"Die Bayern lehnten Robinho ab"

Von Interview: Haruka Gruber
Paulo Sergio beim Legenden-Spiel 2011 zwischen Real Madrid und FC Bayern München
© Imago

Ein Brasilianer mit deutscher Seele: Wie Paulo Sergio aus der Bundesliga fliehen wollte. Warum die Bayern 2001 so gut sind wie der FC Barcelona 2012. Und was zwischen dem FCB und Robinho lief. Das Legenden-Interview mit dem heute 42-Jährigen.


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SPOX: Der FC Bayern hat angekündigt, nicht mehr nach südamerikanischen und speziell brasilianischen Spielern zu scouten. Ein Fehler?

Paulo Sergio: Nein, ich verstehe es sogar. In den letzten zehn, 20 Jahren hat sich häufig genug gezeigt, wie schwer es Brasilianern fällt, nach Europa zu kommen und sich sofort bei einem Top-Klub durchzusetzen. Spätestens nach Breno ist es logisch, dass Bayern wenn überhaupt nur noch Brasilianer möchte, die in Europa bereits Erfahrung gesammelt haben.

SPOX: Noch ist ungewiss, ob die Bayern mit Breno verlängern. Ist ein Verbleib überhaupt sinnvoll?

Paulo Sergio: Breno steckt in einer extrem schwierigen Phase. Auf dem Jungen lastet zu viel Druck, privat wie auch sportlich. Die Bayern helfen ihm, soweit es geht, doch in Deutschland ist wahrscheinlich zu viel passiert für einen Neuanfang. Optimal wäre es, mit ihm zu verlängern und ihn weiter zu verleihen, in den Süden nach Italien oder Spanien. Vielleicht auch Brasilien. Dort wird Brenos impulsive Art nicht so missverstanden wie in Deutschland.

SPOX: Würden Sie nach den Erfahrungen mit Breno so weit gehen, den Bayern keinen Brasilianer mehr zu empfehlen?

Paulo Sergio: Ich erzähle mal eine Geschichte: Vor einigen Jahren dachte jeder in Brasilien, dass Robinho, damals noch beim FC Santos, der nächste Superstar wird. Ich arbeitete damals als Scout für die Bayern und hatte einen ersten Kontakt hergestellt. Ich glaube, ein Wechsel wäre möglich gewesen, deshalb habe ich in München angerufen und gefragt, ob Interesse besteht. Die Bayern lehnten ab, sie wollten Robinho einfach nicht haben. Damals verstand ich es nicht wirklich, jetzt schon.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Paulo Sergio: Jeder sieht, was aus Robinho wurde. Die Bayern hatten vollkommen Recht. Er spielt zwar beim AC Milan, dennoch ist er nichts Besonderes. Er hat nichts Außergewöhnliches an sich. Er ist ein normaler Fußballer. Und ein normaler Fußballer kann die Bayern nicht auf das nächste Level führen.

SPOX: Selbst Neymar, Robinhos Nachfolger in Santos, wäre für die Bayern nichts?

Paulo Sergio: Neymar ist ein guter Spieler, der in der brasilianischen Liga schon dieses Außergewöhnliche ausstrahlt. Dennoch bleibt er ein Junge, der sich nicht in Europa auskennt. Er sollte von Robinho lernen, in Brasilien bleiben und vielleicht nach einer guten WM 2014 nach Europa wechseln.

SPOX: Der brasilianische Markt ist entsprechend uninteressant?

Paulo Sergio: Ich kenne keinen Spieler aus der brasilianischen Liga, der den Bayern sofort helfen könnte. Selbst für Dortmund sehe ich niemanden. Für die Bundesligisten aus dem Mittelfeld und dem unteren Drittel gibt es zahlreiche Kandidaten, die gut genug wären, aber die sind mittlerweile unbezahlbar, weil in Brasilien heute so viel Geld fließt. Daher müssen sich die Deutschen woanders umschauen, in Afrika oder in Asien.

SPOX: Sie sind entsprechend nicht mehr als Scout für die Bayern tätig?

Paulo Sergio: Nein, schon länger nicht mehr. Ich war ja schon Scout, bevor Giovane Elber damit angefangen hat. Wenn die Bayern eine lose Anfrage haben, rufen sie mich an und ich freue mich, wenn ich mit meinen Kontakten weiterhelfen kann. Wenn nicht, ist das auch kein Problem. (lacht)

SPOX: Wie sieht Ihr Leben frei vom Scouting aus?

Paulo Sergio: Alles ganz normal: Ich wohne mit meiner Familie in Sao Paulo, nur 15 Kilometer entfernt von der City. Meine Tochter ist 19 und studiert, mein Sohn ist 21 und geht womöglich bald in die USA, weil ihm die Universität von Kentucky ein Fußball-Stipendium anbietet.

SPOX: Und beruflich?

