"Bei Bayern ist Feuer unterm Dach"

Von Interview: Andreas Lehner
Michael Tarnat war gefürchtet für seine hammerharten Freistöße - Stefan Effenberg schaut zu
© Getty

Champions-League-Sieg, vier deutsche Meisterschaften - mit dem FC Bayern feierte Michael Tarnat seine größten Erfolge. Seit August arbeitet er wieder beim Rekordmeister: als Talent-Scout in der Jugendabteilung. Im Interview mit SPOX erzählt Tarnat vom Leben nach seiner aktiven Karriere und seinen neuen Aufgaben. Zudem erklärt er das ausgeklügelte Scouting-System der Bayern und spricht offen über die aktuelle Misere der Münchener.

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SPOX: Herr Tarnat, Sie sind seit August Scout beim FC Bayern. Wie gefällt Ihnen Ihr neuer Job?

Michael Tarnat: Sehr gut. Ich habe gedacht, dass mir der Abschied vom Profi-Fußball schwerer fällt, aber ich vermisse gar nichts. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich viel unterwegs und daher abgelenkt bin.

SPOX: Ist Scout der richtige Job für Sie oder wollen Sie auch mal Trainer werden? Wie Mehmet Scholl, der bei der U 13 angefangen hat.

Tarnat: Ich will erstmal Abstand von der täglichen Arbeit auf dem Trainingsplatz gewinnen. Vielleicht komme ich im Winter oder im Sommer zu dem Entschluss, dass mir der Trainerjob mit den Kindern mehr liegt. Momentan möchte ich Erfahrungen im Scoutingbereich sammeln, die Abläufe, den Aufbau und die Arbeit kennenlernen. Da bin ich erstmal gut aufgehoben.

SPOX: Wie sehen Ihre Aufgaben aus?

Tarnat: Ich bin Scout für die Nachwuchsabteilung. Von daher ist es meine Aufgabe, die besten Spieler von der U 19 abwärts zu entdecken und - falls sie Perspektive haben - zu Bayern München zu holen.

SPOX: In wie vielen Fällen ist Ihnen das bisher gelungen?

Tarnat: (lacht) In keinem.

SPOX: Nicht sehr viel.

Tarnat: Natürlich nicht. Ich habe diesen Job doch gerade erst begonnen. Zudem: Wenn ich bei der U-15-Nationalmannschaft einen guten Spieler sehe, den ich gerne bei uns haben würde, heißt das ja nicht, dass er auch kommt. Die spielen meistens auch schon bei Bundesligavereinen und haben dort gute Perspektiven und ein professionelles Umfeld. Einen Spieler von Dortmund nach München zu holen, ist schwierig. Deshalb müssen wir schauen, dass wir den Raum München ganz intensiv beobachten und die Talente, die zweifelsfrei vorhanden sind, zum FC Bayern holen.

SPOX: Wie funktioniert das Scoutig-System der Bayern?

Tarnat: Wir haben in ganz Deutschland Scouts, die für uns Spiele beobachten. In und um München sind es drei. Wenn sie gute Spieler finden, fahren Hermann Hummels oder ich hin und verschaffen uns einen Überblick. Dann diskutieren wir, ob das ein Spieler für uns sein könnte, ob wir ihn zum Probetraining einladen oder eventuell sogar sofort verpflichten.

SPOX: Also arbeiten Sie mehr auf Zuruf als auf Eigeninitiative.

Tarnat: Normalerweise läuft das über die Regionalscouts. Wenn mir einer sagt, in Gräfelfing ist ein guter Spieler, dann fahre ich hin und schaue ihn mir an. Aber natürlich beobachte ich auch selbst Spiele und bilde mir ein Urteil.

SPOX: Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um Scout bei Bayern München zu werden?

Tarnat: Man muss natürlich Ahnung vom Fußball haben und erkennen, ob einer Talent hat oder nicht. Ich bin im Anfangsstadium als Scout und muss noch dazu lernen. Nach 19 Jahren Profi-Fußball ist die Umstellung auf den Nachwuchsbereich schon groß. Es gibt gewisse Attribute, die man beim Jugendfußball nicht erwarten kann. Ehrgeiz beispielsweise ist zwar wichtig, aber man kann vom einem 12-Jährigen nicht erwarten, dass er in der Trainingsarbeit schon den Willen eines Profis hat.

SPOX: Worauf achten Sie dann bei einem Spieler?

Tarnat: Der Junge muss eine gute Technik, eine gute Übersicht und Spielwitz haben. Das ist wichtig. Der Rest ergibt sich dann im Laufe der Zeit.

SPOX: Wie viele Spiele sehen Sie im Monat?

Tarnat: Das ist ganz unterschiedlich. Das können 10 bis 15 sein, aber manchmal auch nur drei oder vier. Dafür bin ich dann eine Woche bei einem Lehrgang der Junioren-Nationalmannschaft.

SPOX: Tauschen Sie sich auch mit anderen Scouts aus, wie Ihrem ehemaligen Kollegen Giovane Elber in Brasilien?

Tarnat: Eher weniger, da Giovane Spieler für den Seniorenbereich sucht. Aber wenn er einen 16-, 17-Jährigen hat, von dem er überzeugt ist, wird er uns das mitteilen und wir würden uns damit beschäftigen. Bei einem 13-, 14-Jährigen ist das schon schwieriger, dann muss man ihn begleiten bis er 16 ist und erst dann ins Jugendhaus wechseln könnte. Wir holen kein 13-jähriges Talent aus dem Ausland, das ist uns einfach zu früh. Zwei Stunden Fahrt nach München sind uns eigentlich schon zu viel.

SPOX: Gehen Ihnen da nicht viele Talente durch die Lappen?

Tarnat: Wir versuchen primär, im Umkreis Münchens über alle Spieler Bescheid zu wissen. Und wenn uns ein Spieler überzeugt und er ein Thema fürs Jugendhaus ist, dann werden wir immer diskutieren, ob wir ihn holen oder nicht. Zuletzt haben wir auch zwei österreichische Spieler verpflichtet, die in der U 16 spielen.

SPOX: Beim FC Bayern findet am Freitag ein Umbruch statt. Uli Hoeneß, der auch für Ihre Rückkehr ganz entscheidend war, räumt nach 30 Jahren seinen Posten als Manager und wird Präsident. Was verliert der FC Bayern?

Tarnat: Allein die Vorstellung, dass Uli Hoeneß nicht mehr Manager des FC Bayern ist ist schon sehr schwer. Es wäre sicherlich komisch, wenn er sich von heute auf morgen komplett zurückziehen würde. Aber ich weiß auch, dass er als Präsident dem Verein erhalten bleibt und Christian Nerlinger weiterhin im Tagesgeschäft unterstützen wird. Es wird sich also nur der Titel von Uli Hoeneß ändern.

SPOX: Noch eine Frage zur aktuellen Situation der Profis. Was fehlt der aktuellen Mannschaft im Vergleich zu Ihrer erfolgreichen Zeit?

Tarnat: Das Problem ist relativ einfach: Wir holen halt keine Siege. Wenn bei Bayern die Ergebnisse nicht stimmen, hat man Feuer unterm Dach. Wenn man die Spiele wieder gewinnt, wird es wieder ruhiger. Der Verein ist gelassen, weil er weiß, dass mit Arjen Robben und Franck Ribery zwei ganz wichtige Spieler fehlen. Auf deren Rückkehr hoffen wir alle im Verein. Wenn die beiden wieder da sind, wird es auch ganz anders ausschauen.

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