Der Rowdie wird erwachsen

Von Robert Seiwert
Aaron Hunt (r.) lernte das Fußballspielen bei Werder Bremen
© Getty

Einst eiferte Aaron Hunt Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger nach. Dann machte der Körper nicht mehr mit und der Bremer verlor die Balance. In dieser Saison erlebt Werder endlich einen ganz neuen, viel besseren Hunt.

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"Aaron ist der nächste, der Nationalspieler werden könnte." Thomas Schaaf hat für gewöhnlich ein feines Gespür für seine Spieler und deren Leistungsstärke. Dieses eine Mal aber lag er falsch.

Schaafs Einschätzung über Werders Talent ist zwei Jahre alt. Und in den zwei Jahren war Aaron Hunt so weit weg von der Nationalmannschaft wie die Weser von der Isar. Der heute 23-Jährige verbrachte mehr Zeit in Ärztekliniken als auf dem Platz.

Schleimbeutel - und Schambeinentzündung, Knie- und Leistenprobleme - Aaron Hunt stolperte von einer Misere in die nächste und fand sich zeitweise in der Regionalliga-Mannschaft der Bremer wieder - in Wilhelmshaven und in Chemnitz.

14 Spiele - acht Scorer-Punkte

Doch seit Beginn dieser Saison läuft plötzlich alles anders. Hunt ist gesund, er spielt regelmäßig und trifft regelmäßig. 14 Spiele in dieser Saison, vier Tore, vier Vorlagen - die Bilanz kann sich sehen lassen.

Ein Grund für das Stimmungshoch war auch sein Trainer. Schaaf hielt immer an dem Jungen fest, schenkte ihm Vertrauen. In seiner sechsten Saison als Werder-Profi scheint es sich endlich bezahlt zu machen.

Als Hunt am 2. Spieltag gegen den FC Bayern in der Startelf stand, schüttelten viele Werder-Fans noch den Kopf. Beliebt war das Bremer Eigengewächs unter den eigenen Anhängern komischerweise fast nie.

Als ewiges Talent gebrandmarkt, das sein spielerisches Potenzial viel zu selten aufblitzen ließ. Stets wortkarg, auf dem Platz teilweise lustlos wirkend - und immer wieder diese Verletzungen.

Blindes Verständnis mit Marin und Özil

Schaaf interessierte das nicht im Geringsten. Er fand einen Platz in der Mannschaft für Hunt, dem Amateur-Trainer Thomas Wolter einst das Prädikat "Riesenfußballer" verpasst hatte. Ob als hängende Spitze, im Sturmzentrum oder über die linke Seite - Hunt verkörpert in dieser Saison den Offensiv-Allrounder, wie er im modernen Fußball immer bedeutender wird.

Und er ist inzwischen mehr als nur eine Alternative. Zusammen mit den Youngster Marko Marin und Mesut Özil mischt der Sohn einer Engländerin und eines Deutschen gegnerische Abwehrreihen durch ständiges Rotieren auf.

Seinen Stammplatz verdankt er aber auch Diegos Abgang. In den vergangenen Spielzeiten war das Bremer Spiel komplett auf den Brasilianer zugeschnitten. Seit dessen Wechsel zu Juventus Turin vor der Saison gestaltet sich die Bremer Offensive jetzt deutlich variabler und unberechenbarer.

"Mal schaut man nur auf Özil, aber Hunt ist da. Dann schaut man auf Hunt, und Marin ist da", beschreibt Werders Geschäftsführer Klaus Allofs die Situation treffend.

Endlich verletzungsfrei und fit

Nach der enttäuschenden vergangenen Bundesliga-Saison ist Bremen auf dem besten Wege, an vergangene Erfolge anzuknüpfen. Platz vier in der Liga, ungeschlagen in der Europa League, dazu das Achtelfinale im DFB-Pokal.

Und mittendrin Hunt, der gelernt hat, Verantwortung auf dem Platz zu übernehmen: Gegen St. Pauli, Mainz und Bilbao markierte er jeweils den Treffer zum 1:0.

