Auf'm Straßenstrich mit Ulle Brockovich

Von Max-Jacob Ost
Die glorreichen Sieben glänzen was das Zeug hält – als hätte Jürgen Klopp sie berührt…
© Getty

Irgendjemand muss die Dortmunder nach dem Spieltag einfach wieder auf den (roten) Teppich zurückholen. Wie gut, dass die Alternative Liste auch dieses Jahr wieder nicht mit Oscars geizt. Vorhang auf für die einzige Preisverleihung dieser Tage, bei der mit Lifting nur das Nutzen des Aufzugs gemeint ist.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Hallo und herzlich willkommen zu den diesjährigen Oscars. Nach den grandiosen Verleihungen der Vorjahre freuen wir uns auf eine Ausgabe gespickt mit Highlights - und das obwohl Mario Gomez gar nicht vorkommt.

1. Bester Hauptdarsteller: Zugegeben, dieses Ergebnis ist so überraschend wie eine geschlossene Frage aus dem Mund von Dieter Nickles. Aber an einem Mann kam die Academy in diesem Jahr einfach nicht vorbei. Er formte den deutschen Meister, brachte den Spielwitz zurück in eine Liga, die verödeter darniederlag als eine Panorama-Aufnahme in "True Grit" (als Benchmark für Nicht-Cineasten: Das ist Paderborn hoch zwei). Er prägte mit seiner Mannschaft eine ganze Saison. Ausgezeichnet wird er aber nicht nur für seine hervorragende Arbeit am Drehbuch einer Spielzeit, sondern vor allem für seinen Enthusiasmus in Interviews und Ansprachen.

Meine Damen und Herren, der Oscar für den besten Hauptdarsteller geht an - Louis van Gaal in "The King's Speech". Uraufführung auf dem Münchner Rathausbalkon im Mai 2010. Wir freuen uns schon auf das Sequel. Gerüchten zufolge soll es 2011 im Schafkopfzimmer der Giesinger Szenelokalität "Zur feschen Berta" stattfinden und van Gaal darin mit herunter gelassener Hose auf einem leeren Bierkasten stehen. Die Filmmusik steuert zur allgemeinen Verwunderung der Szene angeblich Uli Hoeneß bei - ob heulende Walgesänge im Hintergrund aber wirklich die richtige Atmosphäre sind, bleibt abzuwarten.

2. Bester versteckter Seitenhieb: Wobei es natürlich fies ist, jetzt so auf die Bayern einzuhauen. Denn es verletzt das eherne Gesetz jeder Alternativen Liste: Mannschaften, die hinter Hannover 96 stehen, sind so arm dran, dass man sie besser nicht verspottet. Das wirkt sonst als würde man gegen einen ausrangierten Heizkörper Trivial Pursuit spielen und sich für den Sieg auch noch feiern. Dementsprechend verachtenswert ist deshalb das Nachtreten von Hoffenheim-Keeper Tom Starke nach der Heimniederlage gegen Mainz. Denn anstatt sich mit der eigenen Mannschaft zu befassen, verdeutlicht er den geschundenen Bayern lieber die eigene Bedeutungslosigkeit. Sagt er doch tatsächlich: "Wenn man die Punkte zu Hause so hergibt wie gegen Köln und Mainz, dann hat man mit dem Ziel Europa nichts zu tun." Buh! Tiefschlag! In der Bösewicht-Skala rangiert Tom Starke für uns ab jetzt ganz oben. Irgendwo zwischen Gegenwind beim Radfahren und Sepp Blatter.

3. Beste Ausrede: Wenigstens weiß man bei Tom Starke wo der Hang zu rhetorischen Fehltritten herkommt. Anders als im Fall von Gegenwind beim Radfahren, der sich bei Richtungsänderungen einfach immer mitdreht, der Sauhund... Doch wir schweifen ab. Fast so kreativ wie das Bayern-Bashing seines Torwarts (immerhin eine respektable 3,5 auf der nach oben offenen Klaus Toppmöller-Skala) war nämlich die Begründung von Trainer Marco Aglio et Olio:

"Wir hatten uns viel vorgenommen, aber scheinbar war die Bilanz gegen Mainz zu sehr in den Köpfen der Spieler." Und das ist wirklich Oscar-verdächtig: Sich so rauszureden und damit gleichzeitig die Spieler auf eine Stufe mit den seit der Finanzkrise wie Masern beliebten Managern zu stellen und sich selbst am Stuhl zu sägen. So hintergründig-schizophren wie in Hoffenheim geht es ja nicht mal in "Black Swan" zu...

