bereits neun Mal
© Getty

Thomas Müller ist beim FC Bayern "kein Spieler für den Zirkus", wegen seiner Effizienz aber unverzichtbar für die Münchner. Im Interview mit SPOX spricht er über schlafende Hunde, schwierige Zeiten auf der Ersatzbank und mögliche Alternativen zum FC Bayern.

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SPOX: Thomas Müller, im Zuge der Aktion "Movember" haben sich europaweit einige Fußballer einen Oberlippenbart wachsen lassen. Wolfsburgs Diego hat jetzt auch einen. Wäre so ein Schnauzer auch etwas für Sie?

Thomas Müller: Ich habe es mal ausprobiert, aber erstens ist mein Bart nicht dunkel genug und zweitens hat es mir nicht gefallen. Da hätte ich mir auch etwas von meiner Frau anhören müssen.

SPOX: Wäre der Bart bei Lisa Müller nicht durchgegangen?

Müller: Da hätte ich mich nicht durchgesetzt. Es sei denn, ich will bei den Hunden im Korb schlafen. (lacht)

SPOX: Diego geht mit Bart total auf, Sie schaffen das auch ohne. Warum läuft es derzeit so gut?

Müller: Eigentlich mache ich nicht viel anders als im letzten Jahr. Da haben für die Außendarstellung etwas die Tore gefehlt. Gerade in einer Phase im November, als es nicht so gut lief, und ich zeitgleich die Torflaute hatte, war das eine Angriffsfläche, die ich der Allgemeinheit geboten habe. Warum es jetzt besser klappt, ist spekulativ. Ob ich jetzt wirklich fokussierter, konzentrierter oder etwas mehr Glück habe, kann ich nicht sagen.

SPOX: Ist es die beste Halbserie Ihrer Karriere?

Müller: Die Zahlen sprechen für mich. Ich spiele eine gute Runde und schieße nicht nur immer das 5:0. Aber auch die Mannschaft ist sehr erfolgreich. Wir spielen die beste Hinrunde, seit ich dabei bin und überhaupt die Beste aller Zeiten. Wenn der Mannschaftserfolg ausbleiben würde, dann wären meine Zahlen auch schlechter.

SPOX: Die Zahlen sprechen ebenfalls für den FC Bayern München: Bei so vielen Punkten Vorsprung in der Tabelle dürfte nichts mehr anbrennen. Schlafen Sie gut?

Müller: Jedes Jahr vor der Bundesliga sagen wir uns: "Dieses Jahr marschieren wir vorneweg!" Das haben wir drei Mal nicht geschafft, mussten jeweils nach einem Gurkenstart hinten heraus aufholen. Dieses Mal haben wir es geschafft und es macht natürlich unheimlich viel Spaß. Mit dem Vorsprung können wir gut leben.

SPOX: Der Spaß schien in der Vorsaison abhanden gekommen zu sein, auch wenn die Zahlen eine andere Sprache sprechen: Sie haben in der vergangenen Saison 58 Pflichtspiele absolviert, elf Tore geschossen und 20 Tore vorbereitet. Bei einem Spieler mit diesen Statistiken spricht man von einer sehr guten Saison. Bei Ihnen sprach man von einer "durchwachsenen" Saison.

Müller: Durchwachsen? Die Rede war eher von schwach.

SPOX: Haben Sie sich manchmal gedacht: "Was wollen die alle von mir?"

Müller: Das vielleicht nicht, aber man ärgert sich über die Sicht der Dinge. Wenn der Erfolg der Mannschaft ausbleibt, wird gesucht: "Woran liegt es?" Und man landet bei mir. Ich bin kein Spieler für den Zirkus und keiner, der für schönen Fußball bekannt ist. Ich werde niemals fünf Spieler ausspielen und mit der Hacke vorlegen.

SPOX: Jetzt tun Sie sich aber Unrecht.

Müller: Natürlich kann ich auch schöne Aktionen haben, aber ich sehe mich als Mannschaftsspieler, der dafür da ist, Ergebnisse einzufahren. Ich komme über die Effizienz. Dadurch, dass wir letztes Jahr drei Mal Zweiter wurden, wurde viel verzerrt. Wenn es im Champions-League-Finale beim 1:0 bleibt, wäre die Saison überragend gewesen und alle hätten gesagt: "Super-Müller". So ging es in die andere Richtung.

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SPOX: Kommt es oft vor, dass Ihre eigene Wahrnehmung anders ist, als es die Öffentlichkeit sieht?

Müller: Ja, sehr oft. Ein Beispiel für die verzerrte Wahrnehmung: Ich spiele ein super erstes Jahr und mit der WM wird alles noch einmal potenziert. Meine Leistungen in der Liga waren gut, ich habe 13 Tore geschossen - und es gab jede Menge Superlative für mich. Ein Jahr später hatte ich eine bessere Statistik, aber das ging unter, weil wir nicht Meister wurden. Da stimmt etwas nicht.

SPOX: Es ist aber auch Fakt, dass Sie in der vergangenen Saison in einigen wichtigen Spielen auf der Bank saßen.

Müller: Ja, ich kam ins Grübeln. Gerade in der Schlussphase der Saison saß ich in den wichtigen Spielen draußen. Ein Trainer hat beim FC Bayern keinen leichten Job. Er muss schwere Entscheidungen treffen, er muss Spieler auf die Bank setzen. Einem Spieler bleibt nur, sich zu fragen, was man besser machen kann. Aber in erster Linie ärgerst du dich, dass du in diesem Spiel nicht mitmachen darfst. Du entwickelst negative Emotionen. Diesen Dauerzustand will man nicht haben.

