"Die Guten müssen selten die Klappe aufreißen"

Von Interview: Martin Sonnleitner
Piotr Trochowski wechselt vom Hamburger SV zum FC Sevilla in die Primera Division
© spox

Piotr Trochowski geht neue Wege und wechselt im Sommer vom Hamburger SV ablösefrei zum FC Sevilla. SPOX traf einen gutgelaunten Trochowski in Hamburg und sprach mit dem 27-Jährigen über eine enttäuschende Saison, die Versäumnisse des HSV, seine auf Eis gelegte Nationalmannschaftskarriere und das Potenzial seines neuen Klubs.

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SPOX: Piotr Trochowski, sechseinhalb Jahre Schwarz-Weiß-Blau. Wie lautet das Fazit?

Piotr Trochowski: Unterm Strich überwiegt das Positive. Ich habe sehr viele Spiele gemacht, fast jedes Jahr international gespielt und bin Nationalspieler geworden. Ich bei zwei großen Turnieren dabei, habe Champions League gespielt und wichtige Tore geschossen - zum Beispiel das entscheidende am letzten Spieltag 2008 gegen Frankfurt, durch das wir uns noch für die Europa League qualifiziert haben. Das waren Highlights.

SPOX: Sie haben gerade Ihr Auto mit Ihrem Bruder in Ihre neue Heimat Sevilla gefahren. So ein verwegener Trip passt gar nicht zu einem Spieler, dem ständig nachgesagt wird, er sei zu weich und schöpfe sein Potential nicht aus.

Trochowski: Um sein Potential ganz zu zeigen, müssen auch die Rahmenbedingen passen - und diese waren beim HSV nicht immer gegeben. Es waren gute Zeiten dabei, in denen vieles funktioniert hat. Dann gab es aber auch die ganzen Trainerwechsel: sieben in sechseinhalb Jahren und jeder hatte eine andere Philosophie. Das hat Kontinuität verhindert. Und ich habe auch so gut wie nie zentral auf meiner Lieblingsposition gespielt. Dazu kam die ganze Unruhe im Verein, die eine bessere Entwicklung verhindert hat.

SPOX: Was meinen Sie konkret?

Trochowski: Um eine gute Mannschaft aufzubauen, sollte man um eine Säule von vorhandenen Spielern ein Team formen und dabei nicht nur nach Namen kaufen. Man muss sehen, ob der Spieler überhaupt in den Verein passt. Das hat nicht immer geklappt. So ging es steil nach oben, aber auch steil wieder bergab.

SPOX: Jetzt gibt es den großen Umbruch. Geht eine Ära zu Ende?

Trochowski: Als ich gekommen bin, ging eine Entwicklung los. Die Mitgliederzahl ist innerhalb von zwei Jahren von 15.000 auf 50.000 gestiegen, der HSV ist in die Champions League gekommen. Wir haben fast jedes Jahr bis zum Schluss die Möglichkeit gehabt, um die Champions League oder Meisterschaft zu spielen. Es hat aber nie gereicht.

SPOX: Und jetzt?

Trochowski: Es ist schwer zu sagen, wo die Reise jetzt hingeht. Viele Spieler sind gegangen, viele junge gekommen. Es kann funktionieren, wenn der Trainer es schafft, die Spieler zu motivieren und ein Team zu formen. Der HSV hatte aber so eine Phase auch 2006, als Stefan Beinlich, Sergej Barbarez, Daniel van Buyten und Khalid Boulahrouz gegangen sind. Danach haben wir lange gegen den Abstieg gespielt.

SPOX: Hätten Sie sich nicht mehr aufbäumen, mehr Führungsspieler sein müssen?

Trochowski: Man kann sein Ich nicht verändern. Es gibt auch nicht mehr die Anführer wie früher, es verteilt sich auf mehrere Schultern, das beste Beispiel ist der FC Barcelona. Das Wichtigste ist, dass es in der Mannschaft stimmt. Die richtig guten Fußballer müssen auf dem Platz selten die Klappe aufreißen.

SPOX: Sie verstehen sich als zentralen Mittelfeldspieler?

Trochowski: Ich fühle mich im Zentrum am wohlsten. Wenn ich zentral gespielt habe, habe ich auch meistens gute Kritiken bekommen. Den Zehner von früher gibt es aber so nicht mehr. Früher wurdest du erst 30 Meter vor dem Tor angegriffen, heute spielt sich das ganze Geschehen auf engsten Raum ab. Moderne Spielmacher sind eigentlich offensive Sechser. Ich habe den Ball gerne, möchte entscheiden, wo er hin gespielt wird. Im Zentrum habe ich am meisten Einfluss darauf. Dazu gehört auch das Halbfeld, so wie Iniesta und Xavi spielen.

SPOX: Hätten Sie sich vorstellen können, ein Leben lang für den HSV zu spielen?

Trochowski: Ja, darum bin ich auch sechseinhalb Jahre hiergeblieben. Hamburg ist meine Heimat, meine Stadt. Eigentlich Top-Bedingungen, um etwas Großes zu schaffen. Auf diesem Weg war der HSV ja mal. Irgendwann muss man sich aber für den Wechsel entscheiden, meine Karriere dauert ja auch nicht ewig.

SPOX: Wie waren denn die ersten Eindrücke in Sevilla?

Trochowski: Ich war sehr angetan und positiv überrascht vom Verein. Die Verantwortlichen wussten sehr viel über mich und kannten mich schon von der U-19-Nationalmannschaft. Schon damals hatten sie mich gescoutet. Sie haben sich dann sehr um mich bemüht. Dazu spielen sie europäisch, sind Fünfter in der spanischen Liga geworden, das sagt einiges. Beim FC Sevilla spielen junge, hungrige Spieler - gute Fußballer. Da will ich etwas mitgestalten.

SPOX: Ihre Vita klingt nach jemanden, der sich durchgeboxt hat. Sie sind als kleiner Junge mit Ihrer Familie aus Polen gekommen.

Trochowski: Als ich als Fünfjähriger mit meinen Eltern und meinen Brüdern nach Hamburg kam, haben wir zuerst in einem Hotel gegenüber des St.-Pauli-Stadions übernachtet. Dort sind viele Familien, die aus Polen ausgewandert sind, untergekommen. Da habe ich das erste Mal Fußballstimmung mitbekommen. Ich bin dann in Billstedt aufgewachsen, mein Vater hat mich und meine Brüder trainiert. Ich kam spät zum Verein, erst mit neuneinhalb.

SPOX: Ein richtiger Straßenkicker also?

Trochowski: Kann man so sagen. Ich musste mich oft gegen Größere durchsetzen, das war aber halb so wild. Das einzige, was dich nach vorne bringt, ist Ehrgeiz - und den hatte ich. Du musst besser sein wollen als andere, dich immer verbessern wollen. Ich bin dann in der U15 Nationalspieler geworden, da kamen schon die ersten Scouts. Als 15-Jähriger bin ich dann vom FC St. Pauli ins Jugendinternat des FC Bayern gewechselt.

SPOX: Ihr Berater Roman Grill vergleicht Sie gerne mit Paul Scholes, der gerade zurückgetreten ist: genialer Spieler, aber ein Leisetreter. Ehrt Sie der Vergleich?

Trochowski: Es gibt sicher Parallelen. Ich spiele auch am liebsten zentral, will immer den Ball haben und serviere die Bälle auch so hart wie er. Er hat viel geleistet für seinen Verein und ist im Hintergrund geblieben. Zehn Jahre und über 450 Ligaspiele für einen Verein zu absolvieren sind selten in diesem Geschäft.

SPOX: Beim HSV sind Sie zum A-Nationalspieler geworden. Enttäuscht, jetzt nicht mehr dabei zu sein?

Trochowski: Klar bin ich enttäuscht, wenn ich nicht dabei bin. Ich habe beim HSV am Ende aber nicht gespielt - da ist es schwierig, eingeladen zu werden. Ich hätte gerne gespielt, gerade als es für den HSV um nichts mehr ging. Das habe ich dem Trainer (Michael Oenning, Anm. d. Red.) auch gesagt. Er hat anders entschieden, das ist sehr schade. Ich habe das aber abgehakt. Jetzt gilt mein ganzer Fokus Sevilla, dann wird man sehen.

SPOX: Gibt es momentan Kontakt zum Nationaltrainer Jogi Löw?

Trochowski: Nein. Ich war jetzt fast ein Jahr nicht mehr dabei, am Anfang hatte er mir noch geschrieben oder angerufen. Mein Ziel ist es, mich beim neuen Verein zu beweisen und auch bei der Nationalmannschaft wieder anzugreifen. Immerhin war ich bei der WM 2010 fast Stammspieler und habe im Halbfinale gespielt. Ich kann hart arbeiten und weiß, was es heißt, wieder aufzustehen.

SPOX: Müssten Sie dazu nicht auch mehr auf den Putz hauen?

Trochowski: Ich bin keiner, der immer vorne weg marschieren muss und kein Rädelsführer. Mein Anspruch ist es, schwierige Spielsituationen zu lösen. Ich habe andere Stärken. Jeder macht das auf seine Art.

FC Bayern, Hamburg, Sevilla: Piotr Trochowski im Steckbrief