Fischer: "Spaniens Erfolg ist kein Zufall"

Von Interview: Florian Regelmann
SPOX-Redakteur Florian Regelmann (l.) traf Holger Fischer zuhause in Balingen
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SPOX: Müsste man nicht viel mehr vorbeugend eingreifen?

Fischer: Das ist der entscheidende Punkt. Das Problem ist ja nicht der Sport, das Problem ist, wie ich mit den Facetten außerhalb des Sports umgehe. Wenn ein Spieler morgen drei Tore gegen die Bayern schießt, dann wird er in der Wahrnehmung aller Menschen innerhalb von 90 Minuten zu einem anderen Menschen. Das große Problem vor allem im Fußball ist aber, dass der Spieler überhaupt nicht auf Erfolg vorbereitet wird. Es wird immer erst angefangen, etwas zu unternehmen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Burnout-Prophylaxe ist ein Riesenthema momentan, gerade im Business-Bereich. Einige Vereine versuchen inzwischen auch, pro-aktiv zu handeln, indem sie Psychologen anstellen. Dadurch kann man sich viel ersparen. Das geht grundsätzlich in die richtige Richtung.

SPOX: Im Fall Rafati ist eine Diskussion entstanden, ob es unmenschlich ist, den schlechtesten Schiedsrichter wählen zu lassen. Ist das nicht eine unsinnige Herangehensweise?

Fischer: So eine Wahl ist mittlerweile Teil des Business. Wer heute einen Vertrag als Schiedsrichter im Profi-Bereich unterschreibt, der weiß, was er tut. Also kann er sich auch nicht darüber beschweren. Da kann man nicht von den armen Schiris sprechen, das müssen sie sich schon vorher überlegen.

Holger Fischer: "Ich bin für viele die letzte Rettung"

SPOX: Was ist mit der Benotung von Spielern? Die Noten liest ja eh keiner, wenn man den Herren Fußballern glauben darf...

Fischer: Das sagen sie, aber am Ende gibt es nur ganz wenige Fußballer, die sich nicht anschauen, was sie für eine Note bekommen haben. Wenn einer mal eine Woche durch den Kakao gezogen wurde, schaut er vielleicht eine Zeit lang nicht mehr rein, aber grundsätzlich interessieren sie sich doch alle dafür.

SPOX: Matthias Sammer ist der Vorreiter beim DFB, der die Persönlichkeitsentwicklung immer wieder in den Vordergrund rückt. Damit müsste er Ihnen eigentlich sehr nahe kommen, oder?

Fischer: Das stimmt. Die Persönlichkeitsentwicklung ist etwas, das im Fußball noch zu wenig passiert. Da gibt es noch viel Luft nach oben, vor allem wenn es um die spezielle Betrachtung des Themas Hochbegabung angeht. Denn Weltklasse-Athleten, die nicht hochbegabt sind, gibt es nicht.

SPOX: Das müssen Sie mir genauer erklären.

Fischer: Mit Hochbegabung meine ich nicht, dass die in der Schule nur Einser schreiben. Hochbegabte haben aber ganz andere Denkstrukturen. Es sind oft schwierige Menschen, in positiver aber auch negativer Hinsicht. Menschen, die ein bisschen anders ticken. Die vielleicht sogar etwas komisch wirken. In Deutschland sind solche Hochbegabte im Sport schon einige Male unterwegs auf der Strecke geblieben. Weil sie eben so schwer zu packen sind. Da liegen noch enorme Ressourcen. Nur: Um mit diesen Hochbegabten zu arbeiten, muss ich selbst auf eine bestimmte Art hochbegabt sein, sonst verstehe ich diese Menschen nicht. Es gibt zwar Literatur über Hochbegabung, aber die wurde oft von Leuten geschrieben, die selbst nicht hochbegabt sind. Auf dieses Thema wird noch zu wenig Wert gelegt.

SPOX: Sind Sie hochbegabt?

Fischer: Ohne überheblich klingen zu wollen: Ich habe den Vorteil, dass ich inzwischen weiß, dass ich auf gewissen Feldern hochbegabt bin. Aber noch mal: Du hast keine Chance, ein Weltklasse-Athlet zu werden, wenn du das nicht bist. Es gibt auch Hochbegabungen verschiedener Natur. Gerd Müller war ein klassisches Beispiel für eine emotionale Hochbegabung, weil er einfach das Gefühl dafür hatte, im richtigen Moment das richtige zu machen. So etwas habe ich, oder ich habe es nicht. Roger Federer ist hochbegabt auf mehreren Ebenen. Er ist jemand, der sich selbst immer wieder vor neue Herausforderungen stellt. Der das auch braucht. Solche Leute interessiert Druck dann wenig. Ob es Federer, Zinedine Zidane, oder Lionel Messi ist, man kann bei so extrem hochbegabten Sportlern feststellen, dass ihr Privatleben in der Öffentlichkeit kaum stattfindet. Das ist alles sehr authentisch. Sie haben alle ein intaktes Umfeld, da gibt es wenig Brimborium, solche Leute haben es geschafft, sich ihr Leben so aufzubauen, dass es stimmig ist.

SPOX: Das Thema Elite ist in Deutschland aber ein eher schwieriges. Warum eigentlich?

Fischer: Wenn man sieht, dass es inzwischen Kindergärten oder spezielle Klassen für Hochbegabte gibt, dann sieht man ja, dass sich in der Hinsicht langsam etwas tut. Aber es bleibt zugespitzt formuliert dennoch ein deutsches Problem. Hochbegabte merken ja, dass sie anders sind als die anderen. Aber oft denken sie dann, dass die anderen alle normal sind und sie einen an der Murmel haben. Sebastian Deisler ist ein Beispiel für einen Hochbegabten im Fußball, der mit sich selbst nicht klar gekommen ist.

SPOX: In den USA oder auch in anderen Ländern scheint es diese Problematik gar nicht zu geben.

Fischer: Wenn jemand in den USA Millionär wird, dann machen sie ein Straßenfest. Und in Deutschland? Bloß niemandem erzählen. Der Sozialneid ist bei uns extrem ausgeprägt. Wir wollen die Elite, aber wenn wir sie dann haben, dann vernichten wir sie, böse ausgedrückt. Warum gehen die meisten Stars aus Deutschland weg? Nicht wegen der Steuern. Ich habe ausländische Stars bei mir gehabt, die mir gesagt haben, dass es so nicht geht. Da wirst du angepöbelt, da gibt's kein "bitte" beim Autogramm-Wunsch, solche Dinge. Ohne Deutschland jetzt schlecht zu machen, wir haben einen Nachholbedarf, wie wir mit Elite umgehen. In Spanien werden die Sportler auch viel mehr geschützt. Der Erfolg von Spanien in so vielen Sportarten ist ja kein Zufall. Da herrscht eine ganz andere Denkweise. Das sieht man schon alleine daran, dass die spanischen Tennisspieler zwar Rivalen, aber größtenteils auch befreundet sind.

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