Wer besiegt den Fluch?

Von Tobias Hock
Alessandro Riedle erzielte in der Schweizer Super League drei Tore in zehn Spielen
© Imago

"Stuttgart verpflichtet Riedle". Diese Schlagzeile stammt nicht aus den 80er oder 90er Jahren, sondern aus dem Mai 2009. Alessandro, der 17-jährige Sohn von Kalle "Air" Riedle, wechselte von den Grasshoppers Zürich zum VfB und soll an den Bundesliga-Kader herangeführt werden.

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Zum ersten Mal seit langer Zeit sorgt damit ein Sprössling eines berühmten Kickers für positive Schlagzeilen. Doch weitere könnten folgen.

Eine neue Generation von Fußballersöhnen schickt sich an, den Fluch des berühmten Nachnamens zu besiegen.

"Grüßen Sie Ihren Vater von mir"

Welchen Fluch? Beispiele gescheiterter Söhne berühmter Fußballer gibt es genug. Jens Rehhagel zum Beispiel. Er kam bei Werder nie über die zweite Mannschaft hinaus und wurde bei einem Amateurspiel vom Schiedsrichter mit den Worten "grüßen Sie Ihren Vater von mir" vom Platz geschickt.

Stefan Beckenbauer rückte zwar mit 18 Jahren in den Profikader der Bayern, setzte sich aber nie durch und sagte nach seinem Wechsel zu 1860: "Ich konnte meinen Vater nicht mehr sehen." Die Liste der Gescheiterten könnte beliebig fortgesetzt werden und würde irgendwann bei Edinho enden, dem Sohn von Brasilien-Legende Pele.

Der stand in seiner bescheidenen Torwart-Karriere häufiger vor Gericht als zwischen den Pfosten und zog seine Handschuhe mit 28 Jahren endgültig aus.

Der schmale Grat

Wo liegen die Probleme beim Nachwuchs mit den guten Genen? Oftmals wird er mit Erwartungen und Sehnsüchten überfrachtet, die er nicht erfüllen kann. So gelten Dino Toppmöller oder Carsten Cullmann vielen als  gescheitert, obwohl sie sich als solide Profifußballer durchgesetzt haben.

Darüber hinaus wandeln die "kleinen" Riedles, Beckenbauers und Rehhagels auf einem schmalen Grat. In jungen Jahren kann der Name, oder vielmehr die damit verknüpften Beziehungen, ein Türöffner in die Jugendabteilung eines Profivereins sein.

Später fragen die Mitspieler allerdings, ob der Name vielleicht das Hauptkriterium für eine Nominierung ist.

Qualität setzt sich durch

Auch Alessandro Riedle profitierte natürlich davon, dass sein Vater bis 2008 Sportdirektor der Grasshoppers Zürich war. Zehn Einsätze und drei Tore in der ersten Schweizer Liga lassen allerdings wenig Zweifel an den Qualitäten des 17-Jährigen.

Karl-Heinz Riedle sagt über seinen Sohn: "Er ist ein, zwei Zentimeter größer als ich und hat für sein Alter schon einen guten Körper. Er ist sehr schnell auf den ersten Metern und ja, er hat das, was ich in jungen Jahren auch schon hatte: eine enorme Sprungkraft." Ein antrittsschneller, torgefährlicher und sprunggewaltiger Stürmer - kommt einem irgendwie bekannt vor.

Ein Kirsten im Tor?

Während Alessandro auf den Spuren seines Vaters wandelt, hätte sich ein anderer nicht deutlicher davon abgrenzen können. Ulf Kirsten war jahrelang der personifizierte Torwartschreck und erzielte insgesamt 182 Bundesligatore.

Und was macht Sohn Benjamin? Zieht sich Handschuhe an und stellt sich in den Kasten. Der 22-Jährige wurde im Amateur-Team von Bayer Leverkusen von seinem Vater trainiert und feierte nach einem verkorksten Jahr in Mannheim kürzlich seine Drittliga-Premiere für Dynamo Dresden.

Nummer zwei in Dresden

Im Interview mit "11Freunde" bezeichnet er es als Bürde, Sohn einer Legende zu sein: "Ich war mir damals sicher, dass die Leute mich mit ihm vergleichen würden und werden. In jungen Jahren kamen alle immer zu mir und haben mich gefragt: Du willst doch bestimmt werden wie dein Vater? Willst du ein besserer Stürmer werden als dein Vater? Gerade als junger Fußballer ist das sehr schwer, auch deshalb habe ich mich für die Torwartposition entschieden."

Der Sohn des Schwatten verfügt über einen Charakterzug, der Kindern von Berühmtheiten oft abgesprochen wird - eine gesunde Selbsteinschätzung. Der Keeper will seine Position als Nummer zwei in Dresden festigen, weiter von Stammtorwart Axel Keller lernen und nebenbei seine Ausbildung absolvieren.

Der Sohn von...

Wie wichtig ein zweites Standbein sein kann, musste auch Marco Rummenigge bereits erfahren. Der Filius von Michael und Neffe von Karl-Heinz zog sich mit 17 Jahren einen Kreuzbandriss zu.

