"Das Problem: Das Haus war ohne Klo"

Von Interview: Haruka Gruber
Olaf Marschall (r.) gegen Jürgen Klinsmann bei einem Revival-Spiel DDR gegen BRD
© Imago

Der Kapitalismus, der zwielichtige Rolf-Jürgen Otto und Verletzungen machten ihm zu schaffen. Dennoch stieg Ex-Nationalspieler Olaf Marschall beim 1. FC Kaiserslautern (Sa., 15.15 Uhr gegen Hoffenheim im LIVE-TICKER) zum "Fußball-Gott" auf und wurde zum Idol eines Weltstars. Das Interview über Lockenpracht, Besenkauf und Miroslav Klose.

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SPOX: Ihr letztes Bundesliga-Spiel liegt genau zehn Jahre zurück - und noch immer tragen Sie die markante Lockenfrisur. Entziehen Sie sich bewusst den Trends?

Olaf Marschall: Ich kann doch nichts für meine Locken, das ist alles Natur. (lacht) Ich mache mir keine große Mühe, bringe wenn überhaupt etwas Ordnung rein, und dann sieht es eben so aus. Das ist alles. Mir sind die Locken auf jeden Fall lieber, als wenn ich eine Glatze bekommen würde.

SPOX: Was von Ihrer Karriere in Erinnerung bleibt, ist neben all den Toren ein Bild: Sie, Ihre Locken und das Nasenpflaster.

Marschall: Mit dem Nasenpflaster sorgte ich für mehr Wirbel als gedacht. Damals kam der Hersteller auf die Idee, mich zu sponsern - und es lief optimal für uns beide. Keine Ahnung, ob das Nasenpflaster mir tatsächlich geholfen hat, das löste damals ja eine wissenschaftliche Diskussion aus. Aber zumindest brachte es mir Glück. Ich wurde mit Kaiserslautern Meister und während der Saison so oft fotografiert, dass keine bessere Werbung für die Nasenpflaster denkbar gewesen wäre.

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SPOX: Spätestens seit der Meistersaison sind Sie Kult und werden auf dem Betzenberg noch heute als "Fußball-Gott" gefeiert. Dabei gelang Ihnen der Durchbruch erst spät, mit Ende 20. Dachten Sie jemals daran, ein Star zu werden?

Marschall: Das wäre vermessen gewesen. Ich hatte überall gute Jahre, in Leipzig, in Wien, in Dresden. Eine solide Karriere, ein schönes Leben. Ich war nie ein Rumtreiber, deswegen neigte ich nie zum übermäßigen Träumen.

SPOX: Direkt nach der Wende wechselten die besten ostdeutschen Spieler direkt nach Westdeutschland, Sie hingegen gingen nach Österreich zu Admira/Wacker Wien. Kam es Ihnen womöglich zugute, dass Sie sich anfangs in einer kleineren Liga an die neuen Verhältnisse gewöhnen konnten?

Marschall: Definitiv. Fußballerisch konnte ich mich in Wien langsam einfinden. Viel wichtiger war es jedoch, sich im Privatleben an das neue System zu gewöhnen. Man darf nicht unterschätzen, was die Wende für die ostdeutschen Bürgern veränderte. Ich fühlte mich durch die internationalen Einsätze vorbereitet, meine Frau hingegen hatte keinen Schimmer, was auf uns zukommt. Selbst die banalsten Dinge wurden kompliziert.

SPOX: Zum Beispiel?

Marschall: Wir lebten in Wien in der Nähe eines großen Einkaufszentrums. In der DDR gab es nur einmal Zucker, einmal Salz, einmal Pfeffer. Plötzlich standen wir vor den Regalen und sahen zehn verschiedene Zuckersorten und hundert verschiedene Joghurtsorten. Kompliziert wurde es bei den Besen: 20 Modelle, alle mit tollen Funktionen, die wir nicht verstanden. Für den ersten Einkauf brauchten wir vier Stunden.

SPOX: Sie blieben drei Jahre in Wien und steigerten die Torausbeute von Saison zu Saison. Überraschte es Sie trotzdem, als sich 1993 die Chance ergab, in die Bundesliga zu Dynamo Dresden zu wechseln? Sie waren bereits 27 Jahre alt.

