Nicht nur der König liebt ihn

Von Florian Bogner
Obafemi Martins musste nur 24 Minuten im Wolfsburg-Trikot bis zu seinem ersten Salto warten
© Imago

Obafemi Martins ist der neue Vorturner beim VfL Wolfsburg. Trotz großer Konkurrenz ist sich der 24-jährige Nigerianer sicher, dass er sich beim deutschen Meister durchsetzen wird. Auch, weil er in seinem Leben weiß Gott schon Schlimmeres erlebt hat als Konkurrenzkampf.

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Würde Obafemi Martins aus einem Land mit großen Turnlegenden kommen, wäre er heute wahrscheinlich in klammen Hallen und Wolken aus Magnesium zuhause. Doch Martins kommt nicht aus Weißrussland, Bulgarien oder China.

Martins kommt aus einem Armenviertel von Lagos, Nigeria, wo man Weichbodenmatten nicht mal aus dem Fernsehen kennt, und ist deshalb auf den Fußballplätzen der Welt zuhause. Auch wenn er gerne turnt.

Am vergangenen Wochenende flimmerte Martins' Turneinlage, bestehend aus Flickflack und Salto, über die Fernsehschirme in Deutschland. Der 24-Jährige hatte in Köln sein erstes Tor für seinen neuen Arbeitgeber Wolfsburg geschossen und das mit seinem halsbrecherischen Markenzeichen gefeiert. Gerade mal 24 Bundesliga-Minuten brauchte er, um in der Liga anzukommen.

Newcastle schlicht unfähig

"Als ich im Spiel war, klappten die Pässe bei uns besser. Ich denke, dass wir deshalb am Ende auch gewonnen haben", sagte Martins nach dem Spiel selbstbewusst. Vor seiner Einwechslung hatte es 0:1 gestanden, nach seinem Tor und seinem Flickflack ging der Meister mit 3:1 als Sieger vom Platz.

Dass er überhaupt in Wolfsburg gelandet ist, ist der Unfähigkeit von Newcastle United zu verdanken. Der Verein ignorierte in der vergangenen Saison hartnäckig, dass man durchaus auch als Traditionsverein der Premier League absteigen kann.

Als der Abstieg dann kam, musste sich der Verein von seinem Tafelsilber trennen, weil die Verträge der besten Spieler keine Klausel über Gehaltsminderungen im Falle eines Abstiegs enthielten. Es gab schlicht keine Abstiegsklauseln.

So kam Martins auf die Transferliste. Arsenal und einem halben Dutzend anderer Premier-League-Klubs sagte man Interesse nach, doch nur aus Wolfsburg ging ein offizielles Angebot in Newcastle ein. Der klamme Verein griff zu, weil Wolfsburg zirka 10,5 Millionen gute Argumente hatte.

Schuss mit 135 km/h

"Ich war überrascht, dass die englischen Klubs nicht schneller zugegriffen haben", sagt Martins' Berater im Gespräch mit SPOX. Martins habe schließlich in drei Jahren Newcastle bewiesen, was er kann.

"Seine Schnelligkeit und Unberechenbarkeit findet man selten bei einem Stürmer. Außerdem hat er zum Beispiel mit Toren gegen Tottenham und Manchester schon gezeigt, dass er sich gegen absolute Top-Mannschaften behaupten kann", so der Agent.

Zu seinen Stärken gehören nicht nur unerhört schnelle Dribblings und Torabschlüsse aus den unmöglichsten Winkeln, Martins ist trotz geringer Körpergröße auch mit dem Kopf stark und nennt einen ordentlichen rechten Huf sein eigen: In der Premier League wurde einer seiner Schüsse mal mit 135 km/h gemessen.

Mit 15 Jahren nach Italien

Wahrscheinlich kam Wolfsburg den anderen einfach zuvor. Und für Martins war die Sache schnell klar. "Die Bundesliga wird bald die beste Liga der Welt sein. Deswegen bin ich von Wolfsburg begeistert", sagte er bereits vor seinem Wechsel. Als Trainer Armin Veh ihn fragte, ob er sich vorstellen könnte, nach Wolfsburg zu kommen, musste er nach eigener Aussage "nicht lange überlegen".

Als Obafemi Akinwunmi Martins 1984 auf die Welt kommt, gibt es keine Fernseher in seiner Nachbarschaft, nicht mal geteerte Straßen. In seiner Kindheit kickt Martins schlichtweg im Staub. Erst mit 14 Jahren wird er von einem Talentscout entdeckt. Er tauscht den staubigen Hinterhof gegen den staubigen Hartplatz vom FC Ebedei ein und nimmt erstmals an einem regulären Ligaspiel teil.

Das Schicksal meint es gut mit ihm. Obafemi heißt auf Deutsch übersetzt: "Der König liebt mich." Im wirklichen Leben liebten sie ihn zunächst in Italien. Ein Jahr nach seinem ersten Spiel in echten Fußballschuhen wird ein italienischer Späher auf ihn aufmerksam und holt ihn zum FC Reggiana.