4. Bestes Dankesreden-Rätsel: Ze Roberto hätte Gott gedankt. Mario Gomez vermutlich seinem Friseur. Ursula von der Leyen ihrer Famile. Die SPD Karl-Theodor zu Copy&Pastenberg. Kai Dieckmann höchstwahrscheinlich sich selbst. Doch wie anders ist da Mats Hummels. Der Mann hat einfach Stil. Während rund um ihn herum jedes abgestandene Bier von den BVB-Fans gefeiert wird, weil es gelb und schal ist, bemüßigt sich die bajuwarische Dauer-Leihgabe dazu, uns eine kleine Denkaufgabe zu stellen. Spricht nach dem Sieg gedankenverloren ins Mikrofon: "Es fällt mir kein Satz ein, in dem das Wort nicht vorkommt, das wir nicht sagen dürfen."

In bester Familienduell-Tradition ziehen wir uns zurück und kombinieren mal redaktionsintern. Jüngste Dortmunder Mannschaft aller Zeiten... spitzbübisches Grinsen... gieriger Blick... muss immer daran denken... hm. Schwierig, aber wir möchten lösen. Ist das Wort "Titten"?

5. Bestes Drama: Manchmal setzen sich die Favoriten einfach durch. Auch beim Oscar. Machen wir es also kurz und schmerzlos: Das goldene Phallus-Symbölchen für das beste Drama geht an "The Social Network" mit Felix Magath in der Hauptrolle. Besonders überzeugte die Jury die metaphorische Anlehnung an Klassiker wie "Ben Hur" oder "Nero" als die Schalker Fans auf den Tribünen im Kolosseum ihren Daumen senkten. Und wer war nicht gerührt, als der Erfolgstrainer mit tränenerstickter Stimme bei der Schalker PR-Abteilung nachfragte: "Wie? Das sind gar nicht meine richtigen Freunde? Und was mache ich jetzt mit den 100.000 selbst gehäkelten Freundschaftsbändchen?"

6. Bestes adaptiertes Drehbuch: Auf eine solche Storyline muss man erstmal kommen. Es spielt Frankfurt gegen Stuttgart. Das für sich genommen ist schon übel. Doch was sich unter dem Deckmantel einer metaphorischen Augenverätzung verbirgt, ist die vielleicht seit Langem komplexeste filmische Verarbeitung von Stereotypendenken. Der Zuschauer wird mitgenommen auf eine Reise in die Schubladen des eigenen Urteils - und mit ihm die Schauspieler auf dem Platz selbst. Oder wie ist erklärbar, dass Schiedsrichter Wolfgang Najagingso zuerst fast reflexartig Khalid Boulahrouz (bekannt aus Filmen wie "Drei Stollen für ein Hallelujah", "Hannibal" und "Ellbogencheckpoint Charlie") die Rote Karte geben wollte und anschließend nur fast widerwillig dem ehrbaren Unschuldslamm Delpierre?

Und wie grandios erst die Dialoge dieses Gesellschaftsstücks waren! Fredi Bobic: "Wir kennen Maik Franz ja. Er hat Delpierre mit dem Stollen auf den Fuß getreten." Bruno Labbadia: "Zum anderen Spieler [Maik Franz] möchte ich schon gar nichts mehr sagen - da erübrigt sich jedes Wort." Die Jury meint - und will damit wirklich Niemandem auf die Füße treten - seit Marko Arnautovic hat die Bundesliga kein schöneres Werk zum Thema Vorverurteilung und Pauschalisierung gesehen. In dieses Gedankenspiel sogar noch den Schiedsrichter mit einzubeziehen, war geradezu grandios. Eine Meisterleistung, die kaum nachzuahmen sein wird! Oder was sagt Ihr besoffenen, rechtschreibschwachen und aufmerksamkeitsgestörten User dazu? Ist das einen Auslachsmiley wert? Man kennt Euch ja...

7. Bester Monolog: Aus der Reihe "Woher hat er dieses Wissen?" präsentieren wir heute: Sven "Ulle" Ulreich. Seine Antwort nach dem Eintrachtspiel auf die Frage, ob es ihm für den Abstiegskampf an Erfahrung mangele: "Jung und erfahren gibt es im Fußball nicht. Das gibt es nur auf dem Straßenstrich." Sven Ulreich - die Erin Brockovich der Bundesliga. Ein bisschen aber auch der Guttenberg der Liga. Das Originalzitat ist nämlich aus Stromberg.