Marschall: Es gab immer mal wieder Kontakt nach Deutschland. Schalkes Trainer Helmut Schulte hatte mal angefragt, doch es zerschlug sich, weil er kurz vor der Entlassung stand. Wenig später nahm Siggi Held, mein damaliger Trainer in Wien, ein Angebot von Dresden an und fragte mich, ob ich nicht nachkommen wolle. Als der Anruf kam, machte ich Sommer-Urlaub - und plötzlich fand ich mich in der Bundesliga wieder.

SPOX: Dresden hielt trotz eines Vier-Punkte-Abzugs souverän die Klasse und erreichte das Pokal-Halbfinale.

Marschall: Und mir gelang gleich im ersten Spiel ein Dreierpack - ausgerechnet gegen meinen alten Verein Leipzig. Es wurde ein tolles Jahr mit einer tollen und vor allem richtig talentierten Truppe: Piotr Nowak, Hans-Uwe Pilz, Detlef Schössler, Henri Fuchs, Uwe Jähnig, Miki Stevic. Dazu die Jungs, die von unten gedrängt haben, wie Jens Jeremies und Sven Kmetsch. Wenn wir zusammengeblieben wären, hätte sich Dresden in der Bundesliga etablieren können. Leider zerfiel die Mannschaft in wenigen Wochen, weil alle verkauft werden mussten.

SPOX: Die Verantwortung dafür kam dem Missmanagement unter dem damaligen Präsidenten Rolf-Jürgen Otto zu. Der Bauunternehmer landete später im Knast und ist der Inbegriff des zwielichtigen Fußball-Funktionärs. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Marschall: Als einen unheimlich cholerischen Menschen. Innerhalb der Mannschaft hatten wir eine überragende Stimmung, aber mit ihm verlief die Zusammenarbeit extrem schwierig. Bei jeder Kleinigkeit explodierte er. Wir ahnten, dass was nicht stimmte, allerding empfanden wir es als viel schlimmer, wie er sich aufgeführt hat.

SPOX: Nämlich?

Marschall: Damals wollte ich auf Leihbasis ein Haus beziehen, das Otto gebaut hatte. Das Problem: Das Haus war ohne ein Klo. Daher zogen wir ins Hotel - wobei sich meine Frau jedes Mal reinschleichen musste, weil Dresden nur für ein Einzelzimmer aufkommen wollte. Nach zwei Wochen klingelte das Zimmertelefon und Otto bestellte mich in die Lobby. Dort machte er mich lautstark dafür an, warum ich so lange auf Kosten des Klubs im Hotel leben würde, obwohl das Haus bezugsfertig wäre. Er selbst blieb natürlich wochenlang im gleichen Hotel.

SPOX: In der fast schon legendären Suite 332 im Hotel Bellevue.

Marschall: Man munkelte, dass er sich das halbe Stockwerk angemietet hätte. Wir hingegen zogen irgendwann in das Haus. Zwar gab es dann ein Klo, jedoch fehlte uns komplett die Einrichtung. In Wien wurden uns die Möbel gestellt. Daher zog Mitspieler Werner Rank mit ein: Er hatte keine Wohnung, dafür eine Küche, die wir gleich einbauten. Und zum Schlafen legten wir auf dem Boden Matratzen aus. Das waren ganz spezielle zwei Monate.

SPOX: Nach der erfolgreichen Saison in Dresden mit elf Bundesliga-Toren kaufte Sie Kaiserslautern für die damalige Klub-Rekordablöse von 2,8 Millionen Euro. Der Beginn einer wechselvollen Zeit.

Marschall: Ich saß anfangs manchmal auf der Bank, durfte wieder spielen, machte meine Tore, wurde zur Nationalmannschaft eingeladen und musste verletzungsbedingt absagen. Alles innerhalb von zwei Monaten. Wenn ich mich richtig erinnere, ging damals mein Meniskus kaputt.

Hier geht's zu Teil II: "Habe Klose die Weltkarriere nicht zugetraut"

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