Metzelder: "Ich bin nicht mehr hyper-sensibel"

Von Interview: Haruka Gruber
Verbeugung nach dem Pokalsieg: Metzelder lernte für Uchida sogar die japanische Sprache
© Imago

Er wurde gehasst und verachtet, doch am Ende steht der Triumph: Schalkes Christoph Metzelder ist eines der Gesichter der Saison. Ein Interview mit dem 30-Jährigen über Dramen, das Älterwerden und den nächsten Schalke-Kapitän.

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SPOX: Direkt nach dem Pokalsieg umarmte Sie Raul und flüsterte Ihnen etwas ins Ohr. Was?

Christoph Metzelder: Wir lachten einfach nur bei der Vorstellung, dass wir in unserer langen Karriere erst nach Schalke wechseln mussten, um endlich Pokalsieger zu werden. Ich war ja zum Beispiel einer der erfolglosesten Spieler der Pokal-Geschichte, so oft, wie ich in der ersten Runde ausgeschieden bin.

SPOX: War es das turbulenteste Jahr?

Metzelder: Es war alles dabei - viele Höhen, aber auch viele Tiefen und Dramen. Angefangen mit den fünf Niederlagen zu Saisonbeginn bis hin zum Pokalsieg mit den wilden Feierszenen in der Kabine. Allerdings habe ich in meiner Laufbahn schon so einiges durchgemacht, positiv wie negativ. Entsprechend würde ich darauf verzichten, diesem Jahr einen Superlativ zu geben.

SPOX: Sie sind vor einigen Monaten 30 Jahre alt geworden. Hat sich Ihre Perspektive verändert?

Metzelder: Wenn man zwei Jahre lang verletzt war, relativiert sich vieles. Im Fußball geht es immer um Titel, um Erfolge, um Druck. Aber nach meinen Erlebnissen habe ich nun einen anderen Blickwinkel und genieße den Fußball einfach. Deswegen wirft es mich auch nicht aus der Bahn, wenn es auf und ab geht.

SPOX: Sie haben in Madrid in der lebhaften Innenstadt gelebt, mit dem Wechsel nach Schalke sind Sie wieder ins Elternhaus nach Haltern gezogen. Eine bewusste Entscheidung zurück zu den Wurzeln?

Metzelder: Es war eigentlich nur als Zwischenlösung gedacht, aber momentan passt es so, wie es ist. Mir ist es wichtig, angesichts der zahlreichen Reisen einen Ort zu haben, an dem ich mich ausruhen kann. Dafür ist die Heimatstadt nicht so schlecht.

SPOX: Zu Saisonbeginn wurden Sie von den eigenen Fans wegen der Dortmund-Vergangenheit wüst beschimpft und von der Presse kritisiert. Dennoch versteckten Sie sich nicht.

Metzelder: Das hatte mit meinem Verantwortungsgefühl zu tun. Ich verstehe die Grundregeln des Geschäfts, und diese beinhalten, dass man sich den Medien nicht nur stellen sollte, wenn man gelobt wird, sondern auch dann, wenn es nicht gut läuft. Für mich gehört das zur Pflicht eines gestandenen Spielers.

SPOX: Sie fanden nach der Anfangsphase besser in Tritt und waren körperlich nicht mehr so anfällig wie früher. Welche Rolle spielte das berüchtigte Magath-Training?

Metzelder: Die Vorbereitung war richtig hart. Ich musste mich durchbeißen und habe noch intensiver versucht, körperliche Defizite aufzuarbeiten. Deswegen kann ich mich überhaupt nicht über Felix Magaths Training beschweren. Vor allem jetzt am Saisonende, nach all den Spielen in den drei Wettbewerben, profitierte ich davon. Das Schöne ist: Im Fußball zahlt sich Arbeit am Ende doch aus. Mit meinen 30 Jahren habe ich noch nie so viele Spiele in einer Saison bestritten.

SPOX: Sie beschrieben sich selbst einst als 'hyper-sensibel'.

Metzelder: Wenn man wie ich über drei Jahre durchgängig Schmerzen hatte, ist es sehr gut möglich, dass man dabei zu sehr in den Körper hineinhört und jedes Signal überinterpretiert. Das hat sich grundlegend verändert. Mittlerweile fühle ich mich gesundheitlich derart gut, dass ich nicht sofort an meinem Körper zweifle. Ich bin froh, dass ich nicht mehr hyper-sensibel bin.

SPOX: Magath triezte Sie auch verbal, als er Sie als 'Fehlgriff' bezeichnete. Stimmt der Eindruck, dass Ihnen die Kritik geholfen hat, aus der Komfortzone herauszukommen?

Metzelder: Es hat mit dazu geführt, dass ich mich gesteigert und stabilisiert habe. Selbstverständlich las ich es nicht gerne, aber ich konnte damit umgehen. Wer Magath länger kennt, weiß, wie viel er verlangt. Und von Führungsspielern hat er eine umso höhere Erwartung und prangert entsprechend deutlicher an, wenn diese nicht erfüllt wird. Aber ich wusste immer, dass Kritik nicht gleichbedeutend mit Vertrauensentzug ist.

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SPOX: Trotz der Schwierigkeiten zu Beginn haben Sie Mitspielern wie Raul oder Atsuto Uchida bei der Integration geholfen. Für Uchida lernten Sie sogar Japanisch - was für einen Fußballer wirklich ungewöhnlich ist.

Metzelder: Es ist eine Frage der Persönlichkeit. Ich habe schon immer versucht, Brücken zu schlagen. Ich wollte immer als Ansprechpartner bereitstehen. Als Uchida nach Gelsenkirchen kam, kannte er keinen. Wenn er dann aber sieht, dass sich jemand Mühe gibt und einige Brocken Japanisch lernt, gibt ihm das ein gutes Gefühl.

SPOX: In Ihrem Elternhaus waren Spielkonsolen und Kabelfernsehen tabu. Wie sieht Ihr Zugang zu den jungen Spielern aus?

Metzelder: Nur weil ich nicht mit Spielkonsolen und Kabelfernsehen aufgewachsen bin, heißt es nicht gleich, dass ich mich in anderen Sphären bewege. Ich befinde mich in einer anderen Lebensphase und verfolge andere Interessen. Andererseits gibt es genügend Themen, über die man sich austauschen kann. Angefangen beim Fußball.

SPOX: Alles zusammengenommen wären Sie der richtige Nachfolger von Manuel Neuer als Schalker Kapitän.

Metzelder: Nein, die richtige Wahl wäre Benedikt Höwedes! Er spielt lange im Verein, ist eine Integrationsfigur, fungiert als Vorbild für andere und bringt trotz seiner 23 Jahre Erfahrung mit. Die Kapitänsbinde wäre der nächste logische Schritt in seiner Entwicklung.

SPOX: Sie wirken bescheiden, unterstützen karitative Einrichtungen und stehen für soziale Werte wie kaum ein anderer in der Bundesliga. Sind Sie zu gut für den Fußball?

Metzelder: Ich sehe mich bestimmt nicht als besseren Mensch oder als Missionar, der Leute bekehren möchte. Es hat einfach etwas mit meiner Erziehung zu tun und der Einstellung, dass man etwas vom eigenen Erfolg abgeben sollte. Wenn das bedeutet, sich für Projekte zu engagieren oder sich zwei, drei Stunden mit Jugendlichen zusammenzusetzen, mache ich das gerne. Aber was viele nicht wissen: Es gibt insgesamt sehr viele Profis, die eine eigene Stiftung gegründet haben, sozialen Institutionen helfen oder eine beachtliche Summe spenden, ohne darüber zu reden. Es gibt in der Bundesliga durchaus das Bewusstsein, anderen zu helfen.

SPOX: Ist es für einen Fußballer nicht schwierig, Wertvorstellungen und Geschäftsinteressen in Einklang zu bringen? Sie haben unter anderem das von Erzbischof Reinhard Marx verfasste Buch "Das Kapital" gelesen, welches das gesellschaftliche Spannungsfeld zwischen Moral und Business thematisiert

Metzelder: Mir ist bewusst, dass ich Teil eines großen Geschäfts bin - und ich bin es gerne. Ich hatte bisher elf tolle Jahre mit wundervollen Erfolgen und damit einhergehenden Privilegien, die ich genossen habe. Ich schätze das alles - aber gleichzeitig weiß ich, dass es am Ende nicht um abstraktes Geld, sondern immer um den Menschen geht. Wenn um Siege und um Millionen gekämpft wird, entstehen automatisch Grauzonen. Wenn man jedoch auf das Menschliche achtet, kriegt man beides hin: Moral und Business.

SPOX: Warum sind Sie als mehrfacher Millionär in der Spielergewerkschaft VDV als Vizepräsident aktiv, obwohl das Magath 'etwas im Magen' lag, wie er es formulierte?

Metzelder: Die VDV ist keine Kampfgewerkschaft, mit der gestandene Spieler höhere Gehälter durchsetzen wollen. Vielmehr ist unser Hauptanliegen, dass Nationalspieler und Bundesliga-Profis die Möglichkeit haben sollen, für ihre Kollegen aus der 3. oder 4. Liga einzustehen, die dort um ihre Existenz kämpfen, weil die Vereine Insolvenz gegangen sind oder sie plötzlich vor der Arbeitslosigkeit stehen. Es geht um Solidarität.

SPOX: Haben Sie sich Gedanken über die Profi-Karriere hinaus gemacht? Politik? Wirtschaft?

Metzelder: Ich bin zwar jetzt 30, aber für einen Leistungssportler wird erst das Ende der Laufbahn eine richtige Zäsur sein. Erst dann beginnt eine neue Lebensphase. Der Einschnitt wird gewaltig, egal was man zukünftig plant. Aber derzeit habe ich keine konkrete Idee. Dafür genieße ich das Hier und Jetzt und das Leben als Fußballer viel zu sehr.

SPOX: Wie finden Sie den Werdegang von DFB-Teammanager Oliver Bierhoff?

Metzelder: Beeindruckend, wie er es nach seiner Karriere geschafft hat, eine Balance zu schaffen und ein Leben nach dem Fußball zu gestalten. Wir sind befreundet und tauschen uns darüber häufig aus. Ich formuliere es mal so: Sein Weg ist sehr spannend.

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