Eine Frage der Mentalität

Von SPOX
Doppelspitze: Leverkusens Trainer Sami Hyypiä (l.) und Sascha Lewandowski
© Getty

Bayer Leverkusen ging mit einigen Fragezeichen in die Saison und startete schlecht. Seit einigen Wochen reift im Team aber ein neuer Geist, die Ergebnisse belegen einen gewissen Wandel. Im Mittelpunkt steht das einzige Trainerduo der Liga.

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Wenn Rudi Völler eingreift, kann schon mal die Luft brennen. So ein bisschen hat sich der Sportdirektor in den letzten Monaten und Jahren selbst in die Abteilung Attacke verortet. Natürlich längst noch nicht im Hoeneß-Stil, aber immerhin.

Schwieriger Saisonstart

Völler hat in dieser Saison schon ein paar Mal dazwischengehauen oder ausgeteilt. Davor waren weder Schiedsrichter, gegnerische Trainer oder Spieler, noch ein TV-Kommentator ("Was der Reif sagt, geht mir am Arsch vorbei, dieser Klugscheißer!") gefeit. Und schon gar nicht die eigene Mannschaft.

Als Bayer am 3. Spieltag bei Borussia Dortmund eine Lektion verpasst bekam wie schon seit langem nicht mehr, griff Völler seine Spieler öffentlich an. Das war Mitte September und Leverkusen war mit zwei Niederlagen aus den ersten drei Spielen in die Saison gestartet.

In etwa zu der Zeit rückte Leverkusens Macher auch wegen des Transfers eines 18-Jährigen in den Fokus. Sieben Jahre lang hatte Bayer Samed Yesil ausgebildet, eine der großen Sturmhoffnungen des deutschen Fußballs. Yesil war gerade auf dem Sprung vom Jugend- in den Seniorenbereich, als Leverkusen ihn ziehen ließ. Das Unverständnis darüber war allenthalben groß.

Mut zur Doppelspitze

Es war keine leichte Phase für Sascha Lewandowski und Sami Hyypiä. Die beiden teilen sich seit dem Frühjahr die Betreuung der Lizenzmannschaft. Lewandowski kam aus dem Jugendbereich, war zuvor Trainer der U 19. Eine knifflige Entscheidung für die Verantwortlichen.

Leverkusen hatte zuletzt immer die große Lösung auf der Trainerposition bevorzugt. Das letzte Experiment mit einem Übungsleiter aus dem eigenen Stall ging mit Thomas Hörster vor knapp zehn Jahren komplett in die Hose und wäre beinahe im Abstieg geendet.

In Kombination mit Hyypiä führte Lewandowski die Mannschaft in der abgelaufenen Saison aber noch in den Europa Cup und erreichte das Minimalziel. Grund genug für die Bosse, am einzigen nahezu gleichberechtigten Trainerduo der Liga festzuhalten.

"Lewandowski und Hyypiä haben bewiesen, dass sie die Mannschaft mit einer Mischung aus Kompetenz, Charisma, Akribie und Gelassenheit führen können", begründete Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser damals die mutige Entscheidung. "Diese erfrischende Kombination gibt uns Anlass, mit großem Optimismus in die sportliche Zukunft zu blicken." Und überhaupt: Man müsse auch mal etwas wagen, so Holzhäuser.

Umbruch mit gewissem Risiko

Im Sommer folgte so etwas wie ein Umbruch bei Bayer. Gestandene Spieler wie Rene Adler, Michael Ballack, Tranquillo Barnetta oder Eren Derdiyok verließen den Klub, dazu das Talent Yesil, dem die meisten zumindest erste Einsätze in der Bundesliga durchaus zugetraut hätten.

Auf der anderen Seite kamen neben den schon traditionell zurückkehrenden Leihspielern auch talentierte, aber nahezu unbekannte Spieler wie Junior Fernandes oder Daniel Carvajal und Philipp Wollscheid vom 1. FC Nürnberg, der davor lediglich eine Saison als "echter" Stammspieler in der Bundesliga auf dem Buckel hatte.

Es war durchaus mit einem gewissen Risiko behaftet, wie Bayer die notwenigen Umwälzungen im Kader in Angriff nahm. Jetzt, nach knapp einem Drittel der Saison, steht die Werkself besser da, als von den meisten wohl prophezeit.

Die Mentalität reift

Seit jenem Spiel von Dortmund, als die Mannschaft beim 0:3 noch regelrecht vorgeführt wurde, ist Leverkusen ungeschlagen. In den folgenden elf Spielen gab es sieben Siege, alleine in den letzten elf Tagen in drei Wettbewerben vier Siege am Stück. Darunter auch das historische 2:1 bei den Bayern.

