Rückkehr der Schöngeister

Von Stefan Rommel
Gesichter der Bremer Krise: Mertesacker, Frings, Rosenberg und Özil (v.l.)
© Getty

Nach den Titelträumen das Chaos: Werder Bremen steckt einmal mehr im Mittelfeld der Tabelle fest und droht seine Saisonziele zu verpassen. Die Gründe für die Krise sind unterschiedlicher und hausgemachter Natur - was die Lage sehr prekär macht. Ein Deja-vu der unliebsamen Art.

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Am Donnerstagabend hatte Bremen endlich mal wieder was zu feiern. Die Obere Rathaushalle hatte sich herausgeputzt für die rund 200 geladenen Gäste.

111 Jahre Werder Bremen galt es zu begießen, ein paar "tolle Stunden" in einer karneval-freien Zone. Aber in die allgemeine Feierstimmung mischte sich auch eine Spur Unbehagen und Gram.

Zu schlecht präsentierte sich der Stolz der Stadt in den vergangenen Wochen, zu matt, abgestumpft und lethargisch seine Spieler.

Erstklassige Reputation, drittklassige Leistungen

Ex-Manager Willi Lemke jauchzte zwar wie zu besten Zeiten, "wann immer ich sage, dass ich mit Werder Bremen verbunden bin, geht ein respektvolles Raunen durch die Menge - egal ob in Sibirien, Ghana oder Rio", so richtig vorstellen kann man sich das derzeit aber nicht.

Der erstklassigen Reputation stehen drittklassige Leistungen gegenüber. Wenn sie nur wüssten, in Sibirien, Ghana oder Rio...

Werder Bremen steckt in einer veritablen Krise. Nach neun Spielen ohne Sieg mit fünf Niederlagen am Stück in der Bundesliga - seit dem 11. Spieltag wartet Werder auf einen Dreier - muss man das einfach so konstatieren. Anfang Dezember galt der Titel noch als Ziel. Mittlerweile ruht alle Hoffnung auf den in Bremen immer bewährten Pokalwettbewerben.

Schleichender Zerfall

Ein Deja-vu der unliebsamen Art, als hätte sich der Verein zwölf Monate in der Zeit zurückversetzt. Mit den selben Problemen und Unzulänglichkeiten, Ursachen und Wirkungen wie vor einem Jahr. Unter die üblichen Durchhalteparolen mischen sich immerhin auch erste scharfe Attacken gegen die Mannschaft.

Klaus Allofs ging das Team nach dem desaströsen 3:4 in Mönchengladbach hart an, der Trainer forcierte merklich die Trainingseinheiten unter der Woche. In den Monaten davor aber schauten die Verantwortlichen dem schleichenden Zerfall mehr oder minder tatenlos zu.

Die Balance verloren

Die Selbstzufriedenheit wuchs in dem Maße, in dem die Kampf- und Laufbereitschaft auf dem Platz abnahm. Die Folgen schlagen erst jetzt deutlich durch, mit der Konsequenz, dass sich Bremen quasi selbst wieder in einen längst vergessen geglaubten Aggregatszustand katapultiert hat, den des fahrlässig-leichtsinnigen Schöngeistes.

Das Spiel nach vorne ist nicht mehr so forsch, aber immerhin noch gefährlich genug für zwei, drei Tore pro Spiel. Aber die Abwehrleistung: finsterer als in den Unzeiten des Februars und März' vergangenen Jahres.

In der Vorrunde zeichnete sich Werder durch eine neu gewonnene Balance zwischen den Mannschaftsteilen aus, aus einer profunden Abwehrhaltung heraus kombinierte sich die Mannschaft durch die gegnerischen Abwehrreihen direkt hinein in den Zirkel der Titelanwärter.

Leistungsträger werden Problemkinder

Und heute? Alles weg. Wie erstickt vom Schnee und Matsch, der die Stadt im Griff hat. Die Leistungsträger vom Herbst - Frings, Hunt, Özil, Marin - sind die Problemkinder des späten Winters. Die Quelle der individuelle Klasse, die Bremen immer wieder aus kniffligen Situationen geholfen hat, ist versiegt.

