"Ich habe mich angreifbar gemacht"

Von Interview: Stefan Moser
Nach der bitteren letzten Saison mit nur zehn Einsätzen will Jan Schlaudraff wieder angreifen
© Getty

Aus im DFB-Pokal, Krach mit den eigenen Anhängern, Angst vor dem Abstieg: Jan Schlaudraff, der vor dem Saisonauftakt gegen Frankfurt überraschend aus dem Kader geworfen wurde, über die Stagnation bei Hannover 96, Diskussionen mit den Fans und sein eigenes schlechtes Image.

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SPOX: Am Samstag startet die Saison gegen Frankfurt, doch die Stimmung ist nach dem Pokal-Aus schon jetzt ziemlich angespannt. Was ist falsch gelaufen?

Jan Schlaudraff: Eigentlich ist alles falsch gelaufen. Unsere Leistung war katastrophal, da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren. Bei allem Respekt vor dem Gegner, der viel gerannt und diszipliniert gestanden ist, aber wir haben gegen einen Viertligisten kein taktisches Mittel gefunden, um in 120 Minuten auch nur ansatzweise gefährlich zu werden.

SPOX: Damit sind Sie zum zweiten Mal in Folge gegen eine Amateurmannschaft aus dem Pokal geflogen.

Schlaudraff: Und am Ende muss man leider sagen: Noch nicht einmal unverdient. Unser Auftritt war schlichtweg erschreckend. Entsprechend groß ist die Enttäuschung, die Stimmung sehr bedrückt. Der Trainer hat deutliche Worte gefunden und klar gemacht, dass es so nicht geht. Mit dieser Leistung haben wir in der Bundesliga definitiv keine Chance, und zwar gegen keinen Gegner.

SPOX: Die Fans haben Ihrer Enttäuschung nach dem Spiel sehr drastisch Ausdruck verliehen. Haben Sie dafür Verständnis?

Schlaudraff: Was in der ersten Emotion passiert ist, war nicht in Ordnung. Die Aggressivität war sehr hoch - unterm Strich zu hoch. Allerdings muss man es von zwei Seiten sehen: Elversberg ist nicht um die Ecke, die Fans hatten eine weite Anreise und hohe Erwartungen - und wir fliegen gegen einen Viertligisten raus. Klar waren die stocksauer. Wenn es allerdings persönlich beleidigend wird oder gefährlich, wie mit den Feuerwerkskörpern und den Randalen nach Schlusspfiff, ist das nicht mehr in Ordnung. Da wurde eine Grenze überschritten.

SPOX: Später wurde noch der Mannschaftsbus blockiert. Sie haben sich mit Steven Cherundolo und Christian Schulz den Fans gestellt.

Schlaudraff: Und das war auch völlig okay, eine absolut vernünftige Diskussion ohne Aggression. Sie wollten von uns einfach hören, wie es weitergehen soll. Man hat deutlich gespürt, dass sie einfach Angst haben. Angst um den Klassenerhalt, Angst um Hannover 96. Was sie verlangt haben, ist auch klar: dass wir uns jetzt gegen Frankfurt voll reinhauen und wieder gut machen, was wir im Pokal verbockt haben.

SPOX: Mirko Slomka hat nach dem Spiel erneut auf die fehlende Qualität im Kader hingewiesen, während Klubboss Martin Kind mehr Leistung vom vorhandenen Personal einfordert. Wer hat Recht?

Schlaudraff: Als Spieler ist es schwierig, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Ich denke, wir brauchen nicht über neues Personal zu reden, wenn wir gerade gegen einen Viertligisten verloren haben. Das soll nicht despektierlich klingen, aber auf dem Papier wäre unsere Amateurmannschaft sogar gegen Elversberg der Favorit gewesen, die spielen in derselben Liga. Wenn wir wirklich nicht die Qualität haben, um gegen die weiterzukommen, haben wir in der Bundesliga auch nichts mehr zu suchen. Das hat nichts mit Qualität zu tun.

SPOX: Sondern nur mit dem Kopf?

Schlaudraff: Das ist die große Frage. Zumindest aber kann uns keiner vorwerfen, wir hätten keinen Bock gehabt oder den Kopf in den Sand gesteckt. Wir sind 120 Minuten lang gerannt. Das war keine Frage des Willens oder der Einstellung, denn die waren vorhanden. Trotzdem waren wir nicht besser - und das macht die Sache am Ende noch alarmierender.

SPOX: Im Spiel nach vorne wirkt die Mannschaft blockiert, fast ängstlich.

Schlaudraff: Ängstlich würde ich nicht sagen, aber es stimmt, dass wir offenbar schnell verkrampfen. Aber die Frage ist doch, warum die Spieler, in die große Erwartungen gesetzt werden und die ihre Qualitäten auch schon bewiesen haben, es nicht schaffen, ihr Potential abzurufen. Ob die Spieler nun Forssell, Hanke, Eggimann, Schlaudraff oder sonst wie heißen: Warum bleiben die Spieler in Hannover unter ihren Möglichkeiten?

SPOX: Es klingt, als hätten Sie eine Antwort.

Schlaudraff: Klar ist, dass sich jeder für sich erstmal selbst hinterfragen muss, was er an sich ändern muss. Aber für das gesamte Problem habe ich weder eine Erklärung, noch eine Lösungsstrategie. Insgesamt ist das auch die Aufgabe des Trainerteams: Die bestmögliche Mannschaft auf den Platz zu bringen, die dann die optimale Leistung abrufen kann.