8. Bester Dialog: Wo wir gerade bei Filmen sind, die einen wesentlichen Teil ihrer Popularität durch zu kurze Röcke und gut im Hintergrund platzierte Tagträume von Mats Hummels erreichen: Am Sonntag lud SPORT1 mal wieder zur Phrasenschwein-Druckbetankung (es ist nicht die Spardose gemeint) im "Doppelpass". Den goldenen Baseball-Schläger für Schlagfertigkeit verleiht die Akademie an dieser Stelle Manni Breuckmann für folgenden Dialog: Udo Lattek, wohlwissend: "Ich habe mich in Holland schlau gemacht, was die Menschen über van Gaal denken. Die sagen, er ist ein ausgezeichneter Trainer, aber als Mensch ein Arsch." Manni Breuckmann, besserwissend: "Hast du etwa Uli Hoeneß in Holland getroffen?"

9. Beste Wutrede: Sich selbst ans Bein pinkeln ist offenbar das neue "ich spiele da, wo der Trainer mich hinstellt" in Interviews von Bundesligaakteuren (Hummels) und -aktricen (Ulreich). Ebenso wacker wie Marco Pezzadingens (oder Pezzaknappik?) die mentale Einstellung der eigenen Mannschaft kritisierte, echauffierte sich Rene Adler. Nach dem Unentschieden gegen das Bremer Unterhaus sprach Leverkusens letzte Chance auf ein Treffen mit Manchester United:

"Mich kotzt das richtig an und ich sage Ihnen auch warum: Wie im letzten Jahr führen wir 2:0 und durch Undiszipliniertheiten in der zweiten Halbzeit bekommen wir die Gegentore. Ich habe das Gefühl, als ob wir nicht in die Champions League wollen. Ich muss mich jetzt auch bremsen, weil jedes Wort zu viel mir im Nachhinein weh tun könnte. Wir spielen hier Bundesliga und nicht Bezirksliga oder Stadtliga - man sollte schon voraussetzen, dass jeder weiß, worum es hier geht. Für mich ist das unverständlich, wie das passieren kann."

Die Jury sagt: Das hat Eier, lieber Rene Adler. Sich erst selbst im Heimspiel gegen Stuttgart vollkommen unverständlich in der zweiten Halbzeit ein Gegentor einfangen und dann die Kollegen kritisieren, die Ihnen vor einer Woche noch den Maik Franz gerettet haben. Auch auf die Gefahr hin, morgen ganzseitig in der TAZ zitiert zu werden: Ich glaub, es hackt?

10. Beste Maske: Kevin Großkreutz machte unter der Woche mal eben den Poseidon und ließ die Wellen höher schlagen. Von wegen die Bayern wären reif für eine Abreibung und so. Nach dem Sieg war das Erstaunen selbstverständlich groß: Wer hätte gedacht, dass der Kevin ernst macht? Den letzten Kevin hat in der Bundesliga doch auch nie jemand ernst genommen? Dabei hätte man es wahrlich besser wissen müssen. Ein Blick in seine Vergangenheit zeigt: Der Mann steht zu seinem Wort. Oder hätte jemand gedacht, dass er damals seiner Ansage "Ich lass mir jetzt die Frisur von Gunter Gabriel schneiden" wirklich Taten folgen lassen würde?

11. Ehrenpreise: In der Alternativen Liste ist es nicht anders als beim Schneider von Reiner Calmund: Manchmal sind besondere Maßnahmen erforderlich. Die Akademie ist deshalb stolz und glücklich, gleich zwei besondere Auszeichnungen zu verleihen. Wie könnte es anders sein - auch hier sahnt der Rekordmeister ab. Mit überwältigender Mehrheit stimmte das Preisgericht (nicht mit Uncle Ben's verwechseln!) für Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger als Geehrte.

Mittelfeldmotor Schweinsteiger (Zweitakter, ein Kubikzentimeter Hubraum) für seine 90minütige pantomimische Darstellung des Waldsterbens im Spiel gegen Borussia Dortmund. Badewannen-Kapitän Philipp Lahm dafür, dass er in jedem der vergangenen 137 Interviews bereits angedeutet hatte, wie schlimm es für die Bayernfans noch kommen wird (siehe: "Ich denke man wird noch sehen, zu was die Mannschaft fähig ist."). Wertes Publikum, bitte erheben Sie sich von Ihren Plätzen. Wir überreichen hiermit erstmals und mit voller Überzeugung... den Petri Pasanen in Gold! Herzlichen Glückwunsch!

Für alle, die es in Bezug auf ihre Laufbereitschaft mit Arjen Robben halten, hier noch ein kleiner Service-Tipp. Die AL gibt es jetzt auch im praktischen Alternativen Listen RSS-Feed. Wer den abonniert, bekommt die Kalauer Frei Haus geliefert, ohne sich im Internet bewegen zu müssen. Eignet sich auch optimal für Sitzblockaden vor Atomkraftwerken! Die echten Fans dürfen die AL aber weiter im Stehblock lesen. Gegen den modernen RSS-Feed!

Der 24. Spieltag im Überblick

Artikel und Videos zum Thema