"Das Problem: Das Haus war ohne Klo"

Von Interview: Haruka Gruber
Olaf Marschall (r.) gegen Jürgen Klinsmann bei einem Revival-Spiel DDR gegen BRD
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SPOX: Verletzungen prägten Ihre Karriere. Womöglich hätte mit einem fitten Marschall der Abstieg 1996 verhindert werden können.

Marschall: Seltsamerweise erlitte ich fast alle meine Verletzungen in Kaiserslautern: Der Meniskus, die Achillessehne, der Knorpel, zweimal riss das Innenband, ich brach mir den Mittelfuß. So auch in der Abstiegssaison: Ich fiel fast die halbe Saison aus und parallel entwickelte sich ein Sog, der die gesamte Mannschaft nach unten riss. Es war grausam. Irgendwann kippte die Stimmung: Einige Fans hatten so eine Wut, dass sie das Dach von Pele Wollitz' Cabrio aufschlitzten. Andere Autos wurden zerkratzt oder die Reifen zerstochen.

SPOX: Es folgte der denkwürdige letzte Spieltag mit dem Abstiegsendspiel in Leverkusen: Nur mit einem eigenen Sieg hätte sich Kaiserslautern retten können.

Marschall: Was mich noch heute ärgert: Dass völlig untergeht, wie Leverkusen nur mit einer Unsportlichkeit die Klasse hielt und uns in die Zweite Liga schickte. Wir führten 1:0, als ich nach einem Zweikampf auf dem Boden liegen blieb. Wir schossen den Ball ins Aus, damit ich behandelt werden konnte. Wir dachten, dass Leverkusen uns den Ball zurückgibt und standen komplett offen. Stattdessen leitete Paulo Sergio mit dem Einwurf den Konter ein, den Markus Münch mit dem 1:1 abschloss. Was ein scheiß Gefühl.

SPOX: Wie gingen Sie mental mit der Tatsache um, dass eine Woche nach dem Drama das Pokalfinale anstand, dass Kaiserslautern als Absteiger gegen Karlsruhe sogar gewann?

Marschall: Es war leichter als gedacht. Wir konnten nach dem Leverkusen-Spiel zwar nicht aus Frust einen trinken gehen, weil wir das Finale vor uns hatten. Aber nach dem Pokalsieg konnten wir den Abstieg komplett verdrängen und ließen die Sau raus. Erst als die Zweitliga-Saison losging und wir nach Meppen oder Lübeck fahren mussten, realisierten wir erst richtig, was wir uns eingebrockt haben.

SPOX: Kaiserslautern kehrte souverän in die Erstklassigkeit zurück - und zeichnete für die größte Sensation der Bundesliga-Geschichte verantwortlich: der Gewinn der deutschen Meisterschaft als Aufsteiger. Sie waren mit 21 Toren in 24 Spielen der Garant.

Marschall: Die Aufstiegsmannschaft wurde im Sommer mit Ciri Sforza, Marian Hristow und Andi Buck klug verstärkt. Am ersten Spieltag gewannen wir bei den Bayern 1:0, am zweiten Spieltag erzielten wir gegen Hertha ebenfalls sehr spät den 1:0-Siegtreffer - und es nahm seinen Lauf. Otto Rehhagel setzte zwar auf einen Libero, dennoch zeigten wir modernen Fußball mit wunderbar herausgespielten Toren.

SPOX: Kaiserslautern schien auf dem Weg zu einer Fußball-Macht und begann unter der Führung von Atze Friedrich, internationale Stars wie Youri Djorkaeff und Taribo West zu verpflichten. Ein folgenschwerer Fehler?

Marschall: Die Stimmung verschlechterte sich von Jahr zu Jahr. Durch die Meisterschaft und den Einzug ins Champions-League-Viertelfinale floß plötzlich Geld, das sie für toll klingende Namen ausgaben. So entstand eine wahllos zusammengestellte Gruppe aus Einzelspielern. Wenn Kaiserslautern die Mannschaft mit Bedacht nur ergänzt hätte, wäre vielleicht etwas Großes entstanden. Der Kern mit den alten Recken stimmte, dazu mit Thomas Riedl, Marco Reich und Pascal Ojigwe einige gute Jungs. Und wir hatten Michael Ballack: Wenn der Verein damals klar das Signal gesendet hätte, dass man auf ihn baut, wäre er vielleicht geblieben, statt nach Leverkusen zu wechseln.

SPOX: In den Jahren der Orientierungslosigkeit glückte immerhin einem Spieler der Durchbruch, zu dem Sie eine besondere Beziehung pflegten: Miroslav Klose. Früher hatte er als Fan auf dem Betzenberg Ihr Trikot getragen und löste Sie später als Top-Stürmer ab. Sahen Sie in ihm einen zukünftigen Weltstar?

Marschall: Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich ihm das so nicht zugetraut, als man ihn aus der zweiten Mannschaft zu den Profis hochzog. Er brachte eine unglaubliche Dynamik und den Torriecher mit, das sah man sofort. Wenn er den Ball bekam, rannte er wie ein Wilder los uns suchte den Abschluss. Er feuerte jeden Ball mit Vollspann aufs Tor. Dafür wies er Defizite beim Mitspielen auf. Doch er besaß eine Qualität, die sehr selten ist: Er hörte nie auf, besser zu werden. So wurde er ein kompletter Mittelstürmer.

SPOX: Während Klose emporstieg, saßen Sie in Ihrer letzten Saison unter Andreas Brehme zunehmend auf der Bank. Sie zeigten sich daraufhin enttäuscht, obwohl Ihre Karriere sich dem Ende zuneigte. Warum?

Marschall: Mit 36 Jahren hatte ich keine Probleme damit, nicht mehr zur Stammelf zu gehören. Enttäuscht war ich nur vom Umgang. Mir hätte der Verein einfach erklären können, dass es nicht mehr reicht. Stattdessen ließ man mich während des Spiels an der Seitenlinie hoch und runter laufen, ohne dass ich eingewechselt wurde. Oder: Während die restliche Mannschaft am Freitag vor einem Spieltag das normale Abschlusstraining abspulte, musste ich abseits davon 300-Meter-Läufe absolvieren.

SPOX: 2004 kehrten Sie nach Kaiserslautern zurück und übernahmen verschiedene Funktionen: Erst als rechte Hand des Vorstandsvorsitzenden Rene Jäggi, später als Co-Trainer der ersten und zweiten Mannschaft. Sie verließen den Verein 2006 in Unfrieden, wie es hieß. Was war geschehen?

Marschall: Die Ausgangslage klang vielversprechend. Dachte ich zumindest. Als Vorstandsassistent und Teammanger verfügte ich als Einziger in der Klubführung über Profi-Erfahrung. Was mir aber zunehmend missfiel: Nach außen hin stellte man mich einerseits als Lehrling hin, andererseits wurde ich in schlechten Phasen vor die Kameras geschickt, um Entscheidungen zu rechtfertigen, die ich nicht getroffen hatte. So, wie die Bayern Christian Nerlinger sukzessive aufbauen, hätte ich es mir auch bei mir gewünscht. So war es ein undankbarer Job, dem ich nicht nachtrauere.

Olaf "Fußball-Gott" Marschall im Steckbrief

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