Dabei spielt die Mannschaft längst keinen typischen Bayer-Fußball mehr. Es gab Zeiten, da war Leverkusen die aufregendste Mannschaft der Liga, zumindest aber immer mal wieder gut genug für ein veritables Spektakel. Unter Jupp Heynckes kam mehr Sachlichkeit ins Spiel. Jetzt spielt Bayer keinen ausufernden, aber einen nüchtern-erfolgreichen Fußball.

Der aber noch einigen Schwankungen unterliegt. "Ich bin sehr zufrieden mit der Mentalität meiner Mannschaft. Wir reagieren richtig gut auf Rückschläge, spielerisch und taktisch haben wir aber immer wieder Wellenbewegungen", sagte Lewandowski nach dem 3:2-Sieg über Fortuna Düsseldorf.

Bayer als unbequeme Mannschaft

Bayer fehlten in der Partie gleich vier Spieler aus dem Deckungsverbund, zwei Außen-, ein Innenverteidiger und Torhüter Bernd Leno. Es war das vierte Spiel in gerade einmal eineinhalb Wochen, dazu spielte die Mannschaft lange Zeit in Unterzahl.

Ein Negativerlebnis wie der ungerechtfertigte Platzverweis für Simon Rolfes wirft das Team in seinem derzeitigen Lauf nicht aus der Bahn. Fast schon im Gegenteil: "Wenn man sich den Jubel nach dem 3:1 anschaut, sieht man, was für eine starke Mannschaft wir eigentlich haben: Dass da jeder für jeden ackert und kämpft. Das ist das, was wir für den Erfolg brauchen", sagte Stefan Kießling.

Leverkusen hat sich zu einer richtig unbequemen Mannschaft entwickelt, die für den Gegner schwer einzuschätzen ist. Das Potenzial deckt das gesamte Repertoire ab: Die Mannschaft kann technisch anspruchsvollen Kombinationsfußball spielen, ist individuell sehr stark besetzt, bringt aber auch eine defensiv hochkonzentrierte Leistung wie die bei den Bayern auf den Platz.

Noch Ressourcen in der Hinterhand

Dazu kommt das gewachsene Vertrauen in die eigenen Stärken. In München kam Bayer zum Siegtreffer, kurz nachdem, die Bayern ausgeglichen hatten und selbst auf den entscheidenden Treffer drängten.

Im Pokal drehte Leverkusen einen frühen Rückstand in Bielefeld. Gegen Düsseldorf gab es sowohl unmittelbar nach dem Platzverweis und dem Ausgleichstor der Fortuna die Antwort in Form eines eigenen Treffers.

"Wir haben eine gewachsene Mentalität innerhalb der Mannschaft. Da entsteht richtig was, das müssen wir mit rübernehmen. Vielleicht hier und da im taktisch-spielerischen Verhalten noch etwas besser machen. Aber alles in allem ist die Truppe auf einem guten Weg", schätzt Lewandowski die Lage ein.

Selbst die einigermaßen prekäre Personallage lässt sich momentan kompensieren. "Wir sind da sehr gefestigt und ich denke, dass wir auch in Zukunft Nackenschläge wegstecken können", so Lewandowski weiter.

Wenn man sich die schlummernden Ressourcen in der Hinterhand anschaut, steckt in der Tat noch einiges Potenzial in der Mannschaft.

Neben den verletzten Daniel Schwaab, Michal Kadlec, Philipp Wollscheid und Bernd Leno fehlt auch noch ein überragender Könner wie Renato Augusto, Zugang Fernandes dürfte auch mehr drauf haben als in zwei Kurzeinsätzen lediglich bruchstückhaft angedeutet.

Keine zu großen Ziele stecken

Gemessen an den Möglichkeiten steht Bayer auf Rang vier derzeit sehr gut da und ist dabei, die Kluft zu den Champions-League-Aspiranten wie Schalke oder Dortmund kleiner werden zu lassen.

Vom ganz großen Ziel, nämlich den Einzug in die Königsklasse, will der Trainer aber besser noch nicht reden.

"Wir wollten im Pokal und im Europacup überwintern und in der Liga auf die internationalen Plätze klettern. Wir sind überall auf einem guten Weg", sagt Sascha Lewandowski. "Aber wichtiger ist die Entwicklung der Mentalität der Mannschaft. Und da sind wir schon einige Schritte weitergekommen."

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