Christian Gross: Harter Hund im Pelzmantel

Von Thomas Gaber
Christian Gross bei der Vorstellung in Stuttgart: "Ich möchte möglichst um Titel spielen"
© Getty

Endlich ist Christian Gross in der Bundesliga gelandet. Der Schweizer tritt die Nachfolge des entlassenen Markus Babbel als Trainer des VfB Stuttgart an. Der Erfolgstrainer lässt Stars an der langen Leine, aber wehe sie werden aufmüpfig... Selbst Jürgen Klinsmann verlor einst den Machtkampf.

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Eigentlich wäre Christian Gross lieber in Spanien. Die Primera Division ist seit jeher der große Traum des 55-Jährigen, weil die Spielweise in Spanien seiner Fußball-Philosophie am nächsten kommt.

Seit Sonntag heißt Gross' neuer Lebensmittelpunkt aber nicht Valencia, Madrid oder Sevilla, sondern Stuttgart. Am Abend wurde der Schweizer als Nachfolger des entlassenen Markus Babbel als Trainer des VfB vorgestellt. Sein kurzfristiger Auftrag lautet: raus aus dem Bundesliga-Keller und Einzug ins Champions-League-Achtelfinale.

"Ich freue mich sehr, hier zu sein. Das ist eine ehrenvolle aber auch sehr schwierige Aufgabe. Es geht jetzt darum, das zu retten, was zu retten ist", sagte Gross. Der Trainer ist überzeugt, dass er in Stuttgart etwas bewegen kann, wenn erst einmal das Schlimmste überstanden ist. "Mittelmaß ist mir zu langweilig. Ich will dort sein, wo sich etwas bewegen lässt. Ich möchte möglichst um Titel spielen."

Oft Kontakt nach Deutschland

Dass Gross weiß, wie man als Trainer Titel holt, hat er in seiner Heimat eindrucksvoll bewiesen. Sechs Mal wurde er Schweizer Meister, fünf Mal Pokalsieger. Neun Mal wurde er in der Schweiz zum Trainer des Jahres gewählt. Stuttgart ist seine zweite Station im Ausland nach dem Intermezzo 1997/98 in London bei Tottenham Hotspur.

Obwohl Gross noch nie zuvor in Deutschland gearbeitet hat, ist er hierzulande kein Unbekannter. Wann immer in den letzten Jahren ein Bundesligatrainer gefeuert wurde, stand sein Name auf der Agenda. Hamburg, Frankfurt, Leverkusen, Stuttgart und Kaiserslautern wollten Gross verpflichten. Stets blieb er dem FC Basel treu. Doch im Sommer war Schluss nach zehn Jahren FCB.

Am Samstagabend - so die offizielle Version des VfB - wurde der arbeitslose Coach von den Stuttgartern kontaktiert. Für Klub-Präsident Erwin Staudt steht Gross für "Erfolg und Erfahrung".

Detailbesessen, ehrgeizig, kompromisslos

Seit 20 Jahren ist Gross im Trainer-Geschäft tätig. Er hat sich in der Schweiz mit seiner Arbeit enorm viel Respekt verschafft. Gross gilt als detailverliebter, gradliniger Motivationskünstler, der keinen Widerspruch duldet, sich aber intensiv mit seinen Spielern beschäftigt. Der self-made Psychologe soll schon in jungen Trainerjahren die neuesten psychologischen Manager-Ratgeber mit sich herumgetragen haben.

"Gross ordnet alles dem Erfolg unter, auch sein Privatleben und menschliche Beziehungen. Er macht sich mit seiner Hingabe für seinen Beruf zum Vorbild für die Spieler", sagt Erich Vogel, ehemaliger Manager des FC Basel. Allerdings, so Vogel, spiegle Gross' Detailbesessenheit mangelndes Vertrauen in andere Menschen wider.

Für Gross halten nur die Stärksten den Druck des Trainergeschäfts aus. Als er im Juli in Basel gehen musste, wünschte er sich zum Abschied im Baseler St. Jakobs-Park Bruce Springsteens Hit "Tougher than the rest" (Härter als der Rest). "Man muss tough sein in diesem Geschäft - cool und hart sich selbst gegenüber, ohne den Mitmenschen zu verletzen", lautet Gross' Credo.

In Stuttgart versuchte er gleich auf seiner Antritts-PK, den ganzen Verein wachzurütteln. "Ich verlange von den Spielern immer volle Leidenschaft, das habe ich in den 20 Jahren, in denen ich nun Trainer bin, immer getan. Ich bin ein positiv strukturierter Mensch, der wenige negative Gefühle hat. Man kann ein Spiel verlieren, wenn der Gegner besser ist, aber wenn der Gegner schlechter war, dann explodiere ich", sagte Gross.

