Hermann Gerland: Malocher im dritten Frühling

Von Thomas Gaber
Irgendwie passt Hermann Gerland nicht nach München - und ist doch schon im 14. Jahr dort
© Getty

Wenn der FC Bayern München beim VfL Bochum spielt (Sa., 15.15 Uhr im LIVE-TICKER und auf SKY), schlagen in der Brust von Hermann Gerland zwei Herzen. 15 Jahre war der gebürtige Bochumer beim VfL tätig, fast genauso lang hält er es jetzt schon in München aus - und findet in einer eigentlich ungeliebten Rolle seinen Frieden.

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Hermann Gerland ist mit Uli Hoeneß befreundet. Verträge schließen die beiden per Handschlag ab, kaum ein Verhältnis im Profifußball zwischen Vorgesetztem und Angestellten ist so intensiv von gegenseitigem Vertrauen geprägt.

Hoeneß hat Gerland zwei Mal als Amateur- und Nachwuchstrainer nach München geholt und als Gerland nach der Entlassung von Jürgen Klinsmann vom FCB-Präsidenten gebeten wurde, an der Seite von Jupp Heynckes den Karren aus dem Schmutz zu ziehen, musste Gerland nicht lange überlegen. "Nachwuchstrainer beim FC Bayern zu sein ist mein absoluter Traumjob. Aber als die Anfrage kam, hab ich denen gesagt, ich mach das", sagt Gerland.

Drei Wochen später setzte Gerland dann aber die Freundschaft mit Uli Hoeneß aufs Spiel. Der FC Bayern hatte gerade 2:2 in Hoffenheim gespielt und dadurch die deutsche Meisterschaft verloren. Hoeneß' Mundwinkel hingen nach unten, als er Heynckes und Gerland nach dem Schlusspfiff die Hand schüttelte. Gerland schätzte Hoeneß' Gemütszustand falsch ein, indem er sagte: "Aber ein super Spiel war's!"

Hoeneß hätte Gerland dafür am liebsten die schief sitzende Schirmmütze vom Kopf gewischt. Ein dreckiges 1:0 mit anschließendem Kritikhagel der Medien ist Uli Hoeneß stets lieber gewesen als eine atemberaubende Zirkusveranstaltung mit Punkteteilung.

Mit jeder Pore Ruhrpottler

Für Hermann Gerland stehen beruflich andere Dinge im Vordergrund. Der Tiger, wie Gerland seit seiner Zeit als Spieler beim VfL Bochum genannt wird, schätzt ehrliche Arbeit mehr als bedingungslosen Erfolg. "Ich bin ein Malochertyp. Mein Lebensmotto heißt: Ohne Fleiß kein Preis."

Gerland wurde in Bochum geboren und ist mit jeder Pore Ruhrpottler. Im auf Hochglanz polierten München wirkt der kauzige Coach anachronistisch. Sein neuer Chef Louis van Gaal wählt wie Assistent Andries Jonker bei Spielen den feinen Zwirn, Gerlands maßgeschneiderter Anzug ist aus Polyester und hat drei Streifen.

Mit dem Fußball, wie er heute vermarket, verkauft und verdreht wird, kann der 55-Jährige wenig anfangen. Gerland ist ein Kind der Bundesliga, hat früher nach eigener Aussage auch mit Verletzungen gespielt und sich bei Flugkopfbällen auf Schotterplätzen so lange die Hände und Knie blutig geschrubbt, bis die Bälle reihenweise ins Tor flogen.

Von Babbel bis Badstuber

Als Trainer versucht Gerland stets, seinen Spielern - wie er sagt - altmodische Werte zu vermitteln. "Wenn einer zwei Mal für die Bayern-Profis gespielt hat und meint, abheben zu müssen, dann hänge ich mich eigenhändig unten dran. Und bei meinem Gewicht fliegen die keine zehn Zentimeter hoch."