Paulo Sergio: Ich gehe morgen wie jeder andere ins Büro und kümmere mich um meine Geschäfte. Ich bin Gründer und Besitzer einer Firma mit vier festen Angestellten, die verschiedene Projekte im Fußball voranschiebt. Unter anderem vertreiben wir mobile Fußball-Tribünen, die zuletzt bei der Schneefußball-WM in Arosa auf 2000 Meter Höhe im Einsatz waren, nach Mittel- und Südamerika. Außerdem arbeiten wir mit dem Fußballverband von Sao Paulo zusammen oder helfen Spielern bei juristischen Problemen. Aber um das klarzustellen: Wir sind keine Spielerberater!

SPOX: Stimmt es, dass Sie Ihrer Firma einen deutschen Namen gegeben haben?

Paulo Sergio: Ja, sie heißt simpel "Welt". Jede Firma heißt ja "Global irgendwas", deswegen wollte ich mich davon absetzen und meine deutschen Wurzeln unterstreichen.

SPOX: Haben Sie denn noch deutsche Wurzeln?

Paulo Sergio: Ich fühle mich Deutschland total verbunden. Das Schöne an meinem Job ist, dass ich meinen Kalender selbst gestalten und so sieben, acht Mal im Jahr nach Europa reisen kann, geschäftlich und privat. In Deutschland bin ich davon mindestens vier Mal, alleine schon wegen den Spielen der Bayern-All-Stars.

SPOX: Ihre Integration in Deutschland verlief scheinbar mühelos. Warum fiel es Ihnen so viel leichter als Breno, als Sie 1993 nach Leverkusen kamen?

Paulo Sergio: So einfach war das nicht, im Gegenteil. Auf dem Fußballplatz lief es zwar sofort super mit 17 Toren in der ersten Saison. Tony Yeboah wurde mit nur einem Treffer mehr Torschützenkönig. Privat hingegen tat ich mich extrem schwer. Nach den ersten drei Monaten bin ich zu Reiner Calmund und sagte: "Manager, ich kann nicht mehr, ich will nach Hause." Calmund weigerte sich und machte mir stattdessen Mut. Nach dem Gespräch setzte ich mich mit meiner Frau zusammen und wir schworen uns: "Wenn wir schon bleiben, machen wir das richtig." Und so lernten wir langsam die Sprache und die Kultur.

SPOX: Was genau ist denn so schwer?

Paulo Sergio: Die Deutschen haben keine Vorstellung davon, in eine neue Welt zu kommen und funktionieren zu müssen, obwohl alles so kalt ist. Nicht nur vom Wetter her, sondern auch bei der Mentalität von einigen Leuten. Calli gehörte zu den Lockeren, aber die anderen oberen Bosse waren so steif. Ich wusste nicht, wie man damit umgehen sollte. Damals waren pro Team nur drei Ausländer erlaubt, und in Leverkusen gehörten die Plätze mir, Ioan Lupescu und Pavel Hapal. Ein Rumäne und ein Tscheche. Sie konnten also auch keine richtigen Bezugspersonen sein. Heute ist es unvorstellbar, doch damals gab es in meiner ersten Saison nur vier Brasilianer in der gesamten Bundesliga: Jorginho, Carlos Dunga, Franklin Bittencourt und ich.

SPOX: Wer war Ihr wichtigster Ansprechpartner?

Paulo Sergio: Am meisten hat mir Bernd Schuster geholfen.

SPOX: Der egozentrische Schuster?

Paulo Sergio: Ich weiß, das ist sein Ruf. Zu mir verhielt er sich ganz anders. Vaterfigur ist vielleicht zu hoch gegriffen, am besten trifft es die Formulierung: ein sehr, sehr guter Freund. Weil er jahrelang in Spanien gespielt hat, konnte er sich in mich hineinversetzen. Ein toller Kerl, der einem geholfen hat, wo immer es ging.

SPOX: Nach 47 Toren in vier Jahren wechselten Sie 1997 zum AS Rom. Dort verloren sich Ihre Spuren etwas.

Paulo Sergio: Es lief nicht alles optimal. Ich spielte mit Legenden wie Aldair, Cafu, Francesco Totti oder Abel Balbo und traf in beiden Jahren jeweils zweistellig, obwohl ich im Mittelfeld und nicht im Sturm eingesetzt wurde - dennoch war ich nicht so gut, wie ich hätte sein können.

SPOX: Dann kehrten Sie 1999 zurück nach Deutschland.

Paulo Sergio: An die Tage damals kann ich mich noch gut erinnern. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge kamen extra nach Rom geflogen und überzeugten mich bei einem Abendessen, nach München zu kommen. Es gab keinen Vertrag, sondern nur einen Handschlag. Eine Woche später rief Dortmund an und bot viel mehr Geld. Ich lehnte aber aus Prinzip ab, weil das meiner Mentalität entsprach. Ein Handschlag ist ein Handschlag.

SPOX: Und Sie haben das nie bereut?

Paulo Sergio: Nicht einmal ansatzweise. Es war die beste Entscheidung meines Lebens, zu den Bayern zu gehen. Ich gewann mit dem FCB alles: die Champions League, die Meisterschaft, den Pokal, den Supercup. Im ersten Jahr wurde ich gleich Double-Sieger, während Dortmund fast abgestiegen wäre.

Teil II: "Die Bayern 2001 würden mit Barca 2012 mithalten"

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