Stress mit Jürgen Klinsmann

Er ist hart zu seinen Spielern, hat aber auch ein Ohr für die deren Probleme. "Er weiß, wann sich ein Spieler schlecht fühlt", sagt Murat Yakin, den Gross in Zürich trainierte und zu einem der besten Schweizer Spieler formte. Yakin war nie pflegeleicht, ebensowenig David Ginola. Das schlampige Genie aus Frankreich machte bei Tottenham lediglich Schlagzeilen mit durchzechten Nächten. Erst unter Gross blühte Ginola auf dem Feld auf und wurde einer der besten Spieler der Premier League.

Gross kann mit schwierigen Typen umgehen. Er war als Jugendlicher selbst ein Revoluzzer. Er frisierte sein Mofa, trug als bekennender 68er Secondhand-Pelzmäntel mit Peace-Zeichen und versuchte während der Matura bei der Mathe-Prüfung zu schummeln, indem er die Aufgaben einem auf der Toilette postierten befreundetem Rechen-Genie übergab. Der Schwindel flog auf, doch Gross zog daraus Motivation für sein Sportler-Leben.

Als Trainer lässt Gross Stars gerne an der langen Leine, wenn sie das mit Leistung zurückzahlen. Wer seine Gutmütigkeit ausnutzt, hat dagegen schlechte Karten. Als Jürgen Klinsmann 1998 zu den Spurs zurückkehrte, probte er den Aufstand gegen Gross. Als Klinsmann von einer Vertragsklausel Gebrauch machte und dem Coach in taktische Dinge reinredete, setzte Gross den aufmüpfigen Stürmer auf die Bank. Klinsmann durfte erst nach einer Entschuldigung wieder spielen.

Legendäre Heimschlappe gegen Chelsea

Sein Engagement in London stand allerdings unter keinem guten Stern. Die englischen Medien machten sich über seine mangelhaften Englisch-Kenntnisse lustig. Als er zu seiner Präsentation mit der U-Bahn fuhr, wurde ihm die Geste der Verbundenheit zu Land und Leuten als Naivität ausgelegt. Sein erstes Spiel gewann er 2:0, sein erstes Heimspiel verlor er 1:6 - gegen Stadtrivale Chelsea. Die kommenden neun Monate waren geprägt von ständigen sportlichen Aufs und Abs.

Und immer wieder tummelten sich seine Spieler in den Londoner Nachtklubs. Der "Guardian" schrieb einmal, dass nicht einmal Ex-Kate-Moss-Lover und Dauer-Junkie Pete Doherty es mit den Spurs-Spielern in den Diskotheken der Stadt aufnehmen könne.

Handgreiflicher Ärger mit gegnerischen Fans

In Stuttgart will sich Gross sofort einen Eindruck verschaffen. "Natürlich kenne ich die Spieler schon, ich will sie aber schnellstmöglich besser kennenlernen. Ich will mutige Spieler und Spieler, die den Fans etwas zurückzahlen. Ich arbeite immer leistungsorientiert und ich will den Spielern klarmachen, dass sich ihr Job lohnt. Ich verlange positive Aggressivität und dass die Spieler um jeden Ball kämpfen. Ich will alles rausholen aus den Spielern, damit sie und auch die Fans wieder zufrieden sind."

Keine leichte Aufgabe nach den Jagdszenen vom Samstag nach dem 1:1 gegen Bochum. Mit pöbelnden Fans kennt sich Gross allerdings aus. Im Mai 2009 wurde er von Anhängern des FC Zürich in einer Trambahn bespuckt und mit Plastik-Flaschen beworfen. Gross hatte mit Basel in Zürich gewonnen und war nach dem Spiel für einen privaten Anlass in der Stadt geblieben und hatte ein öffentliches Verkehrsmittel gewählt.

Kritiker werteten das als gezielte Provokation der Zürich-Fans, da es bereits kurz nach dem Spiel in Stadionnähe zu Auschreitungen gekommen war. Gross blieb auch im Antlitz des pöbelnden Mobs ruhig und unterhielt sich mit besonneneren Zürich-Fans über das Spiel. "Man sollte immer eine gewisse Souveränität ausstrahlen", sagt Gross. "Das erwarte ich auch von meinen Spielern."

Beim VfB haben sie davon derzeit nicht mal eine kleine Prise. Gross muss in Stuttgart zunächst einen zerstrittenen Haufen "hoffnungsloser, gleichgültiger und wütender Spieler" (Stuttgarter Zeitung) häckseln. Viel Zeit bleibt nicht. Am Mittwoch kommt Unirea. Gross stand noch nie im Achtelfinale der Champions League. Dafür muss er diesmal nicht viel tun. Nur ein einziges Spiel gewinnen.

VfB Stuttgart: Kader, Ergebnisse, Termine