"Ich kenne das Gefühl des Versagens"

Von Für SPOX in Belek: Haruka Gruber
Hanno Balitsch hat es seinen Trainern nicht immer leicht gemacht
© Imago

Ein bitterböser Streit vor drei Jahren entzweite Dieter Hecking und Hanno Balitsch. In der Türkei kam es zur großen Versöhnung. Nun soll Balitsch, der in Leverkusen unter Robin Dutt perspektivlos war, als schuftender Brasilianer den Club vor dem Abstieg retten.

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Es war unerhört, was er sich als Vertreter des Fußball-Proletariats für ein Privileg herausnahm, als in der vergangenen Rückrunde Leverkusen in Frankfurt antrat. Sonst verantwortlich für Fleiß und Arbeitslust, versuchte sich Hanno Balisch an der großen Kunst - und erstaunte jeden.

Mit einem doppelten Doppelpass mit Renato Augusto und Stefan Kießling spielte sich Balitsch bis an den gegnerischen Elfmeterpunkt, von wo er über den herannahenden Torwart entspannt zum 3:0-Endstand hinweglupfte.

Ein Tor, das höchsten Ansprüchen an Technik und Ästhetik genügte. "Seitdem bin ich bei Renato Augusto als Brasilianer akzeptiert", sagt ein lachender Balitsch bei seiner Vorstellung als ablösefreier Neuzugang des 1. FC Nürnberg im Trainingslager in Belek.

Leverkusen ist abgehakt

Nürnbergs Trainer Dieter Hecking blieb dieser Moment ebenfalls in besonderer Erinnerung: "Wie er den Spielzug selbst einfädelte und selbst zum Abschluss kam: Wir saßen alle vor dem Fernseher und waren begeistert. An dieser Szene konnte man erkennen, dass Hanno nicht nur ein Kämpfer ist, sondern Spielintelligenz und Torgefahr mitbringt."

Am Samstag reiste Balitsch seinem neuen Klub in die Türkei nach und klärte letzte Details des bis 2014 befristeten Vertrags mit Sport-Vorstand Martin Bader, am Sonntag nahm der 31-Jährige erstmals am Training teil und stellte sich den Medien vor.

Ob er Nürnberg im Falle eines Abstiegs verlassen darf, darüber wollte sich Balitsch genauso wenig äußern wie über das schwierige Verhältnis mit Leverkusens Trainer Robin Dutt, der ihn ohne Nennung von Gründen suspendiert hatte: "Das Thema ist abgehakt."

Wiedersehen mit Dieter Hecking

Vielmehr sprach er über die Gründe, warum er sich für Nürnberg entschieden hat. Zwar habe Interesse von besser platzierten Bundesliga-Klubs als den Tabellen-15. bestanden, "aber vom Gefühl her hat Nürnberg am besten gepasst. Ein ausschlaggebender Grund war, dass ich den Trainer aus den gemeinsamen Zeiten in Hannover gut kenne", sagt Balitsch und schaut dabei unbefangen zum neben ihn sitzenden Hecking.

Jener Hecking, mit dem sich Balitsch bei der letzten Zusammenarbeit in Hannover zerstritten hatte.

Es war ein trostloser, verregneter Sonntagabend im Dezember 2008. Hannover spielte eine enttäuschende Saison und lag beim Gastspiel in Wolfsburg zur Pause zurück. In Hecking brodelte es, als er in die Kabine ging. Er ärgerte sich über die "unterirdische Leistung" seiner Mannschaft und über Szabolcs Huszti, der "am eigenen Sechzehner ins Dribbling ging, den Ball verlor und das Gegentor einleitete".

Suspendierung in Hannover

Drei Jahre später kann sich Hecking exakt an die Umstände erinnern, die zu einem der unangenehmsten Episoden seiner Trainer-Karriere führten.

Hecking: "Ich bin in die Kabine marschiert und habe in einem sehr lauten Ton gesagt, was mir alles nicht gefällt. Ich richtete mich dann an Hanno und habe ihn aufgefordert, dass er in der zweiten Halbzeit als Kapitän positiv vorweg gehen soll. Es war gar nicht als Kritik an seiner Leistung gedacht, er hat es dennoch anders verstanden, so dass nur die lapidare Antwort kam: 'Sind Sie dann jetzt auch mal positiv?' Das kam nicht gut an bei mir."

Was folgte, war Balitschs sofortige Auswechslung sowie eine Suspendierung bis zur Winterpause. Das Verhältnis blieb in der Rückrunde belastet, obwohl Balitsch begnadigt und Hannover nach langem Zittern zum Klassenerhalt geführt wurde, bevor Hecking im Sommer 2009 den Verein verließ. Eine Aussprache fand nie statt.

Balitsch: "Habe Fehler gemacht"

"Es gab zwischenmenschliche Probleme. Es blieb einiges zwischen den Zeilen stehen", sagt Hecking heute. Entsprechend erstaunt war er, als Balitschs Berater Christoph Leutrum Nürnberg die Idee unterbreitete, seinen Klienten zu verpflichten: "Ich musste erstmal einen Tag nachdenken, ob das sinnvoll ist. Ich wollte nichts überstürzen."

Eine Unterredung noch am Abend von Balitschs Ankunft in Belek brachte die Erkenntnis, dass die Differenzen ausgeräumt werden können. "Ich habe mir etwas herausgenommen, was mir nicht zustand. Ich habe zuallererst Fehler gemacht", sagt Balitsch.

Aber auch Hecking zeigt sich selbstkritisch ob seines Verhaltens. Als sich Balitsch damals in Hannover entschuldigen wollte, habe er sich nicht die Zeit genommen und ihn damit brüskiert. Generell war Hecking nach eigenen Angaben zu anspruchsvoll mit der Mannschaft, weswegen "es zum Bruch mit ihr kam". Nun jedoch sei alles geklärt.

Erfahren und vielseitig

Balitschs sportlicher Wert stand ohnehin nie in Zweifel. Reich an Erfahrung aus 284 Bundesliga-Partien und einem Länderspiel, soll er nach Heckings Wunsch sofort zum Führungszirkel, bestehend aus Raphael Schäfer, Timmy Simons und Per Nilsson, gehören und der jungen Mannschaft ein Halt sein. "Ich kenne aus der Zeit in Köln das Gefühl des Absteigens. Ich kenne das Gefühl des Versagens", sagt Balitsch.

Zudem bringt er die Qualitäten als Allrounder ein: Auf Dauer soll er auf der bevorzugten Position im defensiven Mittelfeld eingesetzt werden, zum Rückrunden-Auftakt gegen Berlin wird er aufgrund der Sperren von Timothy Chandler und Markus Feulner voraussichtlich als Rechtsverteidiger beginnen. Bei personellem Notstand soll er zudem in der Innenverteidigung aushelfen.

In der Vorsaison bewährte sich Balitsch unter dem damaligen Leverkusen-Trainer Jupp Heynckes sogar als Linksaußen: "Das war schon extrem, aber es hat mich weitergebracht." Bei aller Vielseitigkeit erwartet Hecking jedoch eines: "Ich brauche jemanden, der weiß, wie man arbeitet. Ich brauche keinen filigranen Techniker."

Wobei Balitsch mit seinem Traumtor in Frankfurt den Beweis antrat, dass er beides kann: schuften und glänzen.

Hanno Balitsch im Steckbrief

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