In dieser Phase verpasste der damalige Jugendnationalspieler bei Borussia Dortmund den Anschluss an Mitspieler wie Nuri Sahin. Mittlerweile ist Rummenigge 21 Jahre alt und Stammspieler beim Regionalligisten Waldhof Mannheim. Ist er gescheitert, weil er die familiäre Titelsammlung wohl nicht nennenswert erweitern wird?

"Die Leute verlangen, dass ich ebenso gut wie mein Vater oder Onkel spiele. Ich werde nicht als Marco Rummenigge wahrgenommen, sondern als Sohn von...", beklagte er sich schon 2006.

Die Last des Namens

Dieses Problem kennt auch Nils Schmadtke. Zweitligist FC Ingolstadt verpflichtete den 20-jährigen Keeper vor der abgelaufenen Saison und hängte ihm gleich einen Zementsack an Erwartungen um den Hals.

"Wir freuen uns, ein hervorragendes Nachwuchstalent auf dieser wichtigen Position zu bekommen. Das Talent ist ihm in die Wiege gelegt und wir hoffen, dass er sich genauso wie sein Vater in der Bundesliga etablieren wird", sagte Harald Gärtner, Sportlicher Leiter des FCI, bei der Präsentation.

Eine halbe Saison später bat der Neuzugang um Vertragsauflösung und ist seither ohne Verein. Im SPOX-Interview sagt Papa Jörg Schmadtke: "Im Sommer findet er hoffentlich einen Klub, bei dem er sich in Ruhe entwickeln kann, eine faire Chance bekommt und als Nils Schmadtke wahrgenommen wird. Sollte dies nicht der Fall sein, wird er ein Studium aufnehmen und sich beruflich anderweitig orientieren."

Hoeneß und die Hertha

Anderweitig orientieren wird sich demnächst wohl auch Sebastian Hoeneß. Der Sohn von Dieter spielt bis auf einen erfolglosen Abstecher nach Hoffenheim seit Jahren bei den Amateuren von Hertha BSC und ist über den Abgang seines Vaters beim Hauptstadtklub verärgert.

Bei der Abschlussfeier attackierte er Vizepräsident Jörg Thomas: "Na, freuen Sie sich? Jetzt haben Sie es ja endlich geschafft..." Die Vermutung liegt nahe, dass der 27-Jährige seinem Vater folgt und die Hertha verlässt.

Solche Negativbeispiele lassen sich wesentlich leichter aufstöbern als positive. Dies mag daran liegen, dass nur die Söhne der Fußball-Elite im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Erfolgsgeschichten wie jene des Nationalspielers und deutschen Meisters Marcel Schäfer finden kaum Beachtung. Schließlich hatte es sein Vater Markus "nur" auf 80 Zweitligaspiele gebracht.

Das italienische Märchen

Um eine Geschichte zu finden, in der sich der Ruhm des Vaters und des Sohnes auf ähnlich hohem Niveau begegnen, müssen wir den Blick gen Süden richten. In Italien prägt Familie Maldini seit Mitte der 50er Jahre den Fußball des AC Milan und der Squadra Azzurra.

Vater Cesare gewann als Spieler die nationale Meisterschaft, den Europapokal der Landesmeister und  schaffte den Sprung ins Nationalteam. Paolo Maldini übertrumpfte diese Erfolge und fügte der Sammlung zahlreiche Titel hinzu. Höhepunkt der ungewöhnlichen Vater-Sohn-Beziehung war die WM 1998 in Frankreich. Der Papa war Trainer der italienischen Auswahl, der Sohnemann führte sie als Kapitän aufs Feld.

Auch wenn Paolo seine aktive Karriere dieses Jahr beendete, könnte sich das Märchen sogar noch fortsetzen. Mit Christian spielt der nächste Maldini für den AC Milan - allerdings ist der erst zwölf Jahre jung.

Kreuzer, Andersen und ein Stürmer

In Deutschland gibt es auch einige Talente, bei denen eine Karriere-Prognose noch verfrüht ist. Der 16-jährige Niklas Kreuzer, wie sein Vater Oliver Verteidiger, spielt in der Jugend des FC Basel sowie in der deutschen U-16-Auswahl. Ebenfalls in der Defensive agiert Niklas Andersen.

Der Sohn von Jörn Andersen, ehemaliger Bundesliga-Torschützenkönig und jetziger Trainer des 1. FSV Mainz 05, ist mit 20 Jahren Stammkraft in der zweiten Mannschaft von Werder Bremen und feierte in der abgelaufenen Saison sein Profi-Debüt.

Es muss ja nicht gleich ein Maldini sein, aber vielleicht schafft es tatsächlich einer dieser Jungs, an die Erfolge des Vaters anzuknüpfen. Und vielleicht sorgt bald ein antrittsschneller, torgefährlicher und sprunggewaltiger Stürmer, der uns irgendwie bekannt vorkommt, im Dress des VfB für Furore.

Stuttgart angelt sich Riedle junior