Uli Borowka: "Klinsmann war ein Luschi"

Von Interview: Jochen Tittmar
Uli Borowka spielte 387 Mal in der Bundesliga und erzielte dabei 19 Tore
© Imago

Uli Borowka, von seinen Fans liebevoll "Die Axt" genannt, hat in seiner langen Bundesliga-Karriere (388 Spiele für Gladbach und Bremen) einige Schlachten geschlagen. Der heute 49-Jährige spricht im SPOX-Legenden-Interview über sein gestörtes Verhältnis zu Werder, Micky-Maus-Biografien und erzählt ausführlich von seiner überwundenen Alkoholkrankheit.

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SPOX: Uli Borowka, Sie gelten bis heute als einer der härtesten Bundesliga-Verteidiger aller Zeiten. Ärgert es Sie manchmal, dass man nur daran denkt, wenn Ihr Name fällt?

Uli Borowka: Nein, überhaupt nicht. Natürlich war ich ein relativ harter Spieler und habe von meinem Ruf gelebt. Das hat mir aber auch vieles leichter gemacht. Gerade so ein Klinsmann ist gegen mich ganz anders ins Spiel gegangen wie gegen andere Abwehrspieler.

SPOX: Sie wurden auch zweimal in Folge von den Bundesliga-Profis zum unangenehmsten Abwehrspieler der Liga gekürt.

Borowka: Ich habe die Stürmerkollegen auch immer gefragt, wer mich denn gewählt hat, aber keiner hat sich getraut, es zuzugeben. Die wussten alle, dass mit mir nicht gut Kirschen essen war. Zu Klinsmann habe ich einmal vor einem Spiel gesagt, dass es heute eng für ihn werden könnte. Der hat sich dann komplett zurückgezogen und ward nicht gesehen.

SPOX: Gab es auch Gegenspieler, die ordentlich gegen Sie ausgepackt haben?

Borowka: Ja, da kann ich Ulf Kirsten nennen. Mit ihm habe ich mir sehr viele Duelle geliefert. Da kam es auch öfters vor, dass er mir zuerst einen mitgegeben hat. Da ging es mit offenem Visier ordentlich zur Sache, aber ohne die absolute Unfairness. Das war nicht so ein Luschi wie der Klinsmann. Vor ihm ziehe ich den Hut.

SPOX: Hat es Sie gekränkt, dass Sie 1996 beim Abschied von Werder Bremen nicht einmal einen Blumenstrauß bekamen?

Borowka: Ja. Nach neun Jahren als Publikumsliebling hat der Abschied, so wie er vonstatten ging, weh getan. Das lag auch an der Geschichte mit Willi Lemke.

SPOX: Was war da genau passiert?

Borowka: Lemke ist und bleibt ein Doppelagent. Wir hatten damals ein Gespräch und dabei wurde mir zugesichert, dass ich den Verein nach neun Jahren ablösefrei verlassen darf. Ich hatte ein zweiwöchiges Probetraining bei Leeds United absolviert und mir wurde ein Vertrag angeboten. Als ich zurück in Bremen war, habe ich um Vertragsauflösung gebeten. Lemke wollte dann aber plötzlich doch eine Ablösesumme einstreichen. Wegen dieses Wortbruches habe ich denen ordentlich meine Meinung gegeigt und da ihnen die nicht passte, fiel der Abschied eben so aus, wie er letztlich ausgefallen ist.

SPOX: Wie sieht Ihre Beziehung zu Werder aktuell aus?

Borowka: Wenn ich ein Spiel sehen möchte, bekomme ich bei allen Bundesligisten Karten - nur von Werder Bremen nicht. Es gibt bei den Personen, die in Bremen etwas zu sagen haben, immer noch genügend Leute, die mit mir große Probleme haben. Ich bekomme sogar beim FC Bayern Karten (lacht).

SPOX: Sie haben bis zum Alter von 26 Jahren sechsmal für die Nationalmannschaft gespielt. Haben Sie eigentlich noch das Trikot von Diego Maradona, das Sie bei Ihrem ersten Länderspiel gegen Argentinien im April 1988 bekommen haben?

Borowka: Klar. Vor nicht allzu langer Zeit hat mir jemand für das Trikot 25.000 Euro geboten.

SPOX: Und?

Borowka: Keine Chance (lacht).

SPOX: Wieso haben Sie es nicht zu mehr Einsätzen geschafft?