Gerland hat unzählige Rohdiamanten aus dem Bayern-Nachwuchs geschliffen: Schweinsteiger, Lahm, Kuffour, Nerlinger, Babbel, Hamann, Hargreaves, Misimovic, Trochowski, Badstuber, Müller. Letztgenannte sind derzeit aus van Gaals erster Elf nicht mehr wegzudenken. Nicht alle haben den Durchbruch bei den Bayern geschafft. Doch Gerland gerät ins Schwärmen, wenn er beispielsweise über Misimovic spricht.

"Wenn der unter 80 Kilo wiegt, spielt er jeden auf der Welt her", sagte Gerland im Gespräch mit SPOX. Doch auch der Wolfsburger Spielmacher musste durch die Drill-Schule des Tigers: "Wehe, er hat über 80 Kilo. Einmal stand er sogar bei 84,9 Kilo. Da hab ich ihm gesagt: 'Geh laufen, du fette Sau!'"

Auch Guerrero hatte es nicht leicht: "Der war anfangs ganz schön lauffaul. Also hab ich ihm gesagt: 'Junge, wenn du Euros verdienen willst, musst du mehr laufen als in Peru mit diesen Pesos.'" Und als der Slowene Borut Semler meinte, er müsse im Training nicht Vollgas geben, polterte Gerland: "Hör mal zu, du Osterhase, als ich noch gespielt habe, da gab's dein Land noch gar nicht."

Van Gaal hat volles Vertrauen

In Interviews erweckt Gerland bisweilen einen naiven Eindruck, wenn er sich über die Vereinnahmung junger Spieler durch Spielerberater beklagt. Im Gegensatz zur Fülle an Worthülsen, die die Stars absondern, ist Gerland aber mit seiner witzigen Rhetorik, garniert mit dem Charme des Malochers aus dem Pott, jederzeit ein willkommener Gesprächspartner.

"Der Hermann ist ein Glücksfall für den FC Bayern. Ich habe in meinem Leben kaum einen integreren, zuverlässigeren Menschen kennengelernt", sagte Uli Hoeneß. Zusammengerechnet arbeitet Gerland in seinem 14. Jahr in München und bezeichnet dies als "außergewöhnliche Leistung".

Louis van Gaal hatte keine Bedenken oder gar Einwände, als er vor Amtsantritt gefragt wurde, ob er sich eine Zusammenarbeit mit Gerland vorstellen könne. Der Niederländer vertraut Gerland und überlässt seinem Co gerne die taktischen Anweisungen während eines Spiels. Beim grandiosen 4:1 in Turin erhob sich van Gaal vier Mal von der Trainerbank - bei den Toren seiner Mannschaft. Den Rest übernahm Gerland.

Der Tiger fühlt sich sichtlich wohl an van Gaals Seite. Auch mit 55 lechzt Gerland noch nach dem Gedankenaustausch mit einem international erfolgreichen Trainer, was Taktik, Spielauffassung und Menschenführung angeht. "Ich habe selbst in den fünf Wochen mit Jupp Heynckes jede Menge gelernt", sagt Gerland.

Nie wieder Cheftrainer

Zehn Jahre will er noch als Trainer arbeiten, ein Cheftrainer-Posten kommt aber nicht mehr infrage. "Warum soll ich dahingehen und werde entlassen, wenn der Ball vor den Pfosten geht oder wir ein Eigentor schießen?" Sollten die Bayern irgendwann keine Verwendung mehr für ihn haben, geht Gerland dorthin, wo er herkommt: nach Bochum. "Wenn ich hier fertig bin, will ich nach Hause."

Dann wird es den Tiger wieder hinaus auf die Koppel ziehen, samt Schubkarre und Mistforke. Gerland ist Pferdeliebhaber und züchtet Turniergalopper. Solange er für die Bayern arbeitet, wird er selbst galoppieren.

So wie bei seinem ersten Einsatz als Heynckes' Kompagnon gegen Mönchengladbach (2:1), als er quer über den Platz rannte, um Philipp Lahm eine Trinkflasche zu reichen. Dass er dabei den Benimm-Guide für Coaches missachtete, fiel ihm nicht weiter auf. "Mit Regeln kenne ich mich nicht aus. Ich habe dem Schiedsrichter versprochen, ich mach nichts kaputt."

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