Der lange Weg zurück

Von Stefan Rommel
Eckpfeiler des Stuttgarter Erfolgs: Martin Harnik, William Kvist und Trainer Bruno Labbadia
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Die Standards

Nicht erst das Führungstor von Tasci gegen den BVB hat gezeigt, dass sich der VfB bei seinen Offensiv-Standards sehr einfallsreich präsentiert. Bisher traf Stuttgart schon achtmal nach einem Standard. Zusammen mit Hannover 96 ist das der Spitzenwert der Liga.

Knapp die Hälfte der 17 Tore also. In der Zeit vor Labbadia schaffte es die Mannschaft in der vergangenen Vorrunde gerade auf 27 Prozent (6 von 22 Toren). Die Varianten sind abwechslungsreich gestreut, der Gegner hat es unheimlich schwer, sich auf darauf einzustellen.

"Mich freut dieser Treffer ganz besonders, weil fast alle Spieler daran beteiligt waren", sagt Labbadia. "Bis auf zwei unserer Leute haben in dieser Szene alle ihre festgelegten Laufwege und die auch exakt eingehalten."

Auffällig beim Treffer gegen den BVB: Boulahrouz hatte aus der grundlegenden Sicht keinen Auftrag. Der Niederländer orientierte sich bei Hajnals Flanke überhaupt nicht zum Ball, auch achtete er in der ersten Aktion auch kaum auf den Gegner. Boulahrouz lief einfach geradeaus aufs Tor durch, verstärkte dadurch nur den Verkehr vor Weidenfeller.

Auch deshalb musste Kehl um ihn herumlaufen und holte so den Abstand auf den auf dem zweiten Pfosten kreuzenden Harnik bis zu dessen Torschuss nicht mehr auf. Beim Abpraller standen dann Boulahrouz und Torschütze Tasci komplett frei, obwohl der BVB im Strafraum klar in der Überzahl war. Das einzige Zufallsprodukt des kompletten Angriffs.

So gut der VfB aber in der Offensive bei den Standards verfährt, so ausbaufähig sind seine Aktionen bei Defensiv-Standards. Schon fünf Gegentore hat der VfB so kassiert, besonders bei Eckbällen (drei) ist die Mannschaft anfällig.

Die Fitness

Die Grundlage von allem. In Stuttgart aber eine Halbserie lang fahrlässig stiefmütterlich behandelt. Die Werte der Mannschaft waren so schlecht, dass sich der Klub schon kurz nach Labbadias Amtsantritt erste Gedanken über die Umgestaltung der Konditions- und Athletikabteilung gemacht hat. Im Sommer trennte man sich dann endgültig von Konditionstrainer Christian Kolodziej.

Labbadia hatte zusammen mit seinem Co-Trainer Eddy Sözer die Planungen für die Rückrunde übernommen. Was sich dann schon in der Rückrunde in deutlich besseren Werten ablesen ließ, findet jetzt seine Fortsetzung.

Die Mannschaft kann bis zuletzt Tempo gehen. Späten Toren gegen Schalke, Hannover, Hoffenheim und Nürnberg stehen lediglich ein Gegentor von Freiburgs Cisse gegenüber. Insgesamt hat die Mannschaft zwölf ihrer 17 Tore in der zweiten Halbzeit erzielt. Nur Schalke (17) und die Bayern (14) sind noch besser.

Die Qualität der Laufleistung liegt dabei für Labbadia im Vordergrund. In der absoluten Kilometerleistung liegt die Mannschaft im Mittelfeld der Liga, geht es aber ins höchste Tempo, ist der VfB spitze. Im Schnitt 177 Sprints ziehen Stuttgarter Spieler pro Partie an, ein unerreichter Wert in der Liga.

Protagonist ist hier vor allem Martin Harnik, der in dieser Saison von allen Spielern ligaweit die meisten Sprints angezogen hat (28 pro Spiel).

Die Transfers

Mit punktuellen, perfekt passenden Verstärkungen wie Hajnal und Okazaki im Winter, sowie Kvist und Maza im Sommer hat Labbadia gemeinsam mit Manager Fredi Bobic ein funktionierendes Gefüge gebildet.

Dazu hat er mit Khalid Boulahrouz einen fast verschüttet geglaubten Spieler aus dem Tal geholt und zum wichtigen Stammspieler gemacht. Insgesamt hat sich die Mannschaft seit Labbadias Übernahme auf der Hälfte der Feldspielerpositionen verändert.

Labbadia hat sein Personal gemäß seiner Spielidee abgestimmt. Vor allen Dingen Kvist sticht hier hervor. Der Däne ist die gelebte Antizipation, bestimmt Rhythmus und Takt der Schwaben sowohl defensiv als auch offensiv. Kvists Ruhe am Ball auch in kniffligen Situationen ist bemerkenswert. Sein Wert für die Mannschaft kann die Statistik nur unzureichend begreifen.

Das Problem

So stark sich die Schwaben in den letzten Monaten auch in vielen Belangen verbessert haben, so sicher gibt es immer noch jede Menge Baustellen. Die größte: Sobald ein Gegner dem VfB Ball- und Spielkontrolle überlässt, wird die Mannschaft unruhig.

Stuttgart kann mit übermäßigem Ballbesitz wenig anfangen, die Mannschaft kann das Spiel nicht in der Art echter Spitzenmannschaften diktieren und den Gegner langsam, aber stetig bespielen und letztlich zu entscheidenden Fehlern zwingen.

Das Konterspiel liegt der Mannschaft mehr, insofern verwundert folgende Statistik keineswegs: Labbadia hat saisonübergreifend in bisher 14 Heimspielen mit dem VfB Saison 23 Punkte geholt. In ebenso vielen Auswärtsspielen waren es 25 Punkte.

Der Trend, den Labbadia auch bei seinen früheren Bundesliga-Stationen in Leverkusen und Hamburg angedeutet hatte, bestätigt sich auch beim VfB. Labbadias Mannschaften sind auswärts ungemein gefährlich, Labbadia ist aktuell sogar der erfolgreichste "Auswärtstrainer".

Im Schnitt holten Labbadias Mannschaften in 46 Auswärtsspielen 1,53 Punkte pro Partie. Selbst Thomas Schaaf kann da mit Werder Bremen nicht mithalten (298 Punkte in 210 Spielen, Quote: 1,41).

Auch Klopp (1,20) und Heynckes 1,02 liegen hinter Labbadia. 20 Siege bei 46 Spielen und dabei nur 15 Niederlagen sind ebenso absolute Top-Werte.

"Wenn man Heimspiele hat, muss man das Spiel machen und entscheiden: Wann spielt man schnell, wann muss man das Tempo rausnehmen? Dann ist da auch das eigene Publikum, das eine Erwartungshaltung hat und ungeduldig wird", erklärt Labbadia sein recht simples Rezept.

Auf Dauer wird sich die Mannschaft aber nur weiter in die Spitze bewegen, wenn auch andere Spielsituationen so beherrscht werden wie das schnelle Konterspiel. Das braucht Zeit, die Labbadia und Bobic auch einfordern. Die ersten Grundlagen sind aber gelegt. "Bei uns wächst etwas heran", sagt Kvist mit Blick auf die Zukunft.

Das ist der VfB Stuttgart

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