Borowka: Ähnliche Geschichte wie bei Werder: Ich habe meinen Mund aufgemacht und meine Meinung vertreten. Das ist nicht gut angekommen. Es hieß, dass ich das Halbfinale gegen Holland bei der EM 1988 alleine verloren habe. Ich war Meister mit Bremen und einziger Werder-Spieler im Kader. Ich hatte es doppelt und dreifach schwer, mich mit meinem Ruf auch nur ansatzweise gegen die Bayern-Connection durchzusetzen. Da wollte man mir einiges in die Schuhe schieben.

SPOX: Mal provokativ gefragt: Wieso haben Sie nicht öfter einfach mal die Klappe gehalten?

Borowka: So war und bin ich eben. Ich bereue gar nichts. Ich kann bis heute immer noch in den Spiegel schauen. Viele Menschen, die mich heute sehen, haben deutlich größere Probleme mit mir. Die drehen sich um und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Das liegt vielleicht auch an meiner überwundenen Krankheit.

SPOX: Sie sprechen Ihre Alkoholkrankheit an, die Sie mittlerweile besiegt haben.

Borowka: Leute wie Willi Lemke waren froh, dass sie mich aussortieren konnten. Das ist eine Art, die man sehr kritisch hinterfragen sollte. Man muss sich fragen, ob man mit Menschen, die eine Krankheit haben, so umgehen kann. Diesen Menschen sollte man damals wie heute helfen und nicht noch drauftreten. Erst recht, nachdem das Thema Krankheit bei Profisportlern durch den Tod von Robert Enke wieder neu entfacht wurde. Nach Enkes Tod hat sich aber nichts geändert, da der Kern der Problematik nicht thematisiert wurde.

SPOX: Wann war Ihnen klar, dass Sie unter der Alkoholkrankheit leiden?

Borowka: Richtig bewusst ist es mir eigentlich erst in der Klinik geworden, als ich die Dramen gesehen habe, die sich dort abgespielt haben. Ich wollte es vorher nie wahrhaben.

SPOX: Wie ist aus Ihrer Sicht die Krankheit entstanden?

Borowka: Da gibt es zahlreiche Gründe, die ich in der Therapie alle aufgearbeitet habe. Das würde ein ganzes Buch füllen, das ich vielleicht auch einmal schreiben werde.

SPOX: Wie konnten Sie Ihre Alkoholsucht während Ihrer Zeit als Profi verbergen und zudem noch Leistungssport betreiben?

Borowka: Ich habe das auch erst im Nachhinein herausgefunden: Das lag an der Konstellation in meinem Körper. Der hat relativ schnell alles abgebaut, was ich ihm eingeflößt habe. Mir selbst wurde das einmal klar, als ich in einem Spiel meine Vorderzähne verloren habe. Ich musste direkt in die Klinik und habe Betäubungsspritzen bekommen. Letztlich waren es 18 Spritzen, die alle nur wenige Minuten gewirkt haben und sofort danach von meinem Körper abgebaut wurden. Für den Leistungssport war das mein Vorteil. Ich habe abends doch gerne mal einen getrunken - und das waren schon ein paar Gläschen - und stand nach nur wenig Schlaf am nächsten Morgen auf dem Trainingsplatz.

SPOX: Um welche Mengen an Alkohol handelte es sich damals denn?

Borowka: Wenn ich das verrate, würden viele Menschen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Daher reden wir lieber nicht über die Menge.

SPOX: Inwiefern kann man dieses Versteckspiel, das Sie betreiben mussten, mit dem Schicksal von Enke vergleichen?

Borowka: Bei mir war es ähnlich. Ich saß alleine zuhause und war nicht mehr Herr meiner Gedanken. Ich habe in der einen oder anderen Situation auch daran gedacht, wie man das Leben am besten beendet. Als Enke gestorben ist, sind viele alte Gedanken in meinem Kopf wieder aufgetaucht. Daher finde ich es auch sehr schade, dass sich durch diese Tragödie nicht viel geändert hat. Man müsste viel offener mit Betroffenen reden und diese zu Wort kommen lassen. Die wissen ja, wovon sie reden, weil sie es selbst durchgemacht haben. Einer, der beispielsweise nie alkoholkrank war, der kann relativ wenig über die Alkoholkrankheit erzählen. Da kann auch ein Psychologe nicht großartig helfen. Der kann nur das sagen, was er in Büchern gelesen hat. Der Erfahrungsschatz eines Betroffenen ist in solchen Fällen unverzichtbar und die größte Hilfe.

