Mysterium Bastian Schweinsteiger

Von Florian Bogner
Bastian Schweinsteiger absolvierte bisher 196 Bundesligaspiele für den FC Bayern München
© Getty

Bayerns Mittelfeld spielt grausig, meint nicht nur Philipp Lahm. Auch, weil Bastian Schweinsteiger trotz Einsatzgarantie die Erwartungen nicht erfüllt und regelmäßig unterm Radar durchtaucht. Doch wird man Schweinsteiger überhaupt gerecht, wenn man ihn als Kreativspieler bezeichnet?

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Auch Bastian Schweinsteiger hat schon öfter mit der "SZ" gesprochen, im Dezember 2008 das letzte Mal lang und ausgiebig. Damals hatte er gerade seinen Vertrag beim FC Bayern München bis 2012 verlängert, und sein Interview schlug nicht so hohe Wellen wie das von Philipp Lahm dieser Tage, weil Schweinsteiger artig antwortete und das Interview dann auch vom Verein autorisieren ließ.

Wie Lahm stellte auch er damals Ansprüche, allerdings nur an sich selbst. "Bayern München zahlt mir viel Geld, damit ich zum Wesentlichen beitrage und nicht das 4:0 oder 5:0 schieße. Der Verein weiß, dass es meistens gut ausgeht, wenn ich auf dem Platz stehe", sagte er selbstbewusst.

Vielleicht muss er seine Aussage dieser Tage mal überdenken. Denn auf dem Platz steht Schweinsteiger in dieser Saison sehr oft. Genauer gesagt: so gut wie immer. Mehr Minuten absolvierte nur Lahm, Schweinsteiger wurde einzig im Pokal gegen Oberhausen geschont, spielte ansonsten immer von Beginn an und 14-mal über 90 Minuten. Richtig "gut" ging das allerdings nur selten. Acht Siege in 19 Pflichtspielen - zu wenig für die Bayern. Zu wenig für Schweinsteiger.

Protegiert wie kein Zweiter

Dabei wird der 25-Jährige von Louis van Gaal protegiert wie kein Zweiter. Der Holländer machte ihn zu Beginn der Saison hinter Mark van Bommel und Lahm zum dritten Kapitän und stellte ihm damit eine Stammplatzgarantie aus. "Meine Kapitäne sind meine Vertreter und unterstützen meine Normen und Werte. Ich glaube, das passt für Bastian", sagte van Gaal damals. Und der Trainer forderte klipp und klar: "Meine Kapitäne müssen meine Philosophie unterstützen."

Das tut Schweinsteiger auch. Nach außen und auf dem Platz. Kritische Töne hört man von ihm nie - und van Gaals Spielphilosophie scheint maßgeschneidert zu sein. Keiner hält die Bälle im Mittelfeld so wie er, keiner spielt mehr Pässe im Klein-Klein. In zwölf Bundesliga-Spielen waren es 784. 84 Prozent davon brachte er an den Mann.

Doch sagt diese Statistik nun aus, dass Schweinsteiger ein wirklich hervorragender Passspieler ist, oder dass er den Risikopass scheut? Und hier kommt wieder Lahm ins Spiel. "Ich glaube einfach, unser größtes Problem liegt im Mittelfeld", sagte der Nationalspieler. Ballbesitz sei sehr wichtig, sehe man ja bei Barcelona, aber dort gebe es eben auch Spieler, die das Heft in die Hand nehmen, nach vorne spielen. "Das ist das, was uns fehlt. Ich sehe unsere Spiele der letzten Wochen und frage mich: Wer soll das denn machen bei uns?"

Nackte Zahlen lesen sich bitter

Bastian Schweinsteiger dürfte sich angesprochen gefühlt haben, galt er doch in Abwesenheit von Franck Ribery und Arjen Robben zuletzt neben Thomas Müller als einzig verbliebener "Kreativspieler" im Bayern-Mittelfeld. Doch ist er das wirklich? Sein Leistungsnachweis liest sich bitter: Ein Tor (gegen Dortmund), eine Vorlage (gegen Neckarelz). In der Liga nur ein Schnitt von 2,1 Torschüssen und 1,8 Torschussvorlagen pro Spiel. Kreativ sieht anders aus.

Hört man Schweinsteiger zu, will er auch kein Kreativspieler sein. Seine Lieblingsposition ist im Maschinenraum. "Ich fühle mich auf der Position am wohlsten, die ich gegen Juventus oder Köln gespielt habe, in der Mitte, Sechs, Acht, je nach dem wie der Gegner spielt", sagt er. Nur bitte nicht mehr auf Außen.