Keine leichte Entscheidung für einen 15-Jährigen. Ein Großteil der Familie hat Einwände, nur die Mutter hält zu ihm, glaubt mit ihm an den Traum, Fußball-Profi zu werden. Den nächsten Sprung macht der 1,70 Meter kleine Stürmer zwei Jahre später: Inter Mailand, Jugendakademie, 750.000 Euro Ablöse.

Flickflack in Leverkusen

Auf die ganz große Bühne hüpft der Freizeitturner dann mit 18 - und das in Deutschland. Inter Mailand ist in der Champions-League-Zwischenrunde bei Bayer Leverkusen zu Gast und braucht einen Sieg zum Viertelfinal-Einzug, Bayer ist das Ergebnis nach fünf Niederlagen bereits herzlich egal.

In der 36. Minute schnappt sich Martins den Ball, lässt halb Leverkusen hinter sich und versenkt den Ball an Jörg Butt vorbei in die Maschen. Es folgt seine bemerkenswerte Turnübung, der TV-Trailer der Königsklasse für die kommende Saison ist um ein Highlight reicher.

Damals sehen manche in ihm schon den neuen George Weah, den neuen Star vom schwarzen Kontinent. Und dann kommt Martins irgendwie das Glück abhanden. 2006 verpasst er mit Nigeria die WM, nach dem Turnier werden ihm bei Inter Hernan Crespo und Zlatan Ibrahimovic vor die Nase gesetzt.

Maschinengewehrsalven und tragischer Tod

Martins flieht für 15 Millionen Euro nach Newcastle, erhält dort als Nachfolger von Alan Shearer die Nummer 9. Viel Druck für einen 22-Jährigen, der oft verletzt ist. 2007 entgeht er in der Heimat nur knapp dem Tod.

In Lagos feuern Unbekannte mit einem Maschinengewehr auf ein Auto, Martins sitzt mit drin. Wie durch ein Wunder bleibt der Stürmer unverletzt. Im Sommer 2008 verliert Martins dann seinen liebsten Menschen.

Seine Mutter stirbt in Lagos, als sie mit dem Auto einem Brand entkommen will, der sich von einem explodierten Tanklaster ausgehend die Straßen runterwälzt. Die 62-Jährige stirbt an einem Schock.

Martins fliegt nach Lagos und vergießt am Grab seiner Mutter bittere Tränen. "Oba stand unserer Mutter näher als jedes andere Familienmitglied. Sie war stets der erste Ansprechpartner für ihn, wenn er eine Entscheidung treffen musste", sagt sein Bruder Biola. An Fußball ist für eine ganze Weile nicht mehr zu denken.

"Der Abstieg hat mich stärker gemacht"

Und nun die Sache mit dem Abstieg. Martins hat gute Gründe, in Wolfsburg einen Neuanfang zu wagen. Auch wenn er gerne in Newcastle geblieben wäre, für den Verein sogar sein letztes Hemd gab. Die letzten Runden der letzten Saison spielte er mit Schmerzen durch, eine Leisten-OP wäre überfällig gewesen.

"Man muss für alles im Leben einen Preis bezahlen. Der Klub ist größer und zählt mehr als jedes Individuum. Ich denke, die Sache ist es wert", sagte er damals.

Nach dem Abstieg meinte er: "Ich war noch nie in so einer schlimmen Situation. Aber es hat mich nur noch starker gemacht."

Es klingt fast so, als ob Wolfsburg einen der wenigen Spieler mit einwandfreiem Charakter an Land gezogen hat. Sein Agent bestätigt dies: "Er hat einen vorbildlichen Charakter, auch, weil er für sein kurzes Leben schon so viel erlebt hat. Trotzdem spielt er immer mit einem Lächeln."

Veh gibt Salto-Erlaubnis

Es ehrt Martins, dass er in Wolfsburg bewusst den Konkurrenzkampf mit Grafite und Edin Dzeko, dem wohl besten Bundesliga-Torjägerduo aller Zeiten, sucht.

Vielleicht hatte er auch einfach keine Lust mehr, wie in Newcastle immer die erste Geige vor einer satten und starren Mannschaft zu spielen.

Mit ihm hat Wolfsburg die Chance, im 4-3-3- zu spielen oder ihn, wie in Köln, als Joker zu bringen, wenn das Team eine Offensiv-Waffe braucht. "Er ist genau der Spielertyp, der uns noch gefehlt hat", frohlockte Mitspieler Zvjezdan Misimovic in Köln.

Für seinen Torjubel hat sich Martins übrigens extra die Erlaubnis des Trainers eingeholt. Und Veh meinte: "Solange er sich dabei nichts bricht, ist es okay. Dann weiß ich wenigstens, dass er getroffen hat, und freue mich."

Obafemi Martins im Steckbrief