Die Emanzipation der Schnarchigkeit

Von Andreas Lehner / Thomas Gaber
Christian Nerlinger erfüllt seit 1. Juli 2009 einen Teil der Aufgaben von Ex-Manager Uli Hoeneß
© Getty

Vom Praktikanten zum Chef. Der Traum eines jeden Angestellten. Für Christian Nerlinger ging alles ganz schnell. Die Last seines Vorgängers Uli Hoeneß wiegt schwer, aber der neue Sportdirektor des FC Bayern München ist auf einem guten Weg. Dubai, sein erstes Trainingslager ohne den Mentor, hat Nerlinger mit Bravour gemeistert.

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Da saß er nun. Ganz alleine. Als Sportdirektor des FC Bayern München. Sein erster großer TV-Auftritt im "Aktuellen Sportstudio". Und Christian Nerlinger hatte sichtlich zu kämpfen mit dem Druck, den diese Repräsentationsaufgaben mit sich bringen.

Er ist nervös. Sehr, sehr nervös, wie Nerlinger wohl selbst gesagt hätte. Denn das "sehr, sehr" ist der beliebteste Einschub in seinen Antworten, die er in einem etwas staksigen Deutsch gibt. Nerlinger flüchtet sich in Phrasen und kann in seiner ganzen Körpersprache die Aufregung nicht verbergen. Seine Hände sind fast ständig in Bewegung, sein Mund zuckt und die Augen suchen sich immer neue Fixpunkte im Studio.

Kein optimaler Start in seine neue Aufgabe. Zumal der Schatten seines Vorgängers am Anfang ein ständiger Begleiter ist. Der Vergleich mit Uli Hoeneß ist unausweichlich und nicht zu gewinnen. Für den "Stern" personifizierte Nerlinger sogar die "neue Schnarchigkeit" des FC Bayern.

Eine außergewöhnliche Konstellation

Drei Wochen war Nerlinger zu diesem Zeitpunkt im Amt und damit als erster von zwei Nachfolgern von Ex-Manager Hoeneß inthronisiert. Kein leichter Job für einen, der sich vor zwei Jahren nach seinem BWL-Studium an der Munich Business School ganz klassisch mit Bewerbungsmappe um ein Praktikum beim FC Bayern bemüht hatte, von Jürgen Klinsmann aber gleich zum Teammanager gemacht wurde.

"Ich nehme die Entwicklung der vergangenen eineinhalb Jahre schon bewusst wahr und weiß, dass dies eine außergewöhnliche Konstellation ist", sagt Nerlinger.

In dieser Zeit hat er bei den Bayern-Verantwortlichen einen guten Eindruck hinterlassen. Hoeneß sieht sich sogar an sich selbst in jungen Jahren erinnert. Und er ist von Nerlinger derart überzeugt, dass er ihn gestandenen Sportdirektoren wie Klaus Allofs vorzog.

Hoeneß wollte einen Mann aus den eigenen Reihen, der bei den Fans an der Basis sofort akzeptiert wird. Aber er weiß auch, "dass es für den Christian nicht leicht wird. Was ich mir erarbeitet habe, in dieser ganzen Tiefe, das hat Zeit gebraucht. Und ich habe das auch ein bisschen unterschätzt: Er muss das Herz der Menschen gewinnen, und das geht nicht einfach durch seine Position - das kommt oder es kommt nicht!"

Ein Rucksack namens Hoeneß

Nerlinger ist der Verantwortliche für den sportlichen Bereich, gilt in der öffentlichen Wahrnehmung aber als Hoeneß-Nachfolger. Ein Titel oder besser gesagt ein Rucksack, den der neue Mann im Marketing- und Sponsoring-Bereich nicht tragen muss. Der richtige Mann für diese Position wird noch gesucht, spätestens im Juli soll er gefunden sein.