Das sorgt für Selbstvertrauen und lässt aufhorchen. Dem 23-Jährigen wird neben Acht-Millionen-Euro-Einkauf Marin und Shooting-Star Özil nur bedingt Beachtung geschenkt. Denn Hunt gehört inzwischen schon zum Werder-Inventar - und trotz der derzeit tollen Serie trauen ihm viele nicht den endgültigen Durchbruch zu, sondern viel eher einen erneuten Rückschlag in Form einer Verletzung.

Doch mit den ewigen Knie- und Leistenschmerzen soll Schluss sein. Vor der Saison arbeitete der ehemalige U-21-Nationalspieler zwei Wochen lang mit einem Fitness-Coach in Köln, schiebt zudem zwei Mal wöchentlich Sonderschichten in Bremen. "Ich bin verletzungsfrei, fit und fühle mich richtig gut", sagt Hunt erleichtert. Worte, die man an der Weser jahrelang vermisste.

Eskapaden an der Tagesordnung

2007 drohte dem ambitionierten Kicker gar das Ende einer noch jungen Karriere. Sieben Monate Ausfall, Operationen an Knie und Leiste - Resignation machte sich bei Hunt breit: "Das war eine Scheiß-Zeit. Ich hatte zeitweise Angst um meine Karriere und wusste nicht, wie es weitergehen sollte."

Doch immer wieder stärkten ihm Schaaf und Allofs den Rücken und gaben ihm Zeit zur Regeneration.

Selbst Hunts zahlreiche Skandale ließen die heile Werder-Welt nicht ins Wanken geraten. Ein Kind von Traurigkeit war er beileibe nicht: Führerschein-Entzug, Rassismus-Vorwürfe, Schlägereien in Diskotheken und obendrauf noch eine handfeste Auseinandersetzung mit Diego. Vergeben und vergessen.

Auf Poldis und Schweinis Spuren

Die sportliche Leitung war immer von Hunts Qualitäten auf dem Platz überzeugt. Er habe "die gleichen Möglichkeiten wie Özil", konstatierte Allofs dem Jungen, der im Alter von 14 Jahren schon auf dem Sprung zum FC Bayern stand. Doch dort hatte man keinen freien Platz im Internat, und so zog es den gebürtigen Goslaer in Richtung Bremer Talentschmiede.

Vielleicht erinnert sich Schaaf noch heute an den furiosen Auftakt von Hunts Profikarriere. Mit vielen Vorschusslorbeeren ausgestattet, debütierte er schon mit 17 Jahren in Werders A-Mannschaft und löste damit seinen Trainer als jüngsten Spieler der Werder-Geschichte ab. Im Februar 2005 trug er sich mit seinem Treffer gegen Gladbach als jüngster Torschütze in die grün-weißen Annalen ein.

Werder atmete auf: Nach langer Zeit hatte man endlich wieder einen potentiellen Nationalspieler aus den eigenen Reihen hervorgebracht. Bekräftigt wurde die Annahme durch Hunts Wahl zum Newcomer des Monats März 2005 des "ZDF-Sportstudios". Diese Ehre kam unter anderem zuvor schon Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger zuteil.

Angebot von Manchester United

Nach seiner bislang einzigen konstanten Saison 2006/07 mit immerhin 28 Liga-Einsätzen, zeigte ihm sein Körper im Folgejahr abermals die Grenzen auf. "Wenn ich fit bin, spiele ich", hatte Hunt untypisch forsch getönt. War er aber nicht.

Solche Aussagen lassen jedoch erkennen, dass Hunt von seinem Können, welches er zweifelsohne besitzt, überzeugt ist. Er sieht sich nicht mehr als Ergänzungsspieler und fordert mehr: "Ist doch klar, dass ich irgendwann mal den nächsten Schritt machen möchte."

"Irgendwann" könnte das schon in der kommenden Saison der Fall sein, da Hunts Vertrag bei Werder ausläuft. "Die anderen Vereine wissen ja, dass ich am Saisonende ablösefrei bin."

In die Heimat seiner Mutter könnte es ihn ziehen: "Ich liebe den englischen Fußball, die Premier League ist für mich die beste Liga der Welt", verriet Hunt bereits vor einigen Jahren. Während seiner Jugendzeit hatte Manchester United schon angeklopft. Damals lehnte er ab.

Werder Bremen: Kader, Ergebnisse, Termine