Die Sehnsucht nach Kurt Beck

Von Patrick Völkner
Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler trägt im Winter gerne sein Barthaar länger
© Getty

Das Gute vorab: Die Bundesliga existiert noch. Wer geglaubt hatte, Deutschlands Eliteklasse würde sich nach dem bayrisch-westfälischen Gigantenduell mit einem großen Knall in ihre Einzelteile zerlegen, war dann doch eine Spur zu optimistisch. Das Elend geht weiter - diesmal mit Ehekrisen in Hoffenheim, einem Griff ins Wetklo und der allgegenwärtigen Sehnsucht nach Kurt Beck. Die Alternative Liste ist wieder mal schwer an den Haaren herbeigezogen.

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Clashig: Das soll er also nun gewesen sein, der ultimativste Kracher, den die liebe Bundesliga so in der Auslegeware hat. Bayern gegen BVB - das nervenaufreibendste Duell seit Don Camillo & Peppone, die blutrünstigste Schlacht seit Rocky XIII, der fieseste Clash der Neuzeit - noch böser und gemeiner als jede Talksendung von Michel Friedman. Doch die Realität sah wieder einmal erschreckend realistisch aus: Ein schmuckes Einseins, mit dem sich beide Mannschaften im vereinseignen Understatement mehr oder weniger zufrieden gaben. All die spekulativ-ejakulativ ausgeschütteten Superlative wirkten im Nachhinein denn auch etwas überzogen. Was aber auch daran gelegen haben könnte, dass sich Kloppo unter der Woche ganz übel verzockt und gegen die ollen Düsseldorfer nur remisiert hatte (alter Merksatz: Nie gegen Fortuna das Glück herausfordern!). Und damit liegt jetzt Bayer Leverkusen auf Platz 2 und kann - Achtung Pointe - in der Rückrunde (!) zur großen Aufholjagd starten.

Romantisch: Die in mühevoller Kleinarbeit aufgebaute High-Noon-Stimmung wurde im Nachklang vor allem durch die gegenseitigen Lobhudeleien ad absurdum geführt. Besonders verstörend wirkten dabei die bajuwarischen Lobpreisungen auf den gegnerischen Torhüter, der Kromüllinez in der Schlussphase zur Verzweiflung brachte. Aber wieso Jupp Heynckes ihn dann gleich für eine Anerkennungsberufung in die Nationalmannschaft vorschlagen musste, erschloss sich dann doch nicht. Der lauschende Kloppo jedenfalls bekam vor lauter Rührung feuchte Augen und hätte in dieser emotionalen Verfassung wohl auch den Vierten Offiziellen auf einen Glühwein eingeladen. Dass aber nun ausgerechnet der liebe nette Weidenfeller zum Held des Abends avancierte, irritierte schon sehr. In etwa so, als wenn am Ende eines Bondfilms Miss Moneypenny den Schurken ins Jenseits befördert und die Welt im Alleingang rettet. Weshalb unser Man of the Match dann doch der Flitzer war, der in der zweiten Halbzeit zum Spurt über das Spielfeld ansetzte. Zugegeben, Flitzer sind peinliche Selbstdarsteller, denen man eigentlich keine zusätzliche Aufmerksamkeit schenken sollte. Aber diese surreale Kombination aus Ski-Pullover, Pokemon-Rucksack und Unterarm-Tattooweiß einfach zu faszinieren. Passt alles so gut zu einander wie - sagen wir - Roman Weidenfeller und die englische Sprache.

One Night with Greuther: Reden wir nicht umher: Greutherfürth ist eben auch nur ein dröger Aufguss von Ulm-Haching-Tasmania. Was als laszives Abenteuer beginnt, entpuppt sich halt oft als trostloses Irgendwas mit dem Thrillfaktor von Bauchnabelfusseln. Eben so eine Art One-Night-Stand, den man nach Absinken des Alkoholspiegels und Wiedergewinnung der eigenen Erkenntnisfähigkeit möglichst fix wieder von der Bettkante stoßen möchte. Oder um es deutlich zu sagen: Fürth hat seinen Sex-Appeal verloren und rockt nicht mehr - sogar die Gegenspieler. Insofern kann man Lars Stindl irgendwie schon verstehen. Bevor man sich von Fürth in die Schockstarre kicken lässt, sperrt man sich doch lieber selbst.

Sick and tired: Womöglich leidet Lars Stindl aber auch nur an einer leichten Form des Morbus Matmour, einer heimtückischen Allergie gegen profanen Bundesliga-Fußball. Symptome: Akute Gelb-Rot-Schwäche und vorzeitige Spielfeldflucht. An sich klare Anzeichen, die ein erfahrener Bundesliga-Trainer wie Armin Veh deuten können sollte. Welches Zeichen Mainz-Keeper Wetklo seiner Umwelt mit seinem eingesprungenen Hampelmann jenseits der Strafraumgrenze geben wollte, bleibt hingegen weiter absolut rätselhaft. Vielleicht lag es schlicht an einem Ausfall der inneren GPS-Peilung, vielleicht wollte er durch seine unkonventionelle Scharade auch nur dezent auf ein Handspiel hinweisen, das er vor dem Ausgleichstreffer gesehen zu haben glaubte. Was soll's. Im Zweifel hatte Wetklo einfach keinen Bock auf Hannover. Hann-over - klingt ja so ein bisschen wie die niedersächsische Übersetzung von Greutherfürth. Da lässt man gerne mal den Ersatzmann ran. So kam Karius unversehens zu seinem ersten Bundesliga-Einsatz. Baktus muss hingegen weiter auf sein Debüt warten.

