"Grundsätzlich sehe ich mich auf der Zehn"

Von Interview: Florian Bogner / Thomas Gaber
Thomas Müller stand seit Sommer 2009 bei jedem Bundesliga-Spiel des FC Bayern auf dem Platz
© Imago
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USER-FRAGE SPOX: Trotzdem ist der Trainer innerhalb der Mannschaft über alle Zweifel erhaben. Schweinsteiger hat seinen Vertrag beispielsweise auch wegen van Gaal verlängert. Was macht ihn so speziell?

Müller: Dass er sich extrem detailliert mit Spielsituationen auseinander setzt und sich permanent mit Fußball beschäftigt. Wie er analysiert, wie er den Gegner studiert, was er taktisch drauf hat - das ist für mich einzigartig, auch wenn ich noch nicht so viele Profi-Trainer erlebt habe. Er impft einem immer wieder ein, was Fußball bedeutet.

SPOX: Es gibt also keinerlei Reibungspunkte?

Müller: Klar sieht man als Spieler mal was anders als der Trainer. Diesen Dialog lässt er aber auch zu und erklärt jede seiner Entscheidungen. Und prinzipiell merkt ja jeder, dass wir uns unter ihm verbessert haben und attraktiven Fußball spielen.

SPOX: Darf jeder Spieler dem Trainer contra geben?

Müller: Natürlich. Wenn er im Einzelgespräch Dinge an einem kritisiert, darf man auch die eigene Sicht schildern. Wichtig ist, dass man dann mit ihm auf einen Nenner kommt. Wir sind ja keine Soldaten, die immer 'Ja, Trainer, Ja' sagen. Das will er auch gar nicht.

SPOX: Was auffällt: Trotz der zwischenzeitlichen Animositäten mit dem Vorstand steht die Mannschaft bedingungslos hinter dem Trainer. Klar ist ein Demichelis mal unzufrieden oder ein Ribery gekränkt, aber der Nährboden stimmt, oder?

Müller: Nach der Sache mit dem Vorstand wäre eine Angriffsfläche da gewesen, aber die Mannschaft hat bewiesen, dass sie hinter Louis van Gaal steht.

SPOX: Also hat er keinen Autoritätsverlust erlitten, wie manche vermuteten.

Müller: Nein. Wieso auch? Die Mannschaft hat immer mitgezogen. Und selbst Spieler wie Demichelis, die mit ihrer Situation unzufrieden waren, haben sich lobend über den Trainer geäußert. Er behandelt uns immer respektvoll, obwohl er einen schwierigen Balanceakt zu bewältigen hat. Auf der einen Seite muss er Entscheidungen treffen, auf der anderen Seite den gesamten Kader bei Laune halten. Dass man bei Bayern aber auch mal verdiente Spieler auf die Bank setzen muss, sollte jedem klar sein.

SPOX: Die Ausgangslage für 2011 dürfte klar sein: mindestens Platz drei in der Bundesliga.

Müller: Auf jeden Fall. Die Champions League zu erreichen, ist beim FC Bayern Pflicht. Ob's dann noch weiter nach oben geht, sehen wir im April oder Mai.

SPOX: Entspricht es Ihrem Naturell, immer den maximalen Erfolg anzustreben? Man hat den Eindruck, für Sie zählen nur Titel.

Müller: Beim FC Bayern ist es Pflicht, immer zu gewinnen. Ich kann mich an kein Spiel erinnern, in dem wir vorher mit einem Remis zufrieden gewesen wären. Es ist daher eingeimpft. Man schafft es hier auch nur, wenn man den absoluten Siegeswillen hat. Das gilt auch für die Nationalmannschaft, mit der wir im Endeffekt im WM-Halbfinale gescheitert sind.

SPOX: Mit dem Abstand von einem halben Jahr: Was haben Sie persönlich von der WM mitgenommen?

Müller: Die Freude der Fans. Das war schon etwas Besonderes. Wenn Menschen heute auf der Straße zu mir kommen, wollen sie nicht einfach nur ein Autogramm, sondern geben mir die Hand und bedanken sich für das tolle Erlebnis im Sommer. Auch die, die grundsätzlich wenig Bezug zum Fußball haben. Dass die Menschen wegen uns eine gute Zeit hatten und uns das wissen lassen, ist eine große Anerkennung.

SPOX: Und sportlich? Spaniens Keeper Iker Casillas sagte kürzlich: Die einzige Mannschaft, die ihm auf Dauer Angst mache, sei Deutschland.

Müller: Er hat natürlich auch gesehen, was möglich ist. Unsere Mannschaft hat viele junge Spieler, ungemein viel Qualität. Er hat hautnah miterlebt, wie schwer sich Spanien gegen uns getan hat. Sie haben zwar gewonnen, für die Zukunft sieht es bei uns aber nicht unbedingt schlechter aus. Immerhin haben wir die WM-Form auch ein bisschen in die EM-Quali mitnehmen können und stehen dort gut da.

SPOX: Sie waren nach der WM aber einer der wenigen, der klipp und klar sagte, dass es eigentlich nichts zu feiern gäbe.

Müller: Gab es auch nicht. Wir konnten mit unseren Leistungen zu 90 Prozent zufrieden sein, aber gewonnen haben wir im Endeffekt nichts - außer vielleicht Sympathien. Der ein oder andere hat durch die WM vielleicht Begehrlichkeiten im Ausland geweckt - Özil und Khedira, unsere Madrider, als Beispiel. Für einzelne hat die WM etwas bewirkt. Den Titel, den wir uns als Mannschaft erhofft haben, haben wir aber verpasst.

SPOX: Haben Sie eigentlich den Clasico gesehen?

Müller: Leider nicht. Nur bei SPOX nachgelesen.

SPOX: Ist Barcelona das Nonplusultra, das Leitmotiv?

Müller: Ich sage es mal so: Wenn man Real Madrid in einem Pflichtspiel 5:0 schlägt, ist die Nachahmung erstrebenswert. (lacht) Dass wir nie wie Barcelona spielen werden, ist auch klar. Man könnte die ganze Welt kaufen und könnte sie trotzdem nicht kopieren. Sie haben ihre Philosophie, wir unsere. Aber das ist auch gut so.

SPOX: Schauen Sie denn mitunter links und rechts, was die anderen treiben?

Müller: Wir sind viel unterwegs, deswegen ist das mit dem live Spiele verfolgen schwer. Man versucht schon, zumindest die Freitagsspiele der Bundesliga zu sehen. International gucke ich ab und an in der Internet-Sportwelt, was Sache ist. Ich werde aber nicht unruhig, wenn ich mal zwei Tage nicht auf dem Laufenden bin.

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