SPOX: Nach Hecking und Bergmann ist Mirko Slomka aber schon der dritte Trainer, der damit Probleme zu haben scheint.

Schlaudraff: Fakt ist, dass wir seit zwei Jahren stagnieren. Wir sollten uns eigentlich stetig weiterentwickeln, treten aber nur auf der Stelle.

SPOX: Immerhin sind Sie persönlich diesmal nicht Sündenbock.

Schlaudraff: Ich habe zuletzt viel Kritik einstecken müssen, das ist richtig. Manchmal war sie übertrieben, vieles aber auch berechtigt. Gerade wenn man mit großen Erwartungen geholt wurde, muss man mit Kritik auch umgehen können. Man kostet den Verein ja auch Geld - und dafür wollen die Leute was sehen. Das konnte auch ich persönlich bisher nicht erfüllen.

SPOX: Sie symbolisieren damit unfreiwillig die enttäuschten Hoffnungen, die Hannover vor zwei Jahren noch hatte.

Schlaudraff: Natürlich bin ich selbst auch enttäuscht, wie die letzten beiden Jahre verlaufen sind. Für mich ist es deshalb jetzt erstmal wichtig, dass ich nach drei Leistenoperationen wieder gesund bin. Die letzte Saison war für mich eine sehr schwere Zeit, vor allem weil die Verletzung anfangs nicht so gravierend eingeschätzt wurde, und dann hat es sich ewig hingezogen. Nun hoffe ich einfach, dass ich in Zukunft auch wieder bessere Leistungen abrufen kann.

SPOX: Zumal Sie trotz Ihrer Verletzungen plötzlich ein Image-Problem bekommen haben...

Schlaudraff: Das ist sicher phasenweise unglücklich gelaufen, weil es während der Zeit der Verletzungen, als ich kaum gespielt habe, so dargestellt wurde, als würde die Misere nur an mir festgemacht werden. Bei mir kommt es offenbar manchmal so rüber, als hätte ich keinen Bock oder würde nicht laufen oder als würde ich mich hängen lassen. Damit habe ich mich in der Vergangenheit ungewollt auch angreifbar gemacht. Und daran will ich in dieser Saison arbeiten, damit dieses Bild nicht mehr entstehen kann.

SPOX: Offensichtlich mit Erfolg, Sie wurden überraschend in den Mannschaftsrat gewählt.

Schlaudraff: Das sollte man nicht zu hoch hängen. Ich weiß, dass viele junge Spieler meine Art schätzen, weil sie wissen, dass ich niemandem nach dem Mund rede, sondern meine Meinung vertrete, egal ob jemand 18 oder 32 ist. Ich glaube, dass ich vor allem deswegen im Mannschaftsrat sitze. Aber ganz ehrlich: Ob Mannschaftsrat oder nicht, ob Führungsspieler hin oder her, ob Kapitän oder nicht - wir müssen alle 26 Spieler von Hannover 96 ganz schnell eine komplett andere Leistung abliefern, um in der Bundesliga überhaupt eine Chance zu haben.

SPOX: Nach dem Abgang einiger erfahrener Spieler scheint sich in Hannover aber auch erst eine neue Hierarchie etablieren zu müssen.

Schlaudraff: Tatsächlich haben wir hier gerade eine relativ flache Hierarchie. Dadurch ist die Verantwortung einerseits auf viele Schultern verteilt, anderseits stabilisieren Führungspersönlichkeiten aber natürlich eine Mannschaft. Nur: Führungsspieler wird man nicht, weil man viel redet oder im Mannschaftsrat sitzt - sondern nur durch Leistungen auf dem Platz. Und wenn ich mal Emanuel Pogatetz ausklammere, dann hat sich da am Samstag wirklich keiner empfohlen. Ich auch nicht.

SPOX: Fehlende Führungsfigur, Verkrampfung und das Gefühl der Schwere: Glauben Sie, dass der Selbstmord von Robert Enke in den Hinterköpfen noch eine Rolle spielt.

Schlaudraff: Wir können die Tragödie nicht mehr rückgängig machen, wir müssen nun damit klar kommen. Wir hatten in der letzten Saison damit wirklich sehr hart zu kämpfen, aber wir hatten jetzt einen Neuanfang und müssen nach vorne schauen. Es sollte sportlich für uns in dieser Saison kein Thema mehr sein.

SPOX: Auch in ihrer moralischen Dimension wurde die Geschichte von Robert Enke erstaunlich schnell vergessen. Nachdem man eine Weile das Gefühl hatte, die Fußballwelt würde sich nun plötzlich verändern, sind die Diskussionen um Druck, Verantwortung und Offenheit schnell wieder verklungen.

Schlaudraff: Etwas anderes zu erwarten, wäre aber auch naiv gewesen. So ist es doch immer im Fußball. Da wird erst lang und breit diskutiert und auf betroffen gemacht, und zwei Wochen später ist es, als wäre nie etwas geschehen. Auch viele Medien haben zwei Wochen lang die Tragik teilweise scheinheilig verkauft - um dann wieder genauso Druck zu erzeugen und auf die Mannschaft einzuschlagen wie zuvor. Da brauchen wir uns nichts vorzumachen: Fußball ist Tagesgeschäft - und das gilt auch für eine Tragödie wie den Selbstmord von Robert Enke. Mittlerweile sind alle wieder auf dem Stand von vorher und alles ist vergessen. Aber was soll ich mich jetzt beschweren: So ist nun mal Fußball.

Jan Schlaudraff im Steckbrief