Ehe, wem Ehe gebührt: Wenn Fürth ein rauschbedingter One-Night-Stand ist, dann muss man die TSG Hoffenheim wohl in die Kategorie "freudlose Ehe" einordnen. Denn wir geben es ja zu: Wir waren damals 2008 schon ziemlich verknallt in die heiße Kraichgauerin mit ihren scharfen Flanken, aber haben dann doch bald einsehen müssen, dass es sich nur um eine aufgedonnerte hässliche Alte handelt. Und trotzdem werden wir sie irgendwie nicht mehr los. Seit mehr als drei Jahren lethargiert sich Hoffe 99 also nun schon durch die Liga und ist jetzt so etwas wie das Perpetuum immobile des deutschen Fußballs. Da hält man es eben nicht lange aus. Insofern Glückwunsch Markus Babbel - zur Scheidung.

Suffer in Silence: Sollten die Herren Diouf, Arango und Kiyotake noch Zweifel hegen, wie ihre berufliche Zukunft nach der Fußballerkarriere aussieht, hätten wir da einen unverbindlichen Vorschlag für sie: Streikbrecher! Die Unbarmherzigkeit, mit der sie die hübsche 12:12-Schweige-Protestaktion durch ihre Stimmungskiller-Treffer boykottierten, war zumindest ein perfektes Bewerbungsschreiben für den zugegebenermaßen etwas unpopulären Job. Dass die 12 Minuten und 12 Sekunden Stille als Anspielung auf das DFL-Sicherheitskonzept gedacht waren, welches am 12.12. beschlossen werden soll, haben im Übrigen selbst wir inzwischen verstanden. Und sind richtig glücklich, dass sich die Initiative nur am Datum und nicht an der Länge des Papiers (37 Seiten, 16 Anträge) orientiert hat. Oder gar am Durchschnittsalter des DFB-Präsidiums? 82 Minuten Stille wären uns dann doch ein bisschen zu viel gewesen. In Düsseldorf versuchte man die Aktion übrigens mit einer ganz perfiden List auszutricksen, indem man die Partie einfach mal knappe 12 Minuten später anpfeifen ließ. Hat aber mehr so suboptimal hingehauen. Doch dafür haben die Frankfurter Ultras immerhin gezeigt, wie überflüssig eigentlich so ein Sicherheitskonzept ist und das Ende des Protestschweigens mit einem lässigen Bengalo-Feuerchen abgefeiert. Kann man mal machen - wenn man den eigenen Leuten gepflegt in den Allerwertesten treten will.

Optik: Der Anblick eines Bundesliga-Profis hat zuweilen ja etwas Beängstigendes. Wissen wir nicht erst seit Mike Werner. Auch der optische Eindruck eines durchschnittlichen Erstliga-Unterarms macht schwer betroffen und löst einen der urmenschlichsten Reflexe aus: Wasch dich! Aber daran hat man sich inzwischen ja wohl gewöhnt. Der eintätowierte Knutschfleck auf dem Hals eines Hoffenheimer Teilzeit-Profis dagegen versetzte uns schon einen kleinen Schröck. Und das, obwohl man tags zuvor schon etwas viel Übleres hatte im Sportstudio mitansehen müssen. Rudi Völler, wie die Brücke ihn schuf, mit einer Gesichtsbehaarung der Marke Clochard von der Schäl Sick. Zuhören konnte man der wildbewucherten Tante Käthe dann natürlich nicht - dauernd hämmerte einem dieser eine Satz durch den Schädel: "Mensch Rudi, rasier dich!". Wo ist eigentlich Kurt Beck, wenn man ihn braucht?

Russe: Armin Veh ist schon ein liebenswürdiger Kauz - mit seinen schrulligen Scherzchen fast so etwas wie der Christian Streich des Bürgertums. Da gibt man schon mal lässige Antworten auf investigative Reporter-Fragen. So auch am Freitag, als Veh - auf eine mögliche Rückkehr des Ex-Frankfurters Marco Russ angesprochen - ein lakonisches "Der Russ, den kenn ich" entgegnete. "Der Russ, den kenn ich" - dieser Satz dürfte den Älteren von uns noch seltsam bekannt vorkommen. War ja schließlich so etwas wie die mahnende Losung der antikommunistischen Bewegung.

Hecking in: Weil Armin Veh nicht nur so ein sympathischer Sonderling ist, sondern zudem über eine große Zuneigung zur Düsseldorfer Empfindlichkeit im Allgemeinen und Sascha Rösler im Besonderen verfügt, hat ihm die Fortunen-Combo Halbangst vor dem Freitagsspiel ein Ständchen dargeboten. Armin Veh gefällt das. Uns auch. Und wir freuen uns schon jetzt auf die nächste Fortuna-Ode an den Gegnertrainer. Am Samstag müssen die Düsseldorfer dann in Nürnberg ran. Sollte es noch an verwertbaren musikalischen Vorlagen mangeln, hätten wir da einen unverbindlichen Vorschlag.

 

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