"Dort kann man manchmal nicht so viel ins Spiel eingreifen", erklärte er gegenüber SPOX: "Ich spiele lieber in der Mitte, wo ich mich mehr bewegen und das Spiel leiten kann. Man hat einfach mehr Zugriff aufs Spiel, mehr Aktionsradius, mehr Zweikämpfe." Er wolle zwar das Spiel mit "klugen Pässen" leiten, "mir liegt jedoch mehr an der Defensive. Ich hasse es, wenn der Gegner zu viele Angriffschancen bekommt".

Die Chance ist da - doch er greift nicht zu

Eine Position für Alpha-Tiere, für Führungsspieler wie man in Deutschland so schön sagt. Er will sich damit von den Ansprüchen der Öffentlichkeit lösen. Die sieht ihn immer noch im DFB-Trikot die Hintermannschaft von Portugal aufmischen. In der Realität sieht man ihn im Bayern-Dress im entscheidenden Champions-League-Spiel gegen Bordeaux Querpässe spielen.

Der 25-Jährige verpasst es dieser Tage schlicht, sich bei Bayern unentbehrlich zu machen. Er ist neben Martin Demichelis der dienstälteste Spieler, identifiziert sich voll mit dem Verein, und wäre damit prädestiniert dafür, voran zu gehen. Doch gerade jetzt, wo die Mannschaft einen Schweinsteiger braucht, geht Schweini lautlos mit unter und lässt seinen Führungsanspruch ruhen. Auch unter van Gaal ist er zu oft nur Mitläufer.

Zugute halten muss man ihm, dass er trotz aller Kritik am Mittelfeld immer den Ball fordert: über 90 Ballkontakte hat er pro Spiel. Im Schnitt die meisten aller Bayern-Spieler, da hat er Lahm als Spitzenreiter abgelöst. Doch Schweinsteiger gewinnt im Zentrum zu wenige Offensiv-Zweikämpfe und wagt sich kaum mal ins Eins-Gegen-Eins.

6 Positionen in 23 Spielen

Da kann auch nicht als Ausrede herhalten, dass kein Spieler so oft herumgeschoben wird wie der 25-Jährige. Halblinks im 4-4-2 mit Raute, halblinks im 4-3-3, halbrechts im 4-3-3, Spielmacher im 4-4-2 mit Raute, links im 4-4-2 mit Doppel-Sechs - das alles hat Schweinsteiger in dieser Saison schon gespielt. Nimmt man die Auftritte im DFB-Dress dazu, in dem er ausschließlich im rechten Mittelfeld spielte, sind das sechs verschiedene Positionen in 23 Spielen.

Die vielen Positionswechsel erklären sich vor allem damit, dass van Gaal schlichtweg versucht, Schweinsteiger in seinen Systemen immer zu berücksichtigen. "Seine beste Position ist in der Mitte, deswegen spielt er auch meistens da. Bastian weiß das, ich weiß das", sagte der Trainer vor zwei Wochen. "Aber das ist nicht immer möglich, das ist auch abhängig von allen anderen Spielern."

Seine optimale Position scheint er nun gefunden zu haben und auch einen Trainer, der ihn dort spielen lässt. Mit Uli Hoeneß hat er seinen größten Kritiker im eigenen Haus. Der Manager forderte ihn vor der Saison auf, endlich mehr zu zeigen und sich von der Rolle des Mitläufers zu verabschieden. Dazu muss Schweinsteiger als Persönlichkeit seinen nächsten Schritt machen und sich beim FC Bayern profilieren.

Auch beim DFB im Zentrum?

Bis zum nächsten Bundesliga-Spiel gegen Leverkusen hat Schweinsteiger nun zwei Wochen Zeit. Zeit, um zu reflektieren. Zeit, sich bei der Nationalmannschaft wieder Selbstvertrauen zu holen. Mit 71 Länderspielen ist er dort eine feste Größe.

Auch bei Löw zieht es ihn vermehrt in die Mitte, obwohl er auf rechts einen Stammplatz sicher hat. Mit dem Bundestrainer hat Schweinsteiger schon darüber gesprochen, "er weiß, welche Position ich am liebsten mag", sagte er kürzlich. "Am liebsten spiele ich natürlich da, wo ich auch im Verein spiele. Mal sehen, wie es bis zur WM aussieht", so sein Ausblick.

Egal, ob Löw seinem Wunsch in der letzten Testphase vor der WM nun nachkommt, oder nicht - Schweinsteiger wird nachdenken müssen, ob er seinem forschen Anspruch überhaupt gerecht werden kann. Meriten verdient man sich im Verein. Und dort muss Schweinsteiger erst noch beweisen, dass er nicht nur ein Mitläufer ist.

Bastian Schweinsteiger in Zahlen