Auch beim mehr als kuriosen Fernsehauftritt in der arabischen Version des Sportstudios während des Trainingslagers in Dubai musste er mit dieser Fehleinschätzung aufräumen. "Nein, ich bin nicht sein Nachfolger. Uli Hoeneß war der General Manager, ich bin nur für den sportlichen Bereich zuständig", stellte er in blitzsauberem Englisch klar.

Anders als beim deutschen Original machte Nerlinger bei diesem Auftritt eine gute Figur und zeigte sich sehr eloquent - auch in der Fremdsprache. Eine Eigenschaft, die auch manch deutschem Spitzenpolitiker gut zu Gesicht stehen würde.

Nerlinger wird lockerer

Auch bei den Pressekonferenzen und dem täglichen Kontakt mit den Pressevertretern gewinnt Nerlinger immer mehr an Lockerheit und lässt sogar Einblicke in sein Privatleben zu. Er fragt nach persönlichen Befindlichkeiten und spricht über die Geburt seines zweiten Kindes.

Zugänglich ist Nerlinger auch für die Spieler. Er ist nah dran an der Mannschaft und hat immer ein offenes Ohr für die Probleme. Auch wenn er klarstellt, dass er nicht der Freund der Spieler sein kann.

"Eine gewisse Distanz ist selbstverständlich. Aber ich kann mich gut in die Spieler hineinversetzen. Ich habe das ganze Spektrum selbst erlebt. Es muss einen offenen und respektvollen Umgang geben. Man muss auch unangenehme Dinge direkt ansprechen. Auch von den Spielern erwarte ich eine ehrliche Einschätzung und keine geschönte Meinung", sagt Nerlinger.

Klare Ansagen, aber keine "Abteilung Attacke"

Er ist dabei, seinen eigenen Weg zu finden und ihn auch zu gehen. Ausrutscher wie der unpassende und auch unnötige Vergleich des Stuttgarter Stadions mit dem Zentralfriedhof von Chicago werden ihm nicht mehr passieren.

Die "Abteilung Attacke" kann er nicht neu besetzen, dafür kann er sich zu schwierigen Themen präzise und mit aller Deutlichkeit ausdrücken.

Den Youngsters Alaba, Ekici und Contento sagte er die "schwierigste Phase ihrer noch jungen Karriere" voraus, den hoch bezahlten Stars kündigte er Gehaltskürzungen an ("Wer seinen Vertrag bei uns verlängert, bekommt nicht automatisch mehr Geld") und in der Causa Ribery machte er klar, dass der FC Bayern nicht erpressbar ist. "Zwischen dem Spieler und dem Verein herrscht ein einwandfreies Verhältnis. Wir werden eine saubere Lösung finden. Wenn wir keine finden, dann eben nicht."

Van Gaals Wunsch erfüllt

Sein erstes Trainingslager ohne seinen Mentor Hoeneß hat er mit Bravour gemeistert. "Ich werde einfach meinen Weg gehen. Ich werde ja oft gefragt, wie ich in dieser oder jener Situation reagieren werde: Ich kann es nicht sagen. Ich werde das situativ lösen."

Seine ersten Gehversuche als Alleinverantwortlicher endeten gleich in einem Lauf. Der Kader wurde in der Winterpause rigoros auf die Wunschgröße von Trainer Louis van Gaal verkleinert.

Hoeneß hatte immer wieder betont, dass er keinen Spieler wegschicken werde, der beim FC Bayern einen Vertrag hat. Nerlinger hat in den Nürnberger Fällen zumindest etwas nachgeholfen, um die Entwicklung beider Spieler voranzutreiben. "Die Ausbildung ist das einzige Ziel. Die Spieler sollen nicht ins Schaufenster gestellt werden, damit wir sie teuer verkaufen können", sagte Nerlinger.

Der 36-Jährige ist dabei, sich zu emanzipieren. Die nächsten Schritte muss er bei den Vertragsverlängerungen und den Neuverpflichtungen im Sommer machen. Da wird ihm Hoeneß auch wieder etwas unter die Arme greifen. "Der Christian hat ja noch nie mit Spielern oder Beratern über Millionenbeträge verhandelt."

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