Selbst vor dem sakrosankten Per Mertesacker machte die Formkrise des Einzelnen nicht halt. Der Nationalspieler machte in Gladbach eines seiner schlechtesten Spiele überhaupt in Grün-Weiß.

Dazu kommen die Verletzungen von Claudio Pizarro und Philipp Bargfrede, der mit seinen 20 Jährchen und gerade mal 13 Bundesligaspielen auf dem Buckel schon so vermisst wird wie kein anderer.

Keine Aussicht auf Besserung?

Warum sich die komplette Mannschaft aber in ihrer Spielausrichtung mit einer unvergleichlichen Leichtigkeit ins Verderben stürzt? Niemand weiß es so genau. Die Abwehr steht wieder viel zu hoch, die Lücke zwischen Mittelfeld und Viererkette ist trotzdem enorm. Die Folge sind Kontertore, wie sie einfacher in der Landesliga nicht zu erzielen sind.

Allofs zeichnet deshalb ein düsteres Bild, das vor dem Heimspiel gegen Hertha BSC (20.15 Uhr im LIVE-TICKER und auf SKY) keine Hoffnung auf Besserung in Aussicht stellt: "Wenn sich dieses Fehlverhalten eingeschlichen hat, dauert es eine ganze Zeit, bis man das wieder raus gebracht hat. Jetzt kommen noch andere Dinge erschwerend dazu: dass die Spieler verunsichert sind, dass sie Angst vor Niederlagen haben."

Bremen bestreitet seine Spiele körperlos und ohne den unbedingten Willen zum Sieg, keiner will mehr für den anderen laufen. Selbst der sonst nüchterne Mertesacker ließ sich dazu hinreißen, die Mittelfeldreihe als Ausgangspunkt der Defensivschwäche öffentlich zu brandmarken.

Historische Serie droht

Thomas Schaaf hatte in den letzten Tagen ordentlich zu tun. Immerhin reagiert der Trainer jetzt auch selbst und nimmt mit dem enttäuschenden Tim Borowski und dem überforderten Aymen Abdennour zwei Spieler aus der ersten Elf. Peter Niemeyer und Petri Pasanen sollen gegen Berlin für die nötige Stabilität sorgen.

Immerhin droht ein böser Negativrekord: Sechs Niederlagen in Folge gab es in der Bremer Bundesligageschichte noch nie.

Damit entkräftet Schaaf ein bisschen den Vorwurf, er würde zu lange am selben Personal festhalten und wäre nicht flexibel genug in seinem Handeln. Denn auch der Unumstrittene ist wie vor einem Jahr drauf und dran, in die Schlagzeilen zu rücken. Nicht ganz ohne Grund.

Teure Stars statt eigener Talente

Schließlich ist es Schaaf, der es strikt vermeidet, sich auch einmal während der Saison bei der zweiten Mannschaft zu bedienen, wie es unzählige andere Bundesligisten mit durchaus nachweisbarem Erfolg tun. Im Gegenteil: Zuletzt ließ Werder die Talente Kruse, Harnik, Diekmeier, Schindler und Oehrl einfach ziehen.

Stattdessen kaufte der Klub teure Spieler ein, die bis heute ihren Gegenwert nicht unter Bewies stellen konnten (Borowski, Rosenberg) oder längst wieder weg sind (Moreno, Tziolis, Tosic).

Das Bremer Dilemma ist mannigfaltig und sicherlich nicht von einem Tag auf den anderen zu beheben. Da helfen auch gut gemeinte Lobhudeleien nicht viel.

"Bremen als Stadt ist ein liebenswertes regionales Zentrum, im Fußball aber ist Bremen eine Metropole", sagte Willi Lemke noch auf der grün-weißen Nacht.

Derzeit ist Bremen aber in erster Linie Tabellensechster der Bundesliga, mit mehr Punkten Rückstand auf die Spitze (16) als Vorsprung zur Abstiegszone (11). Und nicht mehr.

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