SPOX: Sie wirken in dieser Saison dagegen sehr abgeklärt, sehr durchdacht in der Art und Weise, wie Sie handeln. Hat diese schwierige Zeit geprägt?

Müller: Von jeder Phase nimmt man etwas mit, aber im Fußball geht es so schnell. Ich denke nicht darüber nach, was mal war. Das bringt dich nicht weiter. Wir hatten 2012 so viele Negativerlebnisse: Wenn man ständig an diese Zeit denken würde, müssten wir nur noch mit gesenkten Köpfen rumlaufen. Wichtig ist immer der nächste Erfolg.

SPOX: In dieser schwierigen Zeit haben Sie erstmals durchklingen lassen, dass der FC Bayern nicht die letzte Station sein muss. Danach rückten Sie das wieder etwas gerade. Wie sind jetzt die Gedankengänge?

Müller: Wenn man beim FC Bayern spielt und wichtig für die Mannschaft ist, dann gibt es fast keinen besseren Verein. Das Drumherum ist hier extrem gut. Wir spielen international oben mit, wir spielen national oben mit, ich bin hier Zuhause. Mich treibt nichts vom FC Bayern weg.

SPOX: Aber?

Müller: In der Phase, in der ich nicht regelmäßig gespielt habe, und im Champions-League-Finale quasi nur aufgrund von Sperren spielen durfte, macht man sich Gedanken. Denn jeder Fußballer will spielen und deswegen kann man im Fußball nie irgendwelche Versprechungen machen.

SPOX: Welche Alternativen würden denn einen Top-Spieler des FC Bayern reizen?

Müller: Es gibt keinen Verein, mit dem du dich nach dem FC Bayern wirklich steigern kannst. Du kannst vielleicht auf einem Level bleiben. Daher würde ich nicht mal mit dem FC Barcelona antworten.

SPOX: Die Art, wie ein Klub Fußball spielt, kann für einen Wechsel ausschlaggebend sein?

Müller: Ja, die Art und zu spielen. Oder vielleicht auch das Land, das einem mehr liegt.

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SPOX: Sie haben in einem Interview einmal gesagt: "Keiner spielt so komisch wie ich." Dabei ist es geblieben.

Müller: Ich bin kein Prototyp, das ist richtig. Aber ich mache mir über meine Art keine Gedanken.

SPOX: "Jemand, der sich im Gegensatz zum normalen Leben kaum einen Kopf macht beim Spiel, der auch mal chaotisch sein kann und versagt, dann aber mit der einen Aktion ein Spiel wieder dreht. Thomas kann so was." Was sagt Ihnen dieses Zitat?

Müller: Das ist aus dem Buch von Timo Heinze...

SPOX: ...für das Sie das Vorwort geschrieben haben. Für Heinze sind Sie ein "schizophrener Typ". Wie kriegen Sie diese Balance hin?

Müller: Das Buch finde ich sehr witzig, vor allem ist die Kategorisierung der Typen sehr interessant. Er hat sich selbst als Denker beschrieben. Es gibt im Fußball eben viele, die sich nach einem Fehlpass Gedanken machen und sich immer weiter runterziehen. Mir war immer bewusst, dass mein Spiel Ecken und Kanten hat und nicht immer alles sauber abläuft. Aber ich habe mir auch schon immer gesagt: "Mach' dir keinen Kopf, deine Situation kommt noch und dann machst du ihn rein!"

SPOX: Manchmal sitzt man vor dem Fernseher und denkt sich: "Beim Müller geht heute nichts, der muss raus." Mit der nächsten Aktion gelingt Ihnen ein Tor und man wird eines Besseren belehrt. Überraschen Sie sich manchmal auch selbst?

Müller: Nein, das bin ich schon gewohnt. (lacht) Mich ärgert es zwar immer ungemein, wenn ich im Spiel merke: "Oh, heute läuft es nicht." Wenn ich einen neuen Trainer habe, denkt er sich: "Der ist nicht gut, den nehme ich raus." Wenn mich aber ein Trainer länger kennt, lässt er mich drauf, weil er weiß, dass immer etwas passieren kann. Deswegen ist es auch der falsche Ansatz zu sagen: "Der Müller muss raus."

SPOX: Sondern?

Müller: "Der Müller spielt einen Scheiß." Das würde ich akzeptieren. Wobei es mir natürlich lieber wäre, dass ich in den Spielen gleich von Beginn an super spiele.

SPOX: Sie haben sich durchgeboxt und sind heute ein gestandener Fußballspieler. Timo Heinze, der das Buch geschrieben hat, nicht. Wie viele andere auch. Fühlen Sie sich privilegiert?

Müller: Ja. Ein großer Prozentsatz schafft es nicht in den Profifußball, denn vieles hängt von Kleinigkeiten ab. Wenn ein Bundesliga-Verein für Dich als Jugend- oder Amateurspieler ein Angebot abgibt und zwei Monate später der Manager entlassen wird, kann der Nachfolger sagen: "Von dem weiß ich nichts!" Das passiert tagtäglich. Es gibt so viele Faktoren wie Zufall und Glück. Du hast ein gewisses Zeitfenster, da muss was passieren, sonst wird es schwer.

SPOX: Bei Timo Heinze klingt es heraus, dass sein Problem Herrmann Gerland hieß. Kann man das pauschalisieren? Sie haben es immerhin geschafft.

Müller: Eben. Hermann Gerland hat ja auch extrem viele Spieler herausgebracht. Wenn es zwei, drei Spieler nach oben schaffen, gehen gleichzeitig 15 nach unten. So ist das Geschäft.

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