SPOX: Sie haben 2000 in Bad Fredeburg im Sauerland in der vermeintlich härtesten Suchtklinik Deutschlands eine Therapie gemacht. Wie lange ging das und wie sah Ihr damaliger Tagesablauf ab?

Borowka: Ich war vier Monate dort. Das war Druck, das war brutal. Ich stand ja mit eineinhalb Beinen schon im Grab. Die Tagesabläufe waren extrem geregelt, man fühlt sich zu Teilen wie im Knast. Man kann die Klinik aber jederzeit verlassen.

SPOX: Waren Sie im Vorfeld dieser Therapie von einem positiven Ausschlag für Ihr weiteres Leben überzeugt?

Borowka: Nein, gar nicht. Ich dachte, dass ich die Therapie in zwei, drei Wochen hinter mich bringe. Eine Art Kurzurlaub. Das hat sich aber nach einer Woche relativ schnell geändert. Ich habe gesehen, was Schicksale sind. Mein komplettes Leben, jede einzelne Aktion ist in dieser Zeit noch einmal in meinem Kopf wie ein Film abgelaufen. Da habe ich gesehen, dass sich in meinem Leben einiges ändern muss.

SPOX: Wie ging es nach der Therapie mit Ihnen weiter, welche Veränderungen haben Sie an sich festgestellt?

Borowka: Ich habe gesehen, dass ich durch meinen Willen und meinen Ehrgeiz die Alkoholkrankheit bezwingen kann. Wille und Ehrgeiz haben mich schon immer ausgezeichnet, auch als Fußballer. 90 Prozent meiner Mit- und Gegenspieler waren ja talentierter als ich.

SPOX: Sind Sie in der Folge Lokalitäten aus dem Weg gegangen, in denen Alkohol getrunken wurde?

Borowka: Nein. Ich bin nach der Therapie zu meinen Eltern zurückgekehrt. Die haben seit über 30 Jahren eine Gaststätte im Sauerland. Mir wurde zwar gesagt, dass ich mir ein komplett neues Umfeld zulegen soll, aber ich kann mir ja keine neuen Eltern suchen. Die Leute von der Klinik haben mich davor gewarnt, aber ich hatte ja keine andere Wahl. Laut dieser Argumentation könnte ich ja nicht mal mehr einkaufen gehen, da steht der Alkohol ja auch in den Regalen rum. Ich habe mich letztlich für den Weg entschieden, der für mich am besten geeignet war - und das klappt bis heute.

SPOX: Gab es in dieser Zeit für Sie Rückhalt von ehemaligen Mannschaftskameraden?

Borowka: Es waren wenige. Auf Oliver Reck konnte man sich immer verlassen. Michael Kutzop muss man da auch noch nennen. Ich bin ja immer mal wieder in Bremen herumgeturnt, aber es war in dieser Zeit auch schwer, zu mir durchzudringen und mir irgendetwas zu raten.

SPOX: Was sagen Sie zu Statistiken, nach denen ein Drittel aller Alkoholabhängigen trotz Therapie nach Jahren plötzlich und unerwartet wieder rückfällig wird?

Borowka: Aus meiner Gruppe sind alle rückfällig geworden. So ist das Leben. Ich bin seit zehn Jahren trockener Alkoholiker.

SPOX: Sie sagten einmal: "Wenn ich auspacke, würden etliche schlecht wegkommen". Wie meinten Sie das?

Borowka: Aus meiner Sicht sind die Biografien vieler Ex-Fußballer Micky-Maus-Hefte. Wenn ich auspacken würde, bräuchte ich zwei Millionen und eine neue Identität.

SPOX: Sie sind auch bei GOFUS, den Golf spielenden Fußballern, aktiv. Wie ist ausgerechnet jemand wie Sie zu einer solch filigranen Sportart gekommen?

Borowka: Ich hatte nie einen Golftrainer und dennoch ein Handicap von 8,6. Ich habe bei GOFUS auch schon dreimal das Sieger-Sakko gewonnen. Ich spiele so Golf, wie ich früher Fußball gespielt habe: Hau drauf und dann musste gucken, wie du aus der Sülze raus kommst.

Uli Borowka im Steckbrief

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