Philipp Lahms Kritik: Wahrheit oder Irrtum?

Von Thomas Gaber
Bayern-Verteidiger Philipp Lahm erzielte in 169 Bundesligaspielen sechs Tore
© Getty

Philipp Lahm sorgte mit seinem Interview in der "Süddeutschen Zeitung" für den Aufreger des 12. Spieltags und wurde vom FC Bayern München mit einer empfindlichen Geldstrafe belangt. Er habe Regeln gebrochen, so der Vorwurf. Doch was ist mit dem Inhalt? Inwieweit liegt Lahm mit seinen Thesen richtig? Offenbar ist so manches aus der Luft gegriffen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Philipp Lahms Rundumschlag: So reagieren die mySPOX-User

These I: Der FC Bayern hat keine Spielphilosophie

Lahm: "Wenn man unsere Mannschaft mit anderen Topteams vergleicht, dann sind diese auf sieben, acht Positionen strategisch erstklassig besetzt - das fehlt uns. Wenn man sich mit Barcelona oder Chelsea messen will, braucht man eine Spielphilosophie."

Richtig oder falsch? Der Vergleich FC Bayern - Chelsea/Barcelona hinkt. Roman Abramowitsch hat seit 2003 über 750 Millionen Euro in die Mannschaft des FC Chelsea investiert.

Eine Strategie war nicht immer erkennbar, die Liste der Fehleinkäufe ist lang: Duff, Schewtschenko, Kezman, del Horno, Maniche, Boulahrouz, Pizarro.

Seit dem Rauswurf von Jose Mourinho fehlt die Kontinuität bei den Blues, außer einem FA-Cup-Titel gab es seit 2006 nichts zu feiern.

Barcelona nutzt einen unerschöpflichen Reichtum an Talenten, die in der vereinsinternen "Cantera" schon in sehr jungen Jahren auf bestimmten Positionen ausgebildet werden. Bei Barca wird das 4-3-3 in allen Mannschaften praktiziert - von der F-Jugend bis zur ersten Mannschaft. Diese Philosophie ist einzigartig, Barcas Spielstil nicht kopierbar.

Der FC Bayern verfolgt laut Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge ein Zwei-Säulen-Modell: "Auf der einen Seite haben wir beim FC Bayern Stars wie Franck Ribery oder Luca Toni. Auf der anderen Seite Spieler, die bei uns erstklassig ausgebildet wurden, wie zum Beispiel Philipp Lahm oder Bastian Schweinsteiger."

Obwohl Ottmar Hitzfeld, der für dauerhaften Erfolg in München stand, 2008 das Double holte, entschied man sich beim FC Bayern für einen Paradigmenwechsel. Jürgen Klinsmann wurde mit mehr Macht als jeder Bayern-Trainer vor ihm ausgestattet. Der Schuss ging nach hinten los.

Mit Louis van Gaal probierte man die Rolle rückwärts - erfahrener Fußballlehrer statt angehender Motivations-Guru. Dieses Strategie-Wirrwarr hat den Bayern geschadet. Seit Klinsmanns Amtsantritt ist keine Spielphilosophie erkennbar.

Lahm hat recht, wenn er sagt, dass die Bayern mit der europäischen Spitze derzeit nicht mithalten können. Mit Inter Mailand und Real Madrid ist man da aber zumindest in guter Gesellschaft.

These II: Die Bayern haben kein festes System

Lahm: "Der Verein muss sagen, wenn ein neuer Trainer kommt: So spielen wir. Bei Barcelona kommt niemand auf die Idee, dass sie 4-4-2 spielen. Vereine wie Manchester geben ein System vor - und dann kauft man das Personal für dieses System. Wir dagegen haben jetzt viele Spieler, für die es im 4-3-3, das unser Trainer gerne spielen möchte, keine Position mehr gibt."

Richtig oder falsch? Es ist keineswegs verwerflich, wenn ein Trainer von seiner Mannschaft verlangt, dass sie zwei oder mehr Systeme spielen soll. "Man muss lernen, mehrere Systeme zu spielen. Das macht eine Mannschaft unberechenbarer", sagte Franz Beckenbauer bei "SKY90".

Van Gaal ist ein Verfechter des 4-3-3. Niederländischer Meister mit Alkmaar wurde er aber erst, als er das 4-4-2 mit Doppelsechs einführte. Der Coach wollte Robben verpflichten, weil er erkennen musste, dass sein gewünschtes 4-4-2 mit Raute bei den Bayern nicht funktionierte.

Diesbezüglich ist van Gaal kein Vorwurf zu machen, zumal die Bayern in Dortmund oder Turin zeigten, wie gut das 4-3-3 klappen kann. Die Bayern haben eine Mannschaft, die im 4-4-2 und im 4-3-3 im Stande sein muss, Siege einzufahren.

Dass im 4-3-3 Spieler auf der Strecke bleiben, weil sie für dieses System nicht geeignet sind, ist nicht van Gaals Schuld. Er hat das Gros der Neuverpflichtungen nicht zu verantworten. Mit Robben haben die Bayern endlich ein adäquates Pendant zu Ribery und mit Gomez die erhoffte Konkurrenz für Klose und Toni.

Lahm hat unrecht mit der Behauptung, die Bayern würden die Spieler nicht für ein bestimmten System aussuchen. Mit Gomez wurde echte Konkurrenz für Klose und Toni geholt. Und van Gaal hat mit Robben den Spieler schlechthin für das 4-3-3 bekommen. Endlich haben die Bayern ein adäquates Pendant zu Ribery.

These III & IV: Bayerns Mittelfeld ist das Problem und Lahm ist rechts so gut wie links