"Meine Herren, Sie haben Körper wie Adonis"

Von Interview: Haruka Gruber
1997: Schulz (l.) mit den jugendlichen Lou Richter, Oliver Welke und Gaby Papenburg (v.r.)
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SPOX: Wie kam es, dass Sie als einer der ersten Bundesliga-Profis die Seiten tauschten?

Schulz: Damals rief mich Reinhold Beckmann an: "Langer, pass mal auf, kannst du dir vorstellen, bei 'ran' mitzumachen? Wir versuchen, einen aus dem Sport zu etablieren." Ich hatte nach der Karriere etwas anderes vor, aber ich dachte mir, dass ich das Experiment einfach eingehe.

SPOX: Was war die Alternative?

Schulz: Ich wollte Möbel verkaufen.

SPOX: Möbel?

Schulz: Ich half schon als Bundesliga-Profi ein-, zweimal die Woche bei einem Freund aus, der ein Ledermöbelgeschäft besaß. Ich machte alles mit, fuhr mit auf Messen und verkaufte Sofas. Mir fiel das so leicht, das Reden, das Verhandeln, das Anpreisen der Ware, dass ich das fortsetzen wollte. Es wäre auf jeden Fall deutlich lukrativer gewesen als das Fernsehen.

SPOX: Stattdessen fingen Sie bei "ran" an - und führten zum Einstand auf dem Betzenberg ein Interview mit Otto Rehhagel.

Schulz: Es war mein allererstes Interview. Unfassbar. Ich wusste, dass es kein heikles Interview werden sollte und Otto Rehhagel mir zuliebe die Zusage dafür gab. Dennoch werde ich nie vergessen, wie aufgeregt ich war. Ich spielte ja zwei Jahre in Kaiserslautern und kenne den Weg auf den Betzenberg wie meine Westentasche. Allerdings machte ich mir im Auto so viele Gedanken, was ich ihn fragen könnte, dass ich an der Autobahnausfahrt vorbeigefahren bin - und mir das erst 20 Kilometer später auffiel.

SPOX: Am Ende des Interview-Debüts sieht man, dass Sie unsicher sind, ob Sie Rehhagel zum Abschied umarmen oder nur die Hand reichen sollen. Wie schwierig ist es für einen Ex-Profi, die gebotene Distanz zu wahren, um kritisch berichten zu können?

Schulz: Es hat Vor- und Nachteile. Oft habe nur ich jemanden zum Interview bekommen, weil ich eben der Ex-Profi bin. Gleichzeitig versuchte ich schon, total sachlich zu bleiben und rational zu argumentieren. Dann wird Kritik auch nicht böse genommen.

SPOX: Wirklich nicht? Journalisten bekommen gelegentlich den Eindruck, dass Fußballer nicht besonders selbstkritisch sind.

Schulz: Selbstkritik musste ich ebenfalls lernen. Es ist eine grundsätzliche Schwäche des Menschen, nicht nur eines Fußballers. Man sucht immer die Fehler bei anderen und nie bei sich. Ich merkte erst mit der Zeit und der nötigen Erfahrung, wie sinnvoll es ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und wie gut es bei anderen ankommt, wenn man ehrlich mit sich ins Gericht geht. Das versuche ich den Spielern, die ich berate, näherzubringen. Es bringt nichts, sich immer zu ducken. Wenn man überzeugt ist, dass man keinen Fehler begangen hat, lohnt es sich zu kämpfen. Aber: Wenn man einen Mist spielt, soll man sich dem stellen und nach dem Spiel nicht unter den Kamerakabeln durchkriechen und in die Kabine flüchten. Man könnte meinen, dass das nicht so schwer ist. Daran sieht man trotzdem den wahren Charakter eines Profis. Größe zeigt sich erst in schwierigen Momenten.

SPOX: Gilt das gleichfalls für Journalisten?

Schulz: Es gibt sehr befremdliche Kollegen. Otto Rehheagel hat es mal so moniert: "Öffentlich diffamieren und sich nicht öffentlich entschuldigen." Wie oft kam es vor, dass mir jemand eine schlechte Note gegeben hat und später im Training angekommen ist mit irgendeiner billigen Entschuldigung. Von wegen: "Tut mir leid, ich habe es falsch gesehen und es gar nicht so böse gemeint." Oder noch schlimmer und total arm: "Tut mir leid, ich hatte dich ja ganz anders gesehen, nur der Chefredakteur hat es umgeschrieben." Eine Richtigstellung schafft es dennoch nie in die Zeitung.

SPOX: Sind die Medien doch zu hart und unfair? Wird ein zu großer Druck aufgebaut?

Schulz: Nein! Ich kann mich über die Jungs aufregen, die mit einem Selbstverständnis Millionen verdienen und es gar nicht anders gewohnt sind. Ich würde jedem von ihnen gerne sagen: "Ihr müsst einmal erfahren, wie das richtige Leben aussieht und was ein richtiger Job bedeutet!" Mein Lieblingslehrer Otto Rehhagel hat gesagt: "Meine Herren, Sie haben einen Körper wie Adonis, sie verdienen viel Geld und die Frauen liegen Ihnen zu Füßen. Sie haben den schönsten Beruf der Welt." So ist das. Du hast den geilsten Job, gehst morgens für eineinhalb Stunden zum Training, hast danach den ganzen Tag frei und erhältst Wahnsinnssummen. Wenn ich dann von Druck und Stress höre! Wer Druck und Stress hat, soll nach Bochum ins Opel-Werk gehen und sich ans Band stellen. Immer mit der Angst im Nacken, ob das Werk nächstes Jahr überhaupt noch steht und ob er weiter 1000 Euro im Monat abtragen kann, um die Raten für das kurz zuvor gekaufte Reihenhaus zu zahlen. Das ist Druck! Wer den Druck im Fußball nicht aushält, sollte sich etwas anderes suchen. Es wird keiner gezwungen, Profi zu werden. So einfach ist das.

SPOX: Liegt Ihre Sichtweise in Ihrer Vita begründet? Sie arbeiteten bei der Polizei und wurden erst mit fast 26 Jahren Fußball-Profi.

Schulz: Es half mir sicherlich zu wissen, wie es ist, für 2000 Mark im Monat zu arbeiten. Egal ob ich auf der Bank saß oder verletzt war, hatte ich Demut vor dem Leben als Fußball-Profi, weil man so privilegiert ist.

SPOX: Gab es nie die Gefahr, dass Sie abheben?

Schulz: Nein, mir war es wichtig, Sachen anders zu machen. Ich packte im Sommer das Dreimann-Zelt ein und fuhr mit dem BMW Cabrio zum Campen. So etwas erdet.

SPOX: Wie sah Ihr Leben vor der Bundesliga-Karriere aus?

Schulz: Ich bin direkt nach dem Abitur zur Polizei und durfte nach einigen gut gelaufenen Lehrgängen direkt in den Führungsstab. Ich war bei der Bereitschaftspolizei zuständig für das Sachgebiet "Sport und Ausbildung" und organisierte hauptsächlich vom Schreibtisch aus Sportveranstaltungen oder koordinierte die Polizeiausbildung.

SPOX: Und parallel kickten Sie unterklassig.

Schulz: Bis zur A-Jugend spielte ich in Sulingen in der damals höchsten Klasse und wechselte im Herrenbereich nach Syke in die vierte Liga. Es ging weiter nach Oldenburg in die dritte Liga, was nicht ohne war. Wir hatten fast jeden Tag Training.

SPOX: Und wie kam es, dass Sie nicht entdeckt wurden?

Schulz: Es lag nicht an den Klubs, sondern an mir. Ich bekam schon als 18-Jähriger Angebote, ich nahm sie jedoch nie an, weil ich davon ausging, dass ich es eh nicht schaffe. Wenn wir ein Testspiel gegen einen Bundesligisten hatten, bekamen wir immer sieben Stück eingeschenkt, entsprechend sagte ich mir: Bevor ich in dieses windige Geschäft einsteige, behalte ich lieber den sicheren Job bei der Polizei. Ich dachte, dass es eine gesunde Selbsteinschätzung gewesen wäre. Mit 25 kam ich aber zur Erkenntnis: Jeder Junge träumt von der Bundesliga und du nimmst die Angebote nicht an. Bist du eigentlich doof?

SPOX: Jetzt sind Sie selbst Teil des vermeintlich "windigen Geschäfts". Sie arbeiten mittlerweile als Spielerberater. Hätten Sie das früher gedacht?

Schulz: Niemals. Im Gegenteil: Ich habe super gern Fußball gespielt, gleichzeitig hat mich das Business nie interessiert. Daher hatte ich nie Lust, nach der Karriere irgendetwas mit Fußball zu tun zu haben, und wollte nur raus aus dem Kreislauf. Allerdings muss ich mir eingestehen, dass ich mich geirrt habe. Der Fußball ist ein schönes Geschäft, in dem ich mich auskenne und über ein Netzwerk verfüge. Mir macht es unheimlich viel Spaß.

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