Zurück für die Zukunft

Von Stefan Rommel
Andries Jonker sitzt bald bei der Regionalligamannschaft der Bayern auf der Bank
© Getty

Von der Bundesliga in die Regionalliga: Für Andries Jonker alles andere als ein Rückschritt. Bei den Bayern darf er sich im Unterbau austoben - und früher oder später auf eine erneute Chance bei den Profis hoffen.

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Ein letzter Blick noch in das leerer werdende Petrovski-Stadion, dann war die Teilzeitschicht für Andries Jonker endgültig beendet.

Das letzte Spiel der Bayern-Profis in dieser Saison in St. Petersburg war für den Niederländer der finale Akt einer 38-tägigen Abenteuerreise.

Die Sorgen der Amateure

Andries Jonker wird wieder heraustreten aus dem gleißenden Licht der Schweinwerfer, nach seinem Urlaub werden nicht mehr die Champions League, Mario Gomez oder Eifersüchteleien zwischen Ribery und Robben seine Einsatzgebiete sein.

Sondern die Nöte und Sorgen der zweiten Mannschaft der Bayern, eben abgestiegen in den semiprofessionellen Amateurbereich der 4. Liga, mit ihren Spielen gegen Sonnenhof-Großaspach oder den FC Memmingen. Oder das derzeit führungslose Jugendleistungszentrum.

Dann wird der 48-Jährige nicht wieder ins zweite Glied zurücktreten, sondern ins dritte oder vierte. Andries Jonker tritt ebenso leise ab, wie er die Bühne Anfang April bestiegen hat.

Von 70.000 auf 700 Zuschauer

Es erscheint wie ein großer Abstieg, fast wie eine Degradierung. Von der Bundesliga in die Regionalliga, vom gefeierten Retter zum normalen Angestellten, raus aus der prall gefüllten Allianz Arena und rein ins fast leere Stadion an der Grünwalderstraße.

"Für mich ist das gar kein Problem, von 70.000 Zuschauern auf demnächst 700 bei unseren Spielen zu wechseln", sagt Jonker. Bald wird er die Profis, seine Profis, auf dem Platz nebenan trainieren sehen. Mit Jupp Heynckes und Peter Herrmann, die seinen Job übernehmen.

Man kann sich Schöneres vorstellen, als nach einem berauschenden Höhenflug vereinbarungsgemäß wieder drei Stufen nach unten zu klettern. Aber Jonker ist auf der einen Seite unheimlich loyal. "Ich habe dieser Aufgabe zugestimmt. Wir hatten eine klare Vereinbarung und ich war dabei nicht betrunken", sagt er mit zarter Ironie.

Drei Jobs in 48 Stunden

Aber er ist eben auch sehr clever und geht die Dinge mit Weitblick an. Es war eine komische Situation, die ihn binnen 48 Stunden auf zwei völlig verschiedene Ebenen eines Klubs spülte, der größer ist als seine bisherigen Stationen als Cheftrainer zusammen.

In Volendam, Maastricht und bei Willem II war er vor dem 7. April dieses Jahres Cheftrainer. Es war ein Donnerstagmorgen, an dem die Bayern auf ihn zukamen. Ob er sich vorstellen könnte, in der kommenden Saison den Amateur- und Nachwuchsbereich zu verantworten. Einen Tag später sagte er zu, es war der Vorabend des 1:1 von Nürnberg.

Wieder nur 24 Stunden später saß er zusammen mit den Bossen und grübelte, ob er seinem Vorgesetzten und Freund Louis van Gaal in den Rücken fallen könne. Nach zwei klärenden Telefonaten mit seinem Weggefährten und dessen Zustimmung übernahm er den Job.

Aus dem Co-Trainer und Amateurtrainer in spe wurde plötzlich der Cheftrainer der ersten Mannschaft von Bayern München. Es gibt nicht viele Jobs im Fußball, die aufregender sein können.

Kaum Alternativen außer Bayern

Bald werkelt er wieder im Verborgenen. Hier findet er nicht nur "eine schöne Sache, eine Herausforderung, die ich mit Vergnügen machen und dabei Spaß haben kann - und von der ich noch immer überzeugt bin". Von hier aus kann er in Ruhe abwarten und die Dinge nach seinem Gusto lenken und regeln.

Er hätte auch mit van Gaal abtreten können. Aber was wäre die Alternative gewesen? Irgendwann wieder ein Chefposten bei einem mittelprächtigen niederländischen Klub - die lukrativen Stellen in der Heimat sind auf mittelfristige Sicht bestens besetzt. Oder aber wieder mit van Gaal arbeiten. Was bei dessen Sabbatjahr mindestens zwölf Monate Pause bedeutet hätte.

Jonker und Bayern: Perfekte Symbiose

Er wollte von Anfang an bei den Bayern bleiben. Hier bleibt er zumindest ein bisschen Teil der öffentlichen Wahrnehmung, vor allem aber arbeitet er weiter einem Klub zu, mit dem die Identifikation passt.

Jonker hat die wenigen Wochen seiner Amtszeit genutzt, um der Führungsetage nicht nur den gewünschten Erfolg, sondern auch seinen Arbeitsstil näherzubringen. Vorher war er nie groß aufgefallen.

"Als Co-Trainer von Louis weißt du, dass du in der Anonymität bist. Er will, dass du dich völlig auf deine Aufgabe fokussierst. Man wusste nach außen nie, was meine Meinung war. Nicht einmal die Spieler wussten es. Nur der Stab. Das hat sich natürlich geändert", hat er seine Situation einst beschrieben.

Er hat daraus die richtigen Schlüsse gezogen und als No-Name die menschliche Schiene betont gefühlvoller bedient als die Marke van Gaal. Damit schmeichelte er den zuvor gereizten Bossen, denen er im Vergleich zum störrischen Vorgänger mit seiner Konsens-Linie fast philanthropengleich erschienen sein muss.

Die Symbiose war perfekt, jetzt wird sie einige Stufen tiefer einfach fortgesetzt. Und wer weiß schon, was passieren wird? In den letzten gut vier Jahren haben die Bayern drei Cheftrainer vorzeitig entlassen.

Interimsoption im Verein

Nun ist gerade bei Jupp Heynckes, dessen Arbeitsweise und Verhältnis zu Uli Hoeneß, nicht davon auszugehen, dass die Sache schief geht. Aber wenn doch: Dann wissen die Bayern - und dann weiß Jonker - um die optimale Option, die Dinge wieder zurechtzurücken.

Wie schnell es gehen kann, haben beide Seiten zuletzt Anfang April wieder gesehen. Und selbst wenn sein einstiges Idol Heynckes ("Als kleiner Junge hatte ich ein schönes Bild von ihm im weißen Gladbacher Trikot") seinen Zweijahresvertrag bis zum letzten Tag erfüllt: Dann wird der 68 Jahre alt sein.

Von Jonker wird vordergründig der direkte Wiederaufstieg in die 3. Liga erwartet. Hinter den nackten Zahlen dürften die Bayern aber auch über eine neue Ausrichtung und den einen oder anderen hoffnungsvollen Nachwuchsspieler froh sein.

Gestaltungsfreiheit bei der neuen Aufgabe

Er hat dafür zwei Jahre Zeit, die Dinge im Unterbau in die richtigen Bahnen zu lenken. Zusammen mit Michael Tarnat und Hermann Hummels wird er die völlige Gestaltungsfreiheit haben, kann das Feld nach seinen Vorstellungen bestellen.

Die Zukunft von anderen, die in der Jugendarbeit entscheidende Akzente setzen könnten, ist ungewiss. Jörg Butt hat nun doch einen neuen Vertrag als Profi unterschrieben, Werner Kern überlegt noch, ob er nicht doch noch weitermachen soll. Derzeit ist das Feld komplett geöffnet für Jonker und seine Philosophie.

So wie Tuchel oder Pep?

Die Liste der Trainer, die mit einem überzeugenden Konzept über den zweiten Bildungsweg den Sprung zum Cheftrainer bei den Profis geschafft haben, ist lang.

Und sie wird in Deutschland von Thomas Tuchel und im Welt-Fußball von Pep Guardiola angeführt - der einst übrigens auch Barcas eben in die 4. Liga abgestiegenes B-Team übernahm.

Andries Jonker hat diese Chance jederzeit vor Auge, also bleibt er reserviert. "Ich habe die Wege in meiner Karriere noch nie groß geplant. Ich arbeite hart, es ergibt sich immer etwas", sagt er, angesprochen auf eine Rückkehr als Bundesligatrainer.

"Was ich kommende Saison mache, ist das einzige, das klar ist. Und danach werden wir mal schauen."

Das